OGH 11Os64/21b

OGH11Os64/21b1.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter im Verfahren zur Unterbringung der Anita W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 23. März 2021, GZ 26 Hv 19/21d‑35, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00064.21B.0601.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung der Anita W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

[2] Danach hat sie am 9. November 2020 in K***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer (die vorhandene bipolare affektive Störung überlagernden) wahnhaften Störung, beruht, Kata M***** durch die auf dem Anrufbeantworter einer Dritten hinterlassene und zur Weiterleitung an die Genannte gedachte Äußerung „Die M*****, die kommt da nicht mehr lebend raus“ gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, somit eine Tat begangen, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 (iVm § 433 Abs 1) StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen.

 

[4] In der Hauptverhandlung beantragte die Betroffene durch ihren Verteidiger „eine audiotechnische Auswertung der Aufzeichnungen mit den heute vorgespielten zwei Sequenzen zum Beweis dafür, dass die der Betroffenen zur Last gelegten Äußerungen ,Da kommt sie nicht mehr lebend raus‘ und ,Ich fackle die Bude ab‘ aus dem Kontext des gesamten Inhaltes gerissen sind und keine gefährliche Drohung darstellen“ (ON 34 S 9 und 10).

[5] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfiel dieser Antrag zu Recht der Abweisung (ON 34 S 10 f):

[6] Auf die Äußerung „Ich fackle die Bude ab“ – die es mit Rücksicht auf den Kontext, in dem sie gefallen war, (ohnehin) als nicht tatbildlich erachtete (US 5 f, 9; vgl § 55 Abs 2 Z 3 StPO) – hat das Schöffengericht den bekämpften Einweisungs‑Ausspruch gar nicht gestützt (siehe vielmehr US 2). In diesem Umfang geht die Rüge schon deshalb ins Leere.

[7] Soweit der Antrag im Übrigen auf die Beantwortung einer Rechtsfrage abzielte („keine gefährliche Drohung“), nannte er von vornherein kein taugliches Beweisthema (RIS‑Justiz RS0099342 [insbesondere T4], RS0130194).

[8] Das Beweisziel, (auch) die (weitere) Äußerung sei „aus dem Kontext des gesamten Inhalts gerissen“, wiederum ließ keinen Konnex zum Verfahrenszweck erkennen (siehe aber Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327 ff). Darauf, dass ihr unter Berücksichtigung dieses Kontexts ein Bedeutungsinhalt (RIS‑Justiz RS0092437) zugekommen wäre, auf dessen Grundlage Tatbestandsmäßigkeit nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB zu verneinen gewesen wäre, war der Antrag jedenfalls nicht deutlich und bestimmt gerichtet.

[9] Noch weniger enthielt er ein Vorbringen, weshalb die gewünschte – über die ohnedies erfolgte Vorführung der gesamten, rund 50‑minütigen Tonaufnahme in der Hauptverhandlung (ON 34 S 10) hinausgehende – Beweisaufnahme ein derartiges Ergebnis erwarten lassen sollte (zum Erfordernis RIS‑Justiz RS0118444).

[10] Den Beweisantrag ergänzende Beschwerdekritik hat aufgrund des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[11] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a „bzw.“ Z 10, richtig nur Ersteres [vgl RIS‑Justiz RS0132762]) entwickelt ihre Behauptung, es liege bloß eine „milieubedingte Unmutsäußerung“, „soweit überhaupt eine gefährliche Drohung“ aber „jedenfalls keine Todesdrohung gem. § 107 Abs. 2 StGB“ vor, nicht auf der Basis des festgestellten Sachverhalts (US 5). Damit verfehlt sie den – gerade darin gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

[12] Das auf Z 5 gestützte Vorbringen bekämpft (deutlich und bestimmt nur) die vom Schöffengericht angestellte Gefährlichkeitsprognose und die Nichtgewährung bedingter Nachsicht der vorbeugenden Maßnahme.

[13] Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren im System der Nichtigkeitsgründe in den Regelungsbereich des zweiten Falls des § 281 Abs 1 Z 11 StPO. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.

[14] Eine Bekämpfung aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS‑Justiz RS0118581; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 669). Die aus dem Blickwinkel der Mängelrüge erhobene Kritik an der Prognoseentscheidung geht somit schon im Ansatz fehl.

[15] Soweit die Beschwerdeführerin die Einscheidung über die bedingte Nachsicht (§ 45 Abs 1 StGB) für „nicht ausreichend begründet“ hält, erstattet sie ein Berufungsvorbringen (Ratz in WK2 StGB § 45 Rz 14 und WK‑StPO § 281 Rz 728).

 

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

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