OGH 10Ob16/21g

OGH10Ob16/21g22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj P*****, geboren ***** 2015, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien MA 11, WKJH Rechtsvertretung Bezirke 1, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 1060 Wien, Amerlingstraße 11) wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. März 2021, GZ 45 R 82/21y‑37, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. Jänner 2021, GZ 97 Pu 50/20f‑20, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00016.21G.0622.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Der Vater hat sich in der Unterhaltsvereinbarung vom 9. 3. 2020 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 320 EUR verpflichtet (ON 1).

[2] Mit Beschluss vom 13. 8. 2020 wurden dem Kind von 1. 8. 2020 bis 31. 1. 2021 Titelvorschüsse gemäß § 7 1. COVID‑19‑JuBG BGBl I 2020/16, gewährt (ON 6). Der monatliche Unterhaltsvorschuss wurde mit Beschluss vom 4. 9. 2020 für die gesamte Gewährungsdauer auf 176 EUR herabgesetzt (ON 12).

[3] Am 15. 1. 2021 stellte das Kind – ohne zeitliche Deteminierung – neuerlich einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß § 7 1. COVID‑19‑JuBG (ON 18). Ein Exekutionsantrag war dem Antrag nicht angeschlossen.

[4] Das Erstgericht bewilligte am 18. 1. 2021 Unterhaltsvorschüsse nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG für den Zeitraum von 1. 2. 2021 bis 31. 7. 2021. Erstmals seien Vorschüsse nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG bis 31. 1. 2021 gewährt worden. Da diese zum Zeitpunkt der neuerlichen Antragstellung noch liefen, seien Vorschüsse ab 1. 2. 2021 für die Dauer von sechs Monaten zu gewähren.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes gegen die Bewilligung Folge und wies den Antrag des Kindes vom 15. 1. 2021 auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG ab. Nach seiner Beurteilung sei weder eine neuerliche Antragstellung auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG noch ein Antrag auf Weitergewährung zulässig. Nach Ablauf eines „COVID‑19‑Sondervorschusses“ müsse das Kind daher einen „regulären“ Antrag auf einen Titelvorschuss nach § 3 UVG stellen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, ob eine mehrfache Inanspruchnahme der Vergünstigung nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG zulässig sei.

[6] Der nicht beantwortete Revisionsrekurs des Kindes ist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1 Nach § 3 UVG sind Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (Z 1), der Unterhaltsschuldner den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet und das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderungen oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung des § 372 EO eingebracht zu haben (Z 2).

[8] 1.2 § 7 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in der Justiz (1. COVID‑19‑JuBG) in der ab 3. 7. 2020 geltenden Fassung BGBl I 2020/58 lautete:

„In der Zeit von Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bis zum Ablauf des 31. Oktober 2020 sind Titelvorschüsse nach § 3 UVG auch dann zu gewähren, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht einbringt. Solche Vorschüsse sind abweichend von § 8 UVG längstens für ein halbes Jahr zu gewähren.“

 

[9] 1.3 In der ursprünglichen Fassung des § 7 1. COVID‑19‑JuBG, BGBl I 2020/16 stand ab Inkrafttreten mit 22. 3. 2020 für die erleichterte Antragstellung lediglich ein Zeitraum bis zum 30. 4. 2020 zur Verfügung. Diese Frist wurde in der Folge mehrfach verlängert, zuletzt mit der 3. COVID‑19‑Ziviljustizverordnung, BGBl II 2021/130, bis 30. 6. 2021.

[10] 1.4 Die Gesetzesmaterialien zu § 7 1. COVID‑19‑JuBG (BGBl I 2020/16) verweisen darauf, dass es kontraproduktiv wäre, in Krisenzeiten die Voraussetzung der Exekutionsführung für das Kind aufrecht zu erhalten. Die Folgen der „Corona‑Krise“ sollten rasch und unbürokratisch gemildert werden, um die Liquidität von Kind und auch Unterhaltsschuldner aufrecht zu erhalten (IA 397/A 27. GP  36). Anlässlich der Verlängerung der Frist bis 31. 10. 2020 mit der Novelle BGBl I 2020/58 hielt der Gesetzgeber fest, dass aufgrund des Andauerns der Krise die Vereinfachung nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG weiterhin bis zum 31. Oktober 2020 zum Tragen kommen solle (IA 619/A 27. GP  3).

[11] 2.1 Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile mehrfach klargestellt, dass ein neuer Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG nach Ablauf der Periode, für die bereits Vorschüsse nach diesem Gesetz gewährt wurden, zulässig ist (RIS‑Justiz RS0133602). Die Zielsetzung des Gesetzgebers, den Unterhalt von Kindern bei Zahlungsverzug durch den Unterhaltsschuldner rasch und unbürokratisch zu sichern, spreche dagegen, diese Möglichkeit auf eine einzige Antragstellung zu beschränken.

[12] 2.2 Eine neuerliche Gewährung von Titelvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG ist somit entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nicht ausgeschlossen.

[13] 2.3 Diese Bewilligung setzt aber voraus, dass der neue Antrag erst nach Ablauf der Periode, für die bereits Vorschüsse nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG gewährt wurden, gestellt wird:

[14] 2.4 COVID‑19‑Vorschüsse sind grundsätzlich Titelvorschüssen nach § 4 Z 1 UVG vergleichbar und als deren Variante anzusehen (Neuhauser, Weitergewährung von COVID‑19‑Vorschüssen? iFamZ 2020, 138 [139]; Garber/Neumayer in Resch, Corona‑Handbuch1.04 Kap 13 Rz 90 ff, 95). Das Kind soll bei dieser Variante vorübergehend nicht zur Exekutionsführung gezwungen werden (Kronthaler, Wie wirkt sich § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG auf die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen aus? iFamZ 2020, 142). Der Gesetzgeber wollte nur eine befristete Maßnahme für die Dauer der „Corona‑Krise“ und keine Dauerlösung (10 Ob 8/21f; 10 Ob 5/21i; 10 ObS 9/21b je mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Eine „Weitergewährung“ von Covid‑19‑Vorschüssen auf fünf Jahre iSd § 18 UVG widerspricht diesen Intentionen (Kronthaler, iFamZ 2020, 143; Garber/Neumayer in Resch, Corona‑Handbuch1.04 Rz 97/1; aA Neuhauser, iFamZ 2020, 140).

[15] Dies gilt ganz allgemein für eine Weitergewährung von COVID-19-Vorschüssen: Bei den bisherigen Ausdehnungen des zeitlichen Anwendungsbereichs der erleichterten Antragstellung hatte der Gesetzgeber jeweils nur die Möglichkeit einer Neu-Gewährung im Auge, nicht aber eine Weitergewährung von COVID-19-Vorschüssen, und sei es nur für eine Dauer von sechs Monaten. Die COVID-19-Vorschüsse sollten nicht verstetigt, sondern immer von einer – wenn auch erleichterten – Neu-Antragstellung abhängig sein. Damit sollte der schweren Absehbarkeit der weiteren Entwicklung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen Rechnung getragen werden, die laufende gesetzliche Anpassungen erforderte. Das Entstehen faktischer Auszahlungslücken, die erst durch Nachzahlungen bewilligter Vorschüsse geschlossen werden, nahm der Gesetzgeber bei COVID-19-Vorschüssen in Kauf, kann doch bei Neu-Antragstellungen der Aspekt der Auszahlungskontinuität keine Rolle spielen.

[16] Kommt eine Weitergewährung von COVID-19-Vorschüssen überhaupt nicht in Betracht, kann der hier zu beurteilende Antrag auch nicht in einen Weitergewährungsantrag umgedeutet werden. Ein Weitergewährungsantrag könnte nach herrschender Ansicht bereits vor Auslaufen der aktuellen Vorschussperiode gestellt werden, sofern sich das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Weitergewährung bereits zu diesem Zeitpunkt hinreichend prüfen lässt (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 18 UVG Rz 3).

[17] Bereits aus § 8 Abs 1 UVG lässt sich ableiten, dass bei der Neugewährung von Vorschüssen der Zeitpunkt der Antragstellung und der Anspruch auf Vorschüsse zusammenhängen: Vorschüsse gebühren ab dem Beginn des Antragsmonats. Gerade bei COVID-19-Vorschüssen ist es aufgrund der sich laufend ändernden Rechtslage nicht zulässig, diese Vorschüsse mit einem erst in der Zukunft liegenden Leistungsbeginn zu beantragen und zu bewilligen, weil sonst die Gefahr bestünde, dass sich der Antragsteller eine bestimmte Rechtslage „sichert“. Die Antragstellung ist daher erst in dem Monat zulässig, dessen Monatserster den Leistungsbeginn nach § 8 Abs 1 UVG markiert.

[18] 2.5 Im vorliegenden Fall wurden dem Kind zuerst COVID‑19‑Titelvorschüsse von 1. 8. 2020 bis 31. 1. 2021 gewährt. Noch vor Ablauf der Periode wurde am 15. 1. 2021 ein neuer Antrag auf Gewährung von COVID‑19‑Unterhaltsvorschüssen eingebracht. Wäre eine wiederholte Antragstellung auf Gewährung von COVID‑19‑Vorschüssen noch vor Ablauf der Periode, für die diese Vorschüsse bereits gewährt wurden, zulässig, könnten die gesetzlichen Bestimmungen über den zeitlichen Anwendungsbereich für eine neuerliche Antragstellung umgangen werden. Das Kind könnte „verfrüht“ jeweils einen neuen Antrag einbringen, um sich dadurch den zeitlichen Anwendungsbereich für die Zukunft auch nach Ablaufen der für die Antragstellung vorgesehenen Frist zu sichern. Dieses Ergebnis ähnelt in seinen Auswirkungen einer vom Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigten Weitergewährung von COVID‑19‑Vorschüssen.

[19] 2.6 Das Rekursgericht hat im Ergebnis zu Recht die Voraussetzungen für die neuerliche Gewährung von COVID‑19‑Unterhaltsvorschüssen verneint.

[20] Anzumerken ist, dass dem Kind mittlerweile mit Beschluss vom 24. 3. 2021 (ON 40) „normale“ Titelvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG von 1. 2. 2021 bis 31. 1. 2026 bewilligt wurden.

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