OGH 4Ob56/21w

OGH4Ob56/21w27.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek sowie den Hofrat MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin I***** H*****, vertreten durch Mag. Stefan Lichtenegger, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beklagten G***** H*****, vertreten durch Dr. Nina Ollinger, LL.M., Rechtsanwältin in Purkersdorf, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2021, GZ 23 R 9/21b‑29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 2. November 2020, GZ 2 C 34/19z‑23, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00056.21W.0727.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten dessen mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die 1949 geborene Klägerin und der 1950 geborene Beklagte schlossen im Jahr 1982 miteinander die für beide erste Ehe, die kinderlos blieb. Der gemeinsame Haushalt ist unverändert aufrecht.

[2] Die Klägerin begehrte mit der im November 2019 eingebrachten Klage die Ehescheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Dieser pflege eine außereheliche Beziehung mit einer jüngeren Frau. Überdies habe die Klägerin im Jahr 2018 unter dem Bett des Beklagten Fotos einer jungen Frau mit Kind gefunden sowie in der Folge in der umfassenden Lichtbildsammlung des Beklagten Fotos nackter und teilweise sehr junger Mädchen. Der Beklagte habe teilweise Hochzeitsgeschenke der Eheleute veräußert und behandle die Klägerin seit längerer Zeit lieb- und interesselos, herabwürdigend und aggressiv und habe Gewalt gegen sie geübt.

[3] Der Beklagte beantragte die Abweisung der Scheidungsklage, eventualiter die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Klägerin und brachte vor, er habe zu keinem Zeitpunkt eine außereheliche Beziehung unterhalten; dennoch versuche die Klägerin seit dem Jahr 2016 akribisch, ihm eine solche nachzuweisen. Sie behandle ihn lieblos und nehme ihn nicht mehr zu den Ausflügen zu ihrem Zweitwohnsitz mit. Seine Lichtbildsammlung habe er seit rund 15 Jahren offen zugänglich aufbewahrt, sodass die Klägerin von der Existenz der Fotos seit Jahren Kenntnis gehabt habe.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, dass die Klägerin seit 2015 bei fünf Gelegenheiten darauf angesprochen wurde, dass ihr Ehemann mit einer fremden Frau gesehen worden sei. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu irgendeinem Zeitpunkt eine intime Beziehung zu einer fremden Frau unterhielt oder ohne Wissen seiner Gattin auch nur ein intensiveres freundschaftliches Verhältnis zu einer der Klägerin nicht bekannten Person. Auch ein Veräußern von Hochzeitsgeschenken konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin begann im Jahr 2015 systematisch, das Verhalten des Beklagten zu kontrollieren, auch durch Anbringen eines GPS‑Senders auf seinem Auto. Der Beklagte übte im Zuge von Streitigkeiten im Jahr 2018 bei mehreren Gelegenheiten physische Gewalt gegen die Klägerin. Der Beklagte verschaffte sich zu nicht feststellbaren Zeitpunkten bis 2018 pornographische Darstellungen von teils unmündigen und großteils mündigen Minderjährigen. Die Klägerin fand diese Fotos Ende 2018 und verlor danach endgültig den Willen zur Fortsetzung der Ehe mit dem Beklagten. Sie sprach den Beklagten zu keinem Zeitpunkt auf die Lichtbilder an, sondern erstattete Anzeige. Der Beklagte wurde daraufhin vom Landesgericht St. Pölten wegen § 207a Abs 3 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Die Klägerin reichte am 20. 11. 2019 die Scheidungsklage ein, den Besitz von pornographischen Darstellungen machte sie im Schriftsatz vom Jänner 2020 geltend.

[5] Das Erstgericht erachtete die Klage gemäß § 57 Abs 1 EheG – wonach das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens erlischt, wenn der Ehegatte nicht binnen sechs Monaten ab Kenntnis des Scheidungsgrundes die Klage erhebt – als verfristet. Lediglich das Vorliegen einer außerehelichen Beziehung des Beklagten im Jahr 2019 wäre geeignet gewesen, die Berechtigung des Klagebegehrens zu begründen, eine solche habe allerdings nicht festgestellt werden können. Eine Hemmung der Präklusivfrist habe nicht stattgefunden, weil die Eheleute bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im gemeinsamen Haushalt gewohnt hätten. Sämtliches weitere Vorbringen der Klägerin betreffend körperliche Übergriffe, Drohungen und Besitz kinderpornographischen Materials beziehe sich auf Zeitpunkte bis zum Jahr 2018 und damit auf Sachverhalte, die nach § 59 EheG nur noch unterstützend, jedoch nicht zur Begründung des auf § 49 EheG gestützten Klagebegehrens herangezogen werden könnten. Zwar habe der Beklagte bis zur Hausdurchsuchung im Dezember 2019 pornographische Darstellungen besessen, was nach § 207a StGB strafbar sei, doch werde die Klagefrist des § 57 Abs 1 EheG schon durch die zweifelsfreie Kenntnisnahme seitens der Klägerin von den unsittlichen Bildern ausgelöst; dies habe Ende 2018 stattgefunden. Obwohl es sich beim Besitz von Kinderpornographie um ein Dauerdelikt im strafrechtlichen Sinn handle, könne nach dem Jahr 2018 nicht mehr von einer fortgesetzten Eheverfehlung gesprochen werden. Die Fortsetzung des Besitzes des kinderpornographischen Materials sei für den Beklagten mit reiner Passivität und mit keinen weiteren Handlungen verbunden gewesen.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es liege auf der Hand, dass der Besitz kinderpornographischen Materials eine Eheverfehlung im Sinn des § 49 EheG sei. Den Scheidungsgrund verwirkliche aber das der Verurteilung zugrunde liegende ehrlose und unsittliche Verhalten und nicht die strafgerichtliche Verurteilung an sich. Alleine aus der strafrechtlichen Konzeption des § 207a StGB als Dauerdelikt könne daher nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um eine fortgesetzte Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG handle. Dass der Beklagte weiterhin nach Ende 2018 kinderpornographisches Material aus dem Internet heruntergeladen habe, sei weder behauptet worden, noch habe das Beweisverfahren dafür Anhaltspunkte ergeben. Der Sinn der Bestimmung des § 57 EheG liege darin, dass ein Ehepartner, wenn ihm eine Eheverfehlung bekannt werde, eine gewisse Überlegungsfrist haben solle, ob er die Ehe fortsetzen oder beenden möchte. Man könne sich Eheverfehlungen nicht beliebig lange „aufheben“, um sie zu einem späteren Zeitpunkt geltend zu machen. Die Klägerin habe keinerlei Schritte gesetzt, um die von ihr als ehewidrig empfundene Situation zu verändern. Tatsächliche ehewidrige Handlungen des Beklagten zwischen der Entdeckung der Fotos durch die Klägerin und der Scheidungsklage seien nicht festgestellt worden. Das als Eheverfehlung geltend gemachte ehrlose und unsittliche Verhalten des Beklagten sei daher durch die Einbringung der Scheidungsklage erst im November 2019 verspätet geltend gemacht worden, der Vorwurf der außerehelichen Beziehung sei nicht erweislich und die Lieb- und Interesselosigkeit sei der Klägerin vorzuwerfen, sodass die Klage abgewiesen werden müsse.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, der Klage stattzugeben. Der Beklagte beantragt in der ihm vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

[8] Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1.1. Die Revisionswerberin begründet die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels mit dem Abgehen der Vorinstanzen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung sowie mit dem Fehlen von solcher zur Frage, ob ein strafrechtliches Dauerdelikt, das in eherechtlicher Sicht als ehrloses und unsittliches Verhalten zu beurteilen ist, „automatisch“ ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten begründet. Als Revisionsgrund führt sie die unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht an.

[10] 1.2. Dem Berufungsgericht ist zwar zuzustimmen, dass es eine typische Frage des konkreten Einzelfalls ist, ob ein bestimmtes Verhalten eines Ehepartners eine Eheverfehlung ist und damit gewöhnlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgeworfen wird (RS0118125 [T2]). Die von der Revisionswerberin geltend gemachte Frage, ob strafrechtliche Dauerdelikte „automatisch“ ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten begründen, geht aber in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinaus, und dazu liegt keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor.

[11] 2. Ehewidriges Verhalten ergibt sich aus einer schweren Eheverfehlung oder ehrlosem oder unsittlichem Verhalten des Ehepartners (§ 49 Abs 1 EheG). Ehrloses oder unsittliches Verhalten muss sich nicht notwendigerweise (direkt) gegen den anderen Ehegatten richten; vielmehr handelt es sich dabei um verwerfliches Verhalten, das dem anderen indirekt eine Fortführung der Ehe unerträglich macht. Eine strafgerichtliche Verurteilung kann darunter fallen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht die Verurteilung an sich, sondern das der Verurteilung zugrundeliegende ehrlose und unsittliche Verhalten einen Scheidungsgrund verwirklicht (RS0056696); so etwa Alkohol- oder Drogenmissbrauch (RS0056016; RS0056311; RS0056327) oder bestimmte Straftaten, aber nicht jedes rechtswidrige Verhalten. Ob ein als Scheidungsgrund geltend gemachtes Verhalten ehrlos oder unsittlich ist, muss nach dem jeweiligen Stand von Recht und Moral beurteilt werden (Koch in KBB6, § 49 EheG Rz 7 mwN). Dies ist für den Besitz von kinderpornographischem Material zu bejahen.

[12] 3.1. Das einer strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegende Verhalten ist bei Dauerdelikten das andauernde strafbare Verhalten, unabhängig davon, ob es sich dabei um aktive Handlungen oder passives Verhalten handelt. Dass § 207a Abs 3 StGB hinsichtlich des Besitzens schon nach der Tatbestandsformulierung als Dauerdelikt aufzufassen ist (11 Os 60/19m mwN), ist unstrittig.

[13] 3.2. Fortgesetztes ehewidriges Verhalten iSd § 49 Abs 1 EheG ist als Einheit aufzufassen, sodass in der Frage des Fristablaufs auf die letzte Handlung abzustellen ist (RS0057240). Dort, wo ein Scheidungsgrund nicht in einem punktuellen Verhalten besteht, sondern sich eine Reihe von Vorfällen in ihrer Gesamtheit allmählich zu einem Scheidungsgrund verdichtet, läuft die Frist des § 57 Abs 1 EheG erst von der letzten in diesem Zusammenhang konkretisierten ehewidrigen Handlung des Partners (RS0057240 [T3], 6 Ob 615/90).

[14] 3.3. Die Frist des § 57 Abs 1 EheG beginnt daher erst mit Kenntnisnahme der letzten in diesem Zusammenhang konkretisierbaren Handlung des Partners; dies gilt jedoch nur für Eheverfehlungen, die eine Einheit bilden. Das ist der Fall, wenn die Eheverfehlungen gleichartig sind oder zwar nicht einzeln, aber in ihrer Gesamtheit eine schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG sind (RS0057240 [T4, T6]).

[15] 3.4. Fristauslösende Kenntnis des Scheidungsgrundes ist das positive Wissen von jenem Sachverhalt, der den Scheidungsgrund bildet. Die wesentlichen objektiven Umstände des Scheidungsgrundes müssen für den verletzten Ehegatten zweifelsfrei feststehen (vgl Nademleinsky in Schwimann/Neumayr [Hrsg], ABGB TaKom5 § 57 EheG Rz 3).

[16] 4.1. Der hier als Scheidungsgrund geltend gemachte Sachverhalt liegt im Besitz von kinderpornographischem Material, und zwar unabhängig von dessen Dauer. Der Umstand, dass es sich bei § 207a Abs 3 StGB hinsichtlich des Besitzes von pornographischen Darstellungen um ein strafrechtliches Dauerdelikt handelt, lässt nicht – wie die Revisionswerberin vermeint – den Schluss zu, dass es sich dabei „automatisch“ um eine fortgesetzte Eheverfehlung handelt, die als Einheit aufzufassen ist und bis zum Ende des strafbaren Verhaltens andauert: Die strafrechtliche Qualifikation solchen Verhaltens als Dauerdelikt drückt vielmehr aus, dass (anders als bei Erfolgs- oder Gefährdungsdelikten) nicht die Herbeiführung eines Erfolgs bzw ein einmaliges Verhalten strafbar sein soll, sondern das Unrecht in der Aufrechterhaltung dieses Zustands liegt. Für die eherechtliche Beurteilung einer Eheverfehlung als fortgesetzt kann aber nicht alleine auf die strafrechtlich relevante zeitliche Komponente abgestellt werden.

[17] 4.2. Die Revisionswerberin vermeint in diesem Zusammenhang, das Verhalten des Beklagten sei geradezu charakteristisch für ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten und führt vergleichend die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 111/11s (sukzessives Auflösen der ehelichen Gemeinschaft) sowie durchgehendes jähzorniges Verhalten an. Die angeführten Beispiele können aber bereits deshalb nicht mit dem hier relevanten Verhalten verglichen werden, weil in diesen beiden Fällen – anders als beim hier vorliegenden bloßen Besitz von Kinderpornographie – stets neue Handlungen gesetzt werden, die entweder einzeln geltend gemacht werden können oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass sie als schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG anzusehen sind.

[18] 4.3. Zusammenfassend handelt es sich daher beim bloßen Besitz von Kinderpornographie nicht um eine fortgesetzte Eheverfehlung, die für die Dauer des Besitzes als Einheit zu betrachten wäre.

[19] 4.4. Dieses Ergebnis entspricht auch der ratio des § 57 Abs 1 EheG: Diese liegt – wie vom Berufungsgericht richtig ausgeführt – darin, dass zwar dem Ehepartner, dem eine Eheverfehlung des anderen bekannt wird, eine Überlegungsfrist zugestanden werden soll; gleichzeitig soll sich dieser Ehepartner aber Eheverfehlungen auch nicht auf Vorrat halten können, um sie später zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt geltend zu machen.

[20] 4.5. Beträgt demnach die Frist zur Geltendmachung des Scheidungsgrundes sechs Monate ab dessen Kenntnis, so begann sie im konkreten Fall mit dem Auffinden der Lichtbilder zu einem nicht genauer festgestellten Zeitpunkt Ende 2018 und endete dementsprechend Mitte 2019. Die Geltendmachung dieses Scheidungsgrundes im Schriftsatz vom Jänner 2020 liegt daher deutlich nach Ende der Frist des § 57 Abs 1 EheG.

Die Vorinstanzen haben die Klage daher zu Recht abgewiesen, weshalb der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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