European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00029.21P.0527.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ivica M***** – nach Wiederaufnahme des Verfahrens – des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 zweiter Fall, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 3. Mai 2017 in K***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz (US 6) Steve S***** dazu bestimmt, am 4. Mai 2017 Angestellte des Wettlokals „P*****“ durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) und unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, nämlich 4.135 Euro Bargeld, wegzunehmen, indem er Katharina D***** eine CO2‑Pistole vorhielt, dabei „Geld, Geld!“ schrie und das Geld aus der von D***** geöffneten Kassa entnahm (US 7).
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 2, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 2) verkennt, dass ein durch fehlende Belehrung eines Zeugen über ihn wegen Selbstbezichtigungsgefahr zukommende Zeugnis-verweigerungsrechte begründeter Verstoß gegen § 157 Abs 1 Z 1 StPO nicht mit Nichtigkeit bedroht ist und demgemäß auch nicht Gegenstand der Rüge aus Z 2 oder Z 3 des § 281 Abs 1 StPO sein kann (vgl § 159 Abs 3 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0124907; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 176).
[5] Vielmehr darf die Aussage eines Zeugen in Selbstbelastungsgefahr, der nicht über sein dadurch begründetes Aussageverweigerungsrecht belehrt wurde, die ihn (und den Beschuldigten) belastet, in jenem Strafverfahren, in dem sie abgelegt wurde, gegen den dort Beschuldigten verwendet werden. Die Intention des § 157 Abs 1 Z 1 StPO liegt schließlich gerade darin, den Zeugen vor der in der Befragung gelegenen Belastung zu schützen, weshalb § 159 Abs 3 StPO die Verwendung eines Protokolls über eine erfolgte Befragung als Beweismittel bewusst ermöglicht und eine Beweisverbotskonsequenz ausschließt (https://rdb.manz.at/document/ris.jusr.JJR_20090326_OGH0002_0120OS00010_09A0000_001?execution=e2s1&source=72646223323032313035303623313134325f32305f776b2d7374706f5f7374706f5f703031353923534c2333373738333631383431 [T4]; Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 159 Rz 26; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 159 Rz 9).
[6] Ist der Aufenthalt von Zeugen – wie hier jener der Slobodanka L***** – trotz Ausforschungsbemühungen unbekannt geblieben (vgl ON 233, 236a, 237, 239 und 250 S 7 f), so dürfen deren Aussagen in der Hauptverhandlung gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO verlesen werden.
[7] Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO erfolgte Verlesung der Angaben der genannten Zeugin vor der Landespolizeidirektion Kärnten, Kriminalreferat FB1, vom 6. Juni 2017 (ON 65 AS 75 ff).
[8] Zur Begründung des gegen die Verlesung erhobenen Widerspruchs führte der Angeklagte aus, es handle sich um ein neues Hauptverfahren, in dem die Zeugin, der ein Entschlagungsrecht gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO zukomme, nicht in der Lage sei, sich hiezu zu entschlagen, „weshalb eine Verlesung gemäß § 252 Abs 2a StPO nicht zulässig“ sei (ON 265 S 8 f).
[9] Damit verkennt die Beschwerde, dass auch unter der Sanktion der Z 4 in der Hauptverhandlung kein Antrag gestellt werden kann, eine unter Verletzung des § 157 Abs 1 Z 1 StPO (§ 159 Abs 3 zweiter Satz StPO) zustande gekommene Aussage nicht vorkommen zu lassen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 176).
[10] Soweit sich die Rüge auch gegen die Verlesung der zeugenschaftlichen Vernehmung der Slobodanka L***** in der Hauptverhandlung vom 1. Dezember 2017 (ON 106 AS 21 f; ON 265 S 10) wendet, versagt sie schon mangels eines dem insoweit ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung entnehmbaren Widerspruchs (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 302).
[11] Die Mängelrüge (Z 5) behauptet, das Erstgericht habe sich nicht mit gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin Slobodanka L***** sprechenden Beweisergebnissen auseinandergesetzt (Z 5 zweiter Fall). Sie geht jedoch daran vorbei, dass der Bezugspunkt nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen besteht, womit sich das Ausmaß der im Einzelfall geltenden Erörterungspflicht entsprechend reduziert (RIS‑Justiz RS0119422 [T4 und T6]).
[12] Indem die Beschwerde bloß Aussagedetails der Zeugen Slobodanka L*****, Steve S***** und Ivica Se***** sowie des Angeklagten zu nicht entscheidenden Tatsachen ins Treffen führt, erschöpft sie sich im Ergebnis in einem unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Annahme der Glaubwürdigkeit der Zeugin L***** (erneut RIS‑Justiz RS0119422 [T4]; vgl RS0106642 [zum Umfang der Erörterungspflicht von Beweisaussagen]).
[13] Die Feststellung zum Motiv des S***** (US 6) betrifft keinen für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage entscheidenden Umstand. Die dagegen gerichtete Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) verfehlt daher ihr Ziel (vgl zum Begriff der entscheidenden Tatsachen Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 399 f).
[14] Gleiches gilt in Ansehung der als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) bekämpften Feststellung, wonach der Angeklagte aufgrund zumindest eines Besuchs „einer derartigen weiteren anderen Filiale von „P*****“ über die in allen Casinos der Wettlokale „P*****“ im Wesentlichen gleichen Abläufe, so auch den Türschluss betreffend, Bescheid wusste (US 4).
[15] Dem Vorbringen der Rüge (Z 5 vierter Fall) zuwider wurden nach dem insoweit ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung sowohl das Protokoll über die zeugenschaftliche Vernehmung der Slobodanka L***** im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens (ON 201 S 1 bis 3 verso) als auch das Protokoll über die Vernehmung des Angeklagten im Anlassbericht ON 41 verlesen (ON 265 S 10).
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO zurückzuweisen.
[17] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)