OGH 10Ob8/21f

OGH10Ob8/21f30.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj K*****, geboren ***** 2009, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Gmünd, Fachgebiet Rechtsvertretung Minderjähriger, 3950 Gmünd, Schremser Straße 8), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 23. Dezember 2020, GZ 2 R 121/20m‑38, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Gmünd vom 9. September 2020, GZ 8 Pu 133/19h‑26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00008.21F.0330.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Der Vater ist aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 20. 1. 2020, GZ 8 Pu 133/19h-8, zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 270 EUR für den Zeitraum von 1. 8. 2019 bis 30. 9. 2019 und ab 1. 10. 2019 bis auf weiteres in Höhe von 305 EUR an das Kind verpflichtet.

[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 6. 4. 2020 (ON 14) wurden dem Kind Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 305 EUR von 1. 3. 2020 bis 31. 8. 2020 gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG iVm § 7 1. COVID‑19 ‑ JuBG gewährt.

[3] Mit seinem am 8. 9. 2020 beim Erstgericht eingelangten Antrag (ON 24) begehrt das Kind, ihm erneut Unterhaltsvorschüsse gemäß § 7 1. COVID‑19‑JuBG in Titelhöhe für einen Zeitraum von sechs Monaten zu gewähren. Ein Exekutionsantrag war diesem Antrag nicht beigeschlossen.

[4] Das Erstgericht bewilligte Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 9. 2020 bis 28. 2. 2021. Es stellte fest, dass der Unterhaltsschuldner nach Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet hat. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass ab Inkrafttreten des § 7 1. COVID-19-JuBG Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG auch dann zu gewähren seien, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht eingebracht habe.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Nach seiner ausführlichen rechtlichen Beurteilung ermöglicht § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG in Verbindung mit den folgenden Verlängerungen der vereinfachten Antragstellung zunächst bis 30. 6. 2020 (BGBl I 2020/31) und sodann bis 31. 10. 2020 (BGBl I 2020/58) eine wiederholte Gewährung von „COVID‑19‑Titelvorschüssen“, wenn unter Berufung auf das 1. COVID‑19‑JuBG ein neuer Antrag gestellt wird. Eine Weitergewährung von „COVID‑19‑Vorschüssen“ sei dagegen nicht möglich. Der Revisionsrekurs sei mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der Bestimmung des § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der (beantwortete) Revisionsrekurs des Bundes ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[7] 1.1 Gemäß § 3 UVG sind Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (Z 1), der Unterhaltsschuldner den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet und das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderungen oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung des § 372 EO eingebracht zu haben (Z 2).

[8] 1.2 § 7 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in der Justiz (1. COVID‑19‑JuBG idF BGBl I 2020/58) lautet:

„In der Zeit vom Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bis zum Ablauf des 31. Oktober 2020 sind Titelvorschüsse nach § 3 UVG auch dann zu gewähren, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht einbringt. Solche Vorschüsse sind abweichend von § 8 UVG längstens für ein halbes Jahr zu gewähren.“

[9] 1.3 Der Oberste Gerichtshof hat zu § 7 1. COVID‑19‑JuBG idF BGBl I 2020/58 bereits klargestellt, dass diese Regelung nach ihrem Gesetzeswortlaut für alle vom zeitlichen Geltungsbereich umfassten Anträge auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 3 UVG gilt (10 Ob 43/20a). Diese Entscheidung betraf einen Fall, in dem das Erstgericht dem Kind aufgrund seines Antrags nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 6. 2020 bis 30. 11. 2020 (somit über den 31. 10. 2020 hinaus) gewährte. In der ursprünglichen Fassung des § 7 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, stand ab Inkrafttreten mit 22. 3. 2020 für die erleichterte Antragstellung lediglich ein Zeitraum bis zum 30. 4. 2020 zur Verfügung. Klar ist, dass sich die Wortfolge „bis zum Ablauf des 31. Oktober 2020“ in § 7 1. COVID-19-JuBG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2020/58, auf den Zeitpunkt der Antragstellung – und nicht auf den maximal sechsmonatigen Gewährungszeitraum – bezog. Sein zeitlicher Anwendungsbereich umfasste somit bis zum 31. 10. 2020 gestellte Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, die auf § 7 1. COVID‑19‑JuBG gestützt wurden.

[10] 1.4 Im konkreten Fall hat das Kind seinen (zweiten) Antrag auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG am 8. 9. 2020 eingebracht. Sein Antrag fällt somit in den zeitlichen Anwendungsbereich von § 7 1. COVID-19-JuBG idF BGBl I 2020/58.

[11] 2.1 Ausschließliches Thema des Revisionsrekursverfahrens ist die Frage, ob die COVID‑Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorschüssen ohne Bescheinigung eines entsprechenden Exekutionsantrags nur eine einzige Antragstellung für höchstens sechs Monate zulässt oder auch eine mehrmalige Antragstellung (für jeweils höchstens sechs Monate) hintereinander ermöglicht.

[12] 2.2 Aufgrund der ursprünglich kurzen Befristung (vom Inkrafttreten am 22. 3. 2020 bis zum 30. 4. 2020) in § 7 1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16, stellte sich zunächst die Frage einer neuerlichen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen unter Inanspruchnahme der vorgesehenen Erleichterungen nach Ablauf des Gewährungszeitraums nicht. Die erste Frist bis Ende April wurde in der Folge mehrfach verlängert, zuletzt mit der 3. COVID‑19‑Ziviljustizverordnung BGBl II/2021/130 bis 30. 6. 2021.

[13] 2.3 § 7 1. COVID-19-JuBG enthält nach seinem Wortlaut keine über die angeführten Bedingungen hinausgehende Beschränkung, insbesondere kein ausdrückliches Verbot einer neuen Antragstellung nach Ablauf des sechsmonatigen Gewährungszeitraums.

[14] 2.4 Die Gesetzesmaterialien zu § 7 1. COVID‑19‑JuBG idF BGBl I 2020/16 verweisen darauf, dass es kontraproduktiv wäre, in Krisenzeiten die Voraussetzung der Exekutionsführung für das Kind aufrecht zu erhalten. Die Folgen der „Corona‑Krise“ sollten rasch und unbürokratisch gemildert werden, um die Liquidität von Kind und auch Unterhaltsschuldner aufrecht zu erhalten. Ähnlich wie für die Wirtschaft solle auch für Kinder staatliche Hilfe unbürokratisch und rasch erfolgen. Dadurch solle auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der COVID‑19‑Pandemie möglicherweise Verzögerungen im Exekutionsverfahren auftreten (IA 397/A 27. GP  37).

[15] 3.1 Die Zielsetzung, den Unterhalt von Kindern bei Zahlungsverzug durch den Unterhaltsschuldner rasch und unbürokratisch zu sichern, spricht dagegen, diese Möglichkeit auf eine (einzige) Antragstellung zu beschränken. Der Gesetzgeber hat auf die anhaltende „Corona‑Krise“ im Bereich des Unterhaltsvorschussrechts reagiert, indem er die ursprünglich bis 30. 4. 2020 beschränkte Frist für die Antragstellung mehrfach verlängerte. Anlässlich der Verlängerung der Frist bis 31. 10. 2020 mit der Novelle BGBl I 2020/58 hielt der Gesetzgeber fest, dass aufgrund des Andauerns der Krise die Vereinfachung nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG weiterhin bis zum 31. Oktober 2020 zum Tragen kommen solle (IA 619/A 27. GP  4).

[16] 3.2  Neuhauser (Weitergewährung von COVID‑19-Vorschüssen? iFamZ 2020, 138 [139] und Garber/Neumayr in Resch , Corona-Handbuch 1.04 Kap 13 Rz 90, 93) sehen – insoweit übereinstimmend – COVID‑19‑Vorschüsse als grundsätzlich den Titelvorschüssen nach § 4 Z 1 UVG vergleichbar an; es liegt somit eine weitere Variante der Titelvorschüsse vor. Das Kind soll bei dieser Variante vorübergehend nicht zur Exekutionsführung gezwungen werden ( Kronthaler , Wie wirkt sich § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG auf die Weitergewärhung von Unterhaltsvorschüssen aus? iFamZ 2020, 142). Eine völlige Gleichstellung mit den Titelvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG hat der Gesetzgeber durch den wesentlich kürzeren Gewährungszeitraum von nur sechs Monaten (im Vergleich zu fünf Jahren) aber effektiv ausgeschlossen. Er wollte nur eine befristete Maßnahme für die Dauer der „Coronakrise“ und kein Dauerrecht schaffen (IA 397/A 27. GP 37). Eine „Weitergewährung“ von COVID-19-Vorschüssen auf fünf Jahre iSd § 18 UVG widerspricht diesen Intentionen ( Kronthaler , Wie wirkt sich § 7 des 1. COVID-19-JuBG auf die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen aus? iFamZ 2020, 143; Garber/Neumayr in Resch , Corona‑Handbuch 1.04 Rz 97/1; aA Neuhauser iFamZ 2020, 140). Die Einschränkung des Gewährungszeitraums für jeden Antrag innerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs auf maximal ein halbes Jahr stellt ausreichend sicher, dass es sich um keine Dauerlösung handelt.

[17] 4. Ergebnis: Ein neuer Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 1. COVID-19-JuBG ist nach Ablauf der Periode, für die bereits Vorschüsse nach diesem Gesetz gewährt wurden, zulässig (siehe auch 10 Ob 5/21i).

[18] Der Revisionsrekurs des Bundes ist daher nicht berechtigt.

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