OGH 9ObA57/21d

OGH9ObA57/21d28.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. M***** W*****, 2. B***** F*****, 3. A***** T*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei M***** K***** GmbH, *****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Anfechtung von Kündigungen, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. März 2021, GZ 11 Ra 13/21t‑20, mit dem der Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Dezember 2020, GZ 9 Cga 5/20f‑14, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00057.21D.0728.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Parteien wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.712,96 EUR (darin 285,49 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Erstkläger war seit 7. 11. 2011, der Zweitkläger seit 18. 5. 2016 und der Drittkläger seit 16. 2. 2015 bei der Beklagten als C/E‑Fahrer für Lkw mit Ladekran beschäftigt. Deren Dienstverhältnisse wurden von der Beklagten jeweils mit Schreiben vom 3. 1. 2020 gekündigt. Die am 10. 1. 2020 gegenüber dem Drittkläger ausgesprochene Entlassung wurde von ihm erfolgreich angefochten (rechtskräftig).

[2] Die Kläger begehrten in den verbundenen Verfahren AZ 9 Cga 5/20t, AZ 30 Cga 6/20g und AZ 30 Cga 7/20d die Rechtsunwirksamerklärung der jeweiligen Kündigung. Soweit noch revisionsgegenständlich, brachten sie vor, dass die Kündigungen jeweils wegen des verpönten Motivs der „Tätigkeit des Arbeitnehmers in Gewerkschaften“ iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit b ArbVG ausgesprochen worden seien.

[3] Das Erstgericht wies die Klagen ab, weil die Kündigungen nicht aus diesem Grund erfolgt seien, ein verpöntes Motiv liege nicht vor.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger keine Folge. Rechtlich komme es darauf an, dass dem Geschäftsführer bekannt gewesen wäre oder er vermutet hätte, dass das Auftreten der Kläger als Sprachrohr der Belegschaft anlässlich einer Änderung der Entgeltbedingungen in irgendeinem Bezug zu einer (organisierten) gewerkschaftlichen Tätigkeit stehe. Für die von den Klägern begehrte entsprechende Feststellung sah das Berufungsgericht keine Beweisergebnisse. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Reichweite des Kündigungsanfechtungstatbestands des § 105 Abs 3 Z 1 lit b ArbVG fehle.

[5] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragen die Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe.

[6] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

[7] Die Revision ist mangels einer im konkreten Fall zu lösenden Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1.  Voraussetzung für das Vorliegen einer verwerflichen und mit Erfolg anfechtbaren Motivkündigung ist, dass das iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG verpönte Motiv für die Kündigung zumindest ein wesentlicher Beweggrund – wenn auch nicht der ausschließliche – war (9 ObA 104/19p mwN; RS0051661). Die Frage, welches Motiv für die Kündigung als bescheinigt angenommen werden kann, ist dabei eine Frage der vom Obersten Gerichtshof unüberprüfbaren Beweiswürdigung (RS0052037 [T10]; 9 ObA 104/19p).

[9] 2. Hinsichtlich der „Tätigkeit in Gewerkschaften“ ist es herrschende Ansicht, dass der Anfechtungstatbestand in einem weiten Sinn und funktionell zu verstehen ist. Er umfasst nicht nur Aktivitäten im Rahmen der Gewerkschaftsorganisation, sondern auch die Verfolgung allgemeiner gewerkschaftlicher Ziele in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft, erfordert aber keine Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft (Wolliger in ZellKomm3 § 105 Rz 88 mwN). Es sind all jene Tätigkeiten als „gewerkschaftlich“ im Sinn dieser Bestimmung anzusehen, die in einem bestimmten Fall ein Handeln in Verfolgung konkreter gewerkschaftlicher Ziele darstellen. Es muss sich jedoch um solche Tätigkeiten handeln, die nach außen hin als aktive gewerkschaftliche Tätigkeit erkennbar sind (Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht6 § 105 ArbVG Rz 71 mit Verweis auf VwGH 6. 10. 1982, Arb 10.151; VwGH 15. 6. 1983 Arb 10.319; vgl auch Schrank in Tomandl, ArbVG § 105 Rz 93 [9. Lfg]; Lindmayr, Handbuch der Arbeitsverfassung, § 105 Rz 586; Binder, Zur Kündigung aus dem Motiv „Tätigkeit in Gewerkschaften“, DRdA 1972, 353 ff).

[10] 3. Nach einer weitergehenden Ansicht (Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 105 Rz 200) ist ein Arbeitnehmer funktionell gewerkschaftlich tätig, der selbst nicht Gewerkschaftsmitglied ist und auch nicht die Unterstützung der Gewerkschaft ausdrücklich in Anspruch nimmt, jedoch (allein oder mit anderen) gewerkschaftliche Ziele verfolgt, wozu vor allem der Einsatz für die Durchsetzung strittiger Arbeitnehmeransprüche, das Eintreten für die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen im kollektiven Interesse sowie die Teilnahme an Arbeitskämpfen gehöre.

[11] 4. Selbst wenn man dieser Ansicht folgen wollte, wäre für die Kläger hier aber nichts gewonnen, weil aus dem festgestellten Sachverhalt eine andere Motivlage der Beklagten hervorgeht:

[12] Es steht fest, dass die Kläger im Herbst 2019 Kontakt mit der Gewerkschaft ***** aufnahmen, deren Mitglied wurden und mit den Vertretern der Gewerkschaft kooperierten, davon aber ihre Vorgesetzten nicht informierten (Ersturteil S 4). Die Kündigung der Kläger erfolgte nicht aufgrund des Beitritts zur Gewerkschaft, wegen der Tätigkeit in Gewerkschaften, wegen der Einberufung der Betriebsversammlung oder wegen der Bewerbung um eine Mitgliedschaft zum Betriebsrat (Ersturteil S 4). Es steht weiter fest, dass der seit März 2019 bei der Beklagten tätige Geschäftsführer mehrere Maßnahmen setzen wollte, um den Fuhrpark effizienter zu gestalten und ihm aufgefallen war, dass die Kläger zu jenen Lkw‑Fahrern gehörten, die im Regelfall die höchsten Überstunden aufwiesen, die nicht immer mit einem hohen Arbeitsaufkommen, sondern auch damit zu erklären waren, dass Arbeitsvorgänge in die Länge gezogen wurden. Es ging auch um eine Reduktion der Überstunden mit 100 %‑Zuschlägen. Diese Maßnahmen bedeuten für die Lkw‑Fahrer, so auch für die Kläger, ein geringeres Einkommen von 300 bis 400 EUR monatlich. Um sich dagegen zu wehren und weitere Kürzungen zu verhindern, sollte der Betriebsrat gegründet werden. Auch die Zahlung der Waschprämie wurde von einer Vierteljahresprämie auf einen Zuschlag zum Stundenlohn verändert. All diese Maßnahmen im Laufe des Jahres 2019 stießen gerade bei den Klägern auf heftige Kritik und war für die Beklagte absehbar, dass es in Zukunft Probleme bei der Zusammenarbeit und bei der Umsetzung weiterer notwendiger Maßnahmen geben würde. Aus diesem Grund beabsichtigte jener Geschäftsführer schon im November/Dezember 2019 die Beendigung der Dienstverhältnisse zu den Klägern (Ersturteil S 5). Von der geplanten Betriebsversammlung mit dem Tagesordnungspunkt „Wahl des Wahlvorstandes“ und der Kundgebung der Betriebsratswahl erfuhr er erst, nachdem die Kündigungsschreiben vorbereitet waren. Weiter hatten die Kläger eigenmächtig die höchstzulässige Arbeitszeit überschritten und weisungswidrig die Karten aus den Tachografen genommen und der Erst- und der Zweitkläger entgegen dem Alkoholverbot bei der Beklagten regelmäßig Alkohol konsumiert.

[13] Aus diesen Feststellungen geht als Motiv für die Kündigung sohin hervor, dass der Geschäftsführer Probleme bei der Zusammenarbeit mit den Klägern und der Umsetzung notwendiger Maßnahmen fürchtete, nicht aber eine aktive „gewerkschaftliche Tätigkeit“ der Kläger im dargestellten Sinn einer Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft oder auch nur einer Verfolgung konkreter gewerkschaftlicher Ziele, wovon der Geschäftsführer auch keine Kenntnis hatte.

[14] 5. Die Kläger sind der Ansicht, dass es nicht darauf ankommen könne, ob der Arbeitgeber von der „Tätigkeit in Gewerkschaften“ detailliert Kenntnis habe. Eine konkrete Kenntnis des Arbeitgebers von einer Kooperation mit der Gewerkschaft erübrige sich, wenn aus der Tätigkeit an sich schon die Gewerkschaftsidee, nämlich gemeinsam arbeitsrechtliche Forderungen durchzusetzen, zu erkennen sei, würde doch sonst der Schutz von Arbeitnehmern, die sich aus ideellen Gründen für andere Arbeitnehmer einsetzten, massiv eingeschränkt. Im vorliegenden Sachverhalt liege heftige Kritik der Arbeitnehmer gegen die Maßnahmen des Arbeitgebers vor, sie wären Sprachrohr aller Lkw‑Fahrer gewesen und hätten klar gegen die Pläne des Geschäftsführers gearbeitet, sodass sich bereits daraus erkennbar die Tätigkeit in einer Gewerkschaft ergebe.

[15] Erkennbar nach außen gerichtete und festgestellte Handlung der Kläger war jedoch nur, dass sie heftige Kritik an den geplanten Maßnahmen der Geschäftsführung geäußert hatten. Darin liegt nicht per se eine solche Tätigkeit, die als Verfolgung eines gewerkschaftlichen Zieles anzusehen wäre und eine „Zusammenarbeits-Vermutung“ (Binder aaO, 357) mit einer Gewerkschaft nahelegen würde. Ein durchschnittlicher Arbeitgeber musste die Kritik der Kläger daher entgegen ihrer Ansicht auch nicht „ohne Probleme einem gewerkschaftlichen Verhalten“ zuordnen. Dass sie konkret zu diesem Zweck die Unterstützung der Gewerkschaft in Anspruch genommen hätten, behaupten die Kläger auch nicht. Im Übrigen entfernen sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Aus diesem geht nicht hervor, dass sie gegenüber der Beklagten im kollektiven Interesse für die anderen Lkw‑Fahrer („Sprachrohr“) tätig geworden wären. Die Gründung des Betriebsrats, „um sich dagegen zu wehren und weitere Kürzungen zu verhindern“, war der Beklagten im Herbst 2019 nicht kommuniziert worden.

[16] 6. Davon ausgehend ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Kündigung der Kläger nicht auf dem verpönten Motiv des § 105 Abs 3 Z 1 lit b ArbVG beruhte, nicht weiter korrekturbedürftig, ohne dass es auf die Klärung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ankäme. Die Revision der Kläger ist daher zurückzuweisen.

[17] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO (Streitwert: 21.800 EUR; eine Bewertung der Kläger über 24.000 EUR ist nicht erfolgt). Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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