OGH 14Os83/21v

OGH14Os83/21v14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mock in der Strafsache gegen * C* wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 17 Hv 72/20g des Landesgerichts Feldkirch, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132824

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 13. Jänner 2021, GZ 17 Hv 72/20g‑28, wurde * C*der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./1./a./ und 2./), der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./1./b./, c./ und d./) und jeweils eines Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./1./) und nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (II./2./), der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 1 und 2 StGB (III./), des Betrugs nach § 146 StGB (IV./), sowie des Diebstahls nach § 127 StGB (V./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

[2] Der dagegen vom Angeklagten ergriffenen Berufung wegen Nichtigkeit und wegen der Aussprüche über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 27. Mai 2021 im zuletzt genannten Ausspruch Folge, versagte ihr aber im Übrigen einen Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich der eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK und des Art 2 7. ZPMRK behauptende, nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

[4] Anfechtungsgegenstand eines Erneuerungsantrags im (wie hier) erweiterten Anwendungsbereich (vgl RIS‑Justiz RS0122228) ist eine als grundrechtswidrig bezeichnete (letztinstanzliche) Entscheidung oder Verfügung eines dem Obersten Gerichtshof untergeordneten Strafgerichts (vgl dazu Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c Rz 34 ff). Der Antrag hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16; zur sinngemäßen Geltung aller gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen vgl RIS‑Justiz RS0122737) – eine Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt darzulegen (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]) und sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359).

Die Behandlung eines Erneuerungsantrags bedeutet daher nicht die Überprüfung einergerichtlichen Entscheidung oder Verfügung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz, sondern beschränkt sich auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS‑Justiz RS0129606 [T2, T3], RS0132365).

[5] Soweit der Erneuerungsantrag (teils unter wörtlicher Wiedergabe des Berufungsvorbringens) Befangenheit der im gegenständlichen Strafverfahren zuständig gewesenen Einzelrichterin des Landesgerichts aufgrund ihres Verhaltens in der Hauptverhandlung (Belehrung des Angeklagten über den Tatbestand der Verleumdung nach seiner Stellungnahme zu den Angaben zweier Zeugen [ON 27 S 11]) sowie einer „unvertretbaren Beweiswürdigung im Urteil“ behauptet, argumentiert er nicht auf Grundlage der (allein maßgeblichen) letztinstanzlichen Entscheidung.

[6] Eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK wird aber auch durch das Vorbringen, das Oberlandesgericht habe „die Verpflichtung zur Prüfung der objektiven Befangenheit durch unvertretbares Handeln“ verletzt, weil sich dessen Entscheidung „auf die unbestritten fehlenden subjektiven Befangenheitsgründe beschränke“, nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht. Denn sie unterlässt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des Berufungsgerichts (ON 44 S 48 f), das die vom Erneuerungswerber vermisste Prüfung der Befangenheit nach objektivem Maßstab (vgl dazu RIS‑Justiz RS0120757) anhand der (auch) im Erneuerungsantrag vorgebrachten Argumente vorgenommen und im Ergebnis nach dem äußeren Anschein berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der Entscheidungsträgerin oder die Gefahr der Voreingenommenheit derselben verneint hat.

[7] Art 2 7. ZPMRK erachtet der Erneuerungswerber für verletzt, weil das Berufungsgericht im Rahmen der Schuldberufung die Belastungszeugen * Ö* und * D* nicht (neuerlich) vernommen hat (ON 43). Er setzt sich dabei abermals nicht mit den Argumenten des Oberlandesgerichts (ON 44 S 55 f) auseinander, denen zufolge es der Schuldberufung nicht gelungen ist, Bedenken beim Berufungssenat an der Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken. Ein generelles Recht auf Beweisaufnahme im Berufungsverfahren sieht § 473 Abs 2 (iVm § 489 Abs 1) StPO nicht vor (vgl 11 Os 82/18a). Inwieweit ein solches allenfalls aus Art 2 7. ZPMRK (ungeachtet des Gesetzesvorbehalts im letzten Satz des Art 2 Abs 1 7. ZPMRK) ableitbar sein sollte, macht der Erneuerungsantrag durch die bloßen Behauptungen, für das Oberlandesgericht sei erkennbar gewesen, dass die Beweiswürdigung der Erstrichterin „offenkundig denkunmöglich“ war, es sei „vollkommen ausgeschlossen“, dass ein Gericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen einschätzen könne, ohne diesen ein einziges Mal gesehen zu haben, und das Vorgehen des Oberlandesgerichts verstoße gegen die „Ernsthaftigkeit des Rechtsmittelverfahrens“, nicht klar (vgl Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 171; RIS‑Justiz RS0132214).

[8] Unter dem Aspekt von Art 6 Abs 1 MRK prüft der EGMR lediglich, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das Strafverfahren als Ganzes unfair erscheinen lässt, wobei die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten ist (RIS-Justiz RS0120958; Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich auch der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet. Davon ausgehend zeigt der Erneuerungswerber mit dem zuvor wiedergegebenen Vorbringen weder eine Verletzung des von Art 6 Abs 1 MRK vorgegebenen Begründungsstandards (vgl dazu RIS‑Justiz RS0129981) noch einen aus dem Unterbleiben der begehrten Beweisaufnahme im Berufungsverfahren resultierenden Verstoß gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren (vgl dazu RIS‑Justiz RS0105692, RS0131763) auf.

[9] Die allgemeinen Ausführungen zu den Tatbeständen der Nötigung nach § 105 f StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 StGB sowie der beharrlichen Verfolgung nach § 107a StGB sind einer inhaltlichen Erwiderung ebenso wenig zugänglich wie jene zu den Redewendungen in der türkischen Sprache, die Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen und die Überlegungen zur „Gerichtspraxis in Vorarlberg“.

[10] Der solcherart unzulässige Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

[11] Bleibt anzumerken, dass das Gesetz – der Ansicht des Antragstellers zuwider – keine Grundlage für eine außerordentliche Wiederaufnahme aus Anlass eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens bietet. Eine Gesetzeslücke als Voraussetzung analoger Anwendung des § 362 Abs 1 StPO ist für diese Konstellation nicht auszumachen (RIS‑Justiz RS0131764).

[12] Schließlich besteht kein auf die Hemmung des Strafvollzugs gerichtetes Antragsrecht (RIS‑Justiz RS0125705).

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