European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132176
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist eine nationale Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar, die auf Grundlage des Art 5 Abs 2 lit b Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) den Betrieb eines von einem kommerziellen Anbieter bereitgestellten Online‑Videorecorders erlaubt, der
a) aufgrund des technisch angewandten De‑Duplizierungsverfahrens nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts erstellt, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, bloß – zur Vermeidung redundanter Daten – eine Referenzierung vornimmt, die es dem nachfolgenden Nutzer erlaubt, auf den bereits gespeicherten Inhalt zuzugreifen;
b) eine Replay-Funktion hat, in deren Rahmen das gesamte Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr aufgenommen und über sieben Tage hinweg zum Abruf bereitgestellt wird, soweit der Nutzer einmalig im Menü des Online-Videorecorders bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens eine entsprechende Auswahl trifft; und
c) dem Nutzer (entweder eingebettet in einen Cloud-Dienst des Anbieters oder im Rahmen der vom Anbieter bereitgestellten on premises IPTV-Komplettlösung) auch Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber vermittelt?
2. Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) dahin auszulegen, dass diese von einem kommerziellen Anbieter einer (on premises) IPTV‑Komplettlösung vorgenommen wird, in deren Rahmen er neben Soft- und Hardware zum Empfang von TV‑Programmen über das Internet auch technischen Support leistet sowie laufende Anpassungen des Dienstes vornimmt, der Dienst aber zur Gänze auf der Infrastruktur des Kunden betrieben wird, wenn der Dienst dem Nutzer Zugriff nicht nur auf Sendungsinhalte vermittelt, deren Online-Nutzung die jeweiligen Rechtsinhaber zugestimmt haben, sondern auch auf solche geschützten Inhalte, bei denen eine entsprechende Rechteklärung unterblieben ist, und der Anbieter
a) Einfluss darauf nehmen kann, welche TV‑Programme vom Endnutzer über den Dienst empfangen werden können,
b) weiß, dass sein Dienst auch den Empfang von geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber ermöglicht, allerdings
c) nicht mit dieser Möglichkeit zur unerlaubten Nutzung seines Dienstes wirbt und dadurch einen wesentlichen Anreiz zum Erwerb des Produkts schafft, sondern vielmehr seine Kunden bei Vertragsabschluss hinweist, dass sie sich eigenverantwortlich um die Rechteeinräumung kümmern müssen, und
d) durch seine Tätigkeit keinen speziellen Zugang zu Sendungsinhalten schafft, die ohne sein Zutun nicht oder nur schwer empfangen werden könnten?
B. Das Verfahren über den Revisionsrekurs der Beklagten wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.
Begründung:
Zu A.
[1] I. Sachverhalt
[2] Die Klägerinnen sind Fernsehveranstalterinnen, die eine mit Sitz in Deutschland, die andere mit Sitz in Österreich.
[3] Die Beklagte bietet gegenüber gewerblichen Kunden (Netzbetreibern, Hotels, Stadien etc) individuelle IPTV-Komplettlösungen (Internet-Fernsehen im geschlossenen Netz) an. Diese umfassen neben Content‑Leistungen in Form von Senderpaketen unter anderem auch einen Online-Videorecorder, der zeitversetztes Fernsehen ermöglicht, sei es durch Anfertigung von Einzelaufnahmen, sei es durch Serienaufnahmen ganzer Programme. Der Dienst beinhaltet unter anderem auch eine Replay-Funktion, bei der bis zu sieben Tage zurückliegende Sendungsinhalte erneut angesehen werden können. Aufnahmen durch den Online-Videorecorder erfolgen stets nur, wenn ein Endnutzer eine entsprechende Programmierung vornimmt. Auch die Replay-Funktion muss vom Endnutzer aktiviert werden, dazu muss er im Menü des Dienstes einmalig – das geschieht häufig gleich bei Inbetriebnahme des Dienstes – die einzelnen Sender, hinsichtlich derer er die Aufzeichnung wünscht, durch einen Eingabebefehl auswählen und die Auswahl bestätigen. Aufgrund dieser (zumindest einmaligen) Programmierungen führt das System vollautomatisch die (Dauer‑)Aufnahmen durch, soweit keine Änderung in den Menüeinstellungen erfolgt, und legt diese grundsätzlich für jeden aufzeichnenden Nutzer in einer eigenen Datei (Single-Copy) ab. Im Hintergrund läuft allerdings – für den Endnutzer nicht ersichtlich – ein De‑Duplizierungsverfahren, das bewirkt, dass bei übereinstimmender Programmierung von Aufzeichnungen für mehrere Kunden nicht mehrere Kopien der Sendungsinhalte erstellt werden; vielmehr bleibt es bei der ersten angefertigten Kopie, auf die alle Endnutzer, die die selbe Aufnahme programmiert haben, über eine ihnen eigens zugeteilte Referenz zugreifen können. Gelöscht wird die Kopie erst dann, wenn der letzte Nutzer die Programmierung der jeweiligen Aufzeichnung aufgehoben hat.
[4] Die IPTV-Komplettlösung der Beklagten steht in zwei Varianten zur Verfügung, nämlich in Form einer On‑Premises-Lösung sowie in Form einer unmittelbar von der Beklagten gehosteten Cloud-Lösung. Im Rahmen der On‑Premises-Lösung stellt die Beklagte Netzbetreibern Hard‑ und Software samt technischem Support (laufende Fehlerbehebung und Konfiguration des Dienstes) bereit und schließt mit ihnen Rahmenvereinbarungen, wonach die Netzbetreiber die IPTV-Systemlösungen nutzen, um selbst oder für einen Vertragspartner IPTV-Services an Endkunden zu erbringen, und dabei für die Einholung der entsprechenden Kabelweitersendungsrechte und der Content-Rechte selbst zuständig sind. Nach dem Inhalt dieser Rahmenverträge hat der Netzbetreiber sicherzustellen, dass er für alle Inhalte, die er (mit Hilfe der von der Beklagten zur Verfügung gestellten technischen Lösungen) verbreitet oder vorhält, ausreichende Rechte besitzt. Zudem verpflichtet sich der Kunde der Beklagten, in eigener Verantwortung und auf eigene Kosten dafür zu sorgen, dass er für die Contents (zB TV-Programme) und Nutzungsformen sowie für die sonstigen verwendeten Werke, die er mit Hilfe des IPTV-Systems verbreitet und zur Verfügung stellt, ausreichende Lizenzen und Kabelweitersendungsrechte besitzt. Von dieser Rahmenvereinbarung sind nicht nur lineare (analoge oder digitale) Leistungen, sondern auch non-lineare Leistungen (wie Internet-TV) umfasst.
[5] Die von den Klägerinnen veranstalteten und gesendeten TV-Programme sind im Senderportfolio der Beklagten sowie diverser Netzbetreiber enthalten, die das IPTV-Produkt der Beklagten als On-Premises- oder als Cloud‑Lösung nutzen. Die Beklagte gibt gegenüber ihren Kunden an, dass sie über direkte Lizenzvereinbarungen mit Sendergruppen verfügt. Die Klägerinnen haben zur Weiterverbreitung über Internetstreaming keine Zustimmung erteilt.
[6] II. Anträge und Vorbringen der Parteien
[7] Zur Sicherung ihrer entsprechenden Unterlassungsbegehren begehren die Klägerinnen zusammengefasst, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten,
a) Fernsehprogramme der Klägerinnen ohne ihre Zustimmung als Live-Stream, insbesondere im Rahmen der Cloud-Lösung der Beklagten oder vergleichbarer Angebote, öffentlich wiederzugeben, (weiter) zu senden oder zur Verfügung zu stellen;
b) ihren Kunden, insbesondere im Rahmen der On-Premises-Lösung oder vergleichbarer Angebote, Dienste oder Produkte zur Verfügung zu stellen, mit denen diesen ermöglicht wird, Fernsehprogramme der Klägerinnen ohne ihre Zustimmung als Live-Stream öffentlich wiederzugeben, (weiter) zu senden oder zur Verfügung zu stellen;
c) Fernsehprogramme der Klägerinnen ohne ihre Zustimmung, insbesondere durch Angebote wie den Online‑Videorecorder im Rahmen der Cloud-Lösung der Beklagten oder vergleichbare Angebote, durch Speicherung zu vervielfältigen oder von Dritten vervielfältigen zu lassen oder Kopien der Fernsehprogramme den Kunden des Cloud‑Dienstes der Beklagten oder deren Kunden zur Anfertigung von (Privat-)Kopien zur Verfügung zu stellen;
d) ihren Kunden, insbesondere im Rahmen der On-Premises-Lösung oder vergleichbarer Angebote, Dienste oder Produkte zur Verfügung zu stellen, mit denen diesen ermöglicht wird, Fernsehprogramme der Klägerinnen ohne ihre Zustimmung durch Speicherung zu vervielfältigen oder von Dritten vervielfältigen zu lassen oder Kopien der Fernsehprogramme Endkunden zur Anfertigung von (Privat-)Kopien zur Verfügung zu stellen.
[8] Die Klägerinnen hätten der über die Dienste der Beklagten erfolgenden Weiterverbreitung über Internetstreaming keine Zustimmung erteilt, die Beklagte mehrfach abgemahnt und auf die Rechtswidrigkeit ihres Dienstes hingewiesen. Im Bereich des Online-Videorecorders wende die Beklagte ein Verfahren an, das über eine „Masterkopie“ laufe. Damit würden Sendungsinhalte nicht für jeden Endkunden individuell und auf dessen Bestellung hin in einem von diesem Endkunden kontrollierten Bereich gespeichert; vielmehr könnten alle Endkunden auf diese erste von der Beklagten erstellte Masterkopie auf Abruf zugreifen. Im Ergebnis biete der Dienst der Beklagten den Endkunden die Möglichkeit, die Programme der Klägerinnen über die Replay-Funktion bis zu sieben Tage lang zeitversetzt beliebig oft anzusehen. Soweit die Beklagte nicht im Rahmen der Cloud-Lösung selbst die Programme der Klägerinnen vervielfältige, beschränke sich ihre Rolle (bei der On‑Premises-Lösung) jedoch auch nicht auf das bloße (körperliche) Bereitstellen von Einrichtungen, da sie von der Rechtswidrigkeit ihres Produkts und den Rechtsverletzungen, die ihre Kunden mit dessen Hilfe begingen, Kenntnis habe. Ohne den Dienst der Beklagten wäre es ihren Kunden nicht möglich, ihren eigenen (End-)Kunden die linearen und non‑linearen Leistungen anzubieten. Darüber hinaus werde auch bei der On-Premises-Lösung das Produkt von der Beklagten an die Wünsche der Kunden individuell angepasst und laufend betreut. Bereits im Jänner 2020 habe die Erstklägerin klargestellt, dass das IPTV-Angebot der Beklagten in ihre ausschließlichen Rechte eingreife und der Online-Videorecorder und die Replay-Funktion nicht von der Privatkopienausnahme gedeckt seien. Hinsichtlich der On‑Premises-Lösung liege eine öffentliche Wiedergabe im Sinn von Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG vor.
[9] Die Beklagte hält dem entgegen, die durch ihren Dienst erstellten Vervielfältigungen seien zulässige digitale Privatkopien im Sinn des § 42 UrhG. Endkunden werde nur Infrastruktur samt Datenspeicher zur Verfügung gestellt, sodass nur die Endkunden einzelne Aufnahmen starten und beenden könnten. Die Organisationshoheit für die Kopierfunktion liege nicht bei der Beklagten, und sie erstelle keine urheberrechtsrelevante Masterkopie. Das im Hintergrund laufende Verfahren der De-Duplizierung diene nur der Ressourcenoptimierung. Im Ergebnis werde bloß das System des lokalen Videorecorders bzw Festplattenrecorders umgesetzt. Die Nutzung der Funktionalitäten ihrer On‑Premises-Lösung durch ihre Kunden liege außerhalb ihres rechtlichen Einflussbereichs. Sie selbst stelle nur die nötige Hard- und Software bei und habe nicht einmal mittelbar Herrschaft über die Nutzung ihres Systems.
[10] III. Bisheriges Verfahren
[11] Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag mit Ausnahme des Begehrens zu Punkt a.) statt.
[12] Das Rekursgericht gab nur dem Rekurs der Klägerinnen Folge und änderte die von beiden Seiten angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es dem Sicherungsantrag zur Gänze stattgab. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach die in Rede stehenden Vervielfältigungen durch den Online-Videorecorder der Beklagten nach der konkreten technischen Ausgestaltung des Kopiervorgangs der Beklagten und nicht den Endkunden zuzurechnen seien, weshalb die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG nicht eingreife. Mit dem Erstgericht ging es weiters rechtlich davon aus, dass die Beklagte im Rahmen der von ihr angebotenen On-Premises-Lösung nicht bloß Technologie bereitgestellt habe, sondern ihren Kunden wissentlich ermöglicht habe, auf die Sendungen der Klägerinnen zuzugreifen, sodass eine öffentliche Wiedergabe im Sinn des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG vorliege.
[13] Der Oberste Gerichtshof hat über den dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Beklagten zu entscheiden, mit dem diese die vollständige Abweisung des Sicherungsantrags anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[14] IV. Rechtsgrundlagen
[15] Die Richtlinie 2001/29/EG lautet (auszugsweise):
Art 2
Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:
[…]
e) für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.
Art 3 Abs 1
Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.
Art 5
[…]
(2) Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen:
[…]
b) in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei berücksichtigt wird, ob technische Maßnahmen gemäß Artikel 6 auf das betreffende Werk oder den betreffenden Schutzgegenstand angewendet wurden;
[…]
(5) Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.
[16] § 15 Abs 1 (österreichisches) UrhG lautet:
Der Urheber hat das ausschließliche Recht, das Werk – gleichviel in welchem Verfahren, in welcher Menge und ob vorübergehend oder dauerhaft – zu vervielfältigen.
[17] § 17 Abs 1 UrhG lautet:
Der Urheber hat das ausschließliche Recht, das Werk durch Rundfunk oder auf eine ähnliche Art zu senden.
[18] § 18 Abs 3 UrhG lautet:
Zu den öffentlichen Vorträgen, Aufführungen und Vorführungen gehören auch die Benutzung einer Rundfunksendung oder öffentlichen Zurverfügungstellung eines Werkes zu einer öffentlichen Wiedergabe des gesendeten oder der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellten Werkes durch Lautsprecher oder durch eine andere technische Einrichtung sowie die auf eine solche Art bewirkte öffentliche Wiedergabe von Vorträgen, Aufführungen oder Vorführungen eines Werkes außerhalb des Ortes (Theater, Saal, Platz, Garten u. dgl.), wo sie stattfinden.
[19] § 18a Abs 1 UrhG lautet:
Der Urheber hat das ausschließliche Recht, das Werk der Öffentlichkeit drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise zur Verfügung zu stellen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.
[20] § 42 UrhG lautet (auszugsweise):
[…]
(4) Jede natürliche Person darf von einem Werk einzelne Vervielfältigungsstücke auf anderen als den in Abs. 1 genannten Trägern zum privaten Gebrauch und weder für unmittelbare noch mittelbare kommerzielle Zwecke herstellen.
(5) Eine Vervielfältigung zum eigenen oder privaten Gebrauch liegt vorbehaltlich der Abs. 6 und 7 nicht vor, wenn sie zu dem Zweck vorgenommen wird, das Werk mit Hilfe des Vervielfältigungsstückes der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, oder wenn hiefür eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird. Zum eigenen oder privaten Gebrauch hergestellte Vervielfältigungsstücke dürfen nicht dazu verwendet werden, das Werk damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
[…]
[21] § 59a UrhG lautet:
(1) Das Recht, Rundfunksendungen von Werken einschließlich solcher über Satellit zur gleichzeitigen, vollständigen und unveränderten Weitersendung mit Hilfe von Leitungen zu benutzen, kann nur von Verwertungsge-sellschaften geltend gemacht werden; dies gilt jedoch nicht für das Recht, Verletzungen des Urheberrechtes gerichtlich zu verfolgen.
(2) Rundfunksendungen dürfen zu einer Weitersendung im Sinn des Abs. 1 benutzt werden, wenn der weitersendende Rundfunkunternehmer die Bewilligung dazu von der zuständigen Verwertungsgesellschaft (§ 1 Verwertungsgesellschaftengesetz 2006) erhalten hat. Mit Beziehung auf diese Bewilligung haben auch die Urheber, die mit der Verwertungs -gesellschaft keinen Wahrnehmungsvertrag geschlossen haben und deren Rechte auch nicht auf Grund eines Gegenseitigkeitsvertrags mit einer ausländischen Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden, dieselben Rechte und Pflichten wie die Bezugsberechtigten der Verwertungsgesellschaft.
(3) Die Abs. 1 und 2 gelten jedoch nicht, soweit das Recht zur Weitersendung im Sinn des Abs. 1 dem Rundfunkunternehmer, dessen Sendung weitergesendet wird, zusteht.
[22] § 76a UrhG lautet (auszugsweise):
(1) Wer Töne oder Bilder durch Rundfunk oder auf eine ähnliche Art sendet (§ 17, Rundfunkunternehmer), hat mit den vom Gesetz bestimmten Beschränkungen das ausschließliche Recht, die Sendung gleichzeitig über eine andere Sendeanlage zu senden und zu einer öffentlichen Wiedergabe im Sinne des § 18 Abs. 3 an Orten zu benutzen, die der Öffentlichkeit gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes zugänglich sind; der Rundfunkunternehmer hat weiter das ausschließliche Recht, die Sendung auf einem Bild- oder Schallträger (insbesondere auch in Form eines Lichtbildes) festzuhalten, diesen zu vervielfältigen, zu verbreiten und zur öffentlichen Zurverfügungstellung zu benutzen. Unter der Vervielfältigung wird auch die Benutzung einer mit Hilfe eines Bild- oder Schallträgers bewirkten Wiedergabe zur Übertragung auf einen anderen verstanden.
(2) Dem Abs. 1 zuwider vervielfältigte oder verbreitete Bild- oder Schallträger dürfen zu einer Rundfunksendung (§ 17) oder zu einer öffentlichen Wiedergabe nicht benutzt werden.
(3) Zum privaten Gebrauch und weder für unmittelbare noch mittelbare kommerzielle Zwecke darf jede natürliche Person eine Rundfunksendung auf einem Bild- oder Schallträger festhalten und von diesem einzelne Vervielfältigungsstücke herstellen. § 42 Abs. 2 und 3 sowie 5 bis 7 und § 42a gelten entsprechend.
[…]
[23] V. Vorlagefragen
[24] Zur ersten Vorlagefrage:
[25] 1. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob die mit Hilfe des von der Beklagten angebotenen Online‑Videorecorders erstellten Vervielfältigungen von Sendungsinhalten unter die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG fallen.
[26] 2. In zwei rezenten Entscheidungen hat sich der Senat (ausgehend von ähnlichen Sachverhaltskonstellationen) bereits umfassend mit der (auch hier maßgeblichen) Frage auseinandergesetzt, ob eine im Rahmen des angewandten De‑Duplizierungsverfahrens technisch erstellte Sendungskopie dem Endnutzer oder aber dem kommerziellen Anbieter des Online-Videorecorders mit der Folge selbst zuzurechnen ist, dass sich dieser nicht auf die Schutzschranke des § 42 Abs 4 UrhG berufen kann.
[27] 2.1. In der Entscheidung zu 4 Ob 149/20w übernahm der Senat den vom deutschen Bundesgerichtshof judizierten Ansatz, wonach für die Zurechnung vor allem darauf abzustellen ist, wer die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen hat (zuletzt etwa BGH I ZR 32/19 = GRUR 2020, 735). Maßgebend ist nach dieser Auffassung weiters, ob in technischer Hinsicht eine Kopie der Sendung nur für den jeweiligen konkreten Nutzer erstellt wird, oder ob von der Fernsehsendung eine Masterkopie (oder eine Art Kopiervorlage) angefertigt und jedem Nutzer, der sie ansehen will, sodann (nur) ein Zugriff darauf gewährt wird (BGH I ZR 216/06 = MMR 2009, 620; I ZR 151/11 = ZUM‑RD 2013, 114). Ausgehend von dem in diesem Fall konkret angewandten technischen Verfahren der De‑Duplizierung war an der Organisationshoheit der Betreiberin des Online‑Videorecorders über das Aufnahmegeschehen nicht zu zweifeln, erfolgte doch die Speicherung und Vervielfältigung initiativ durch die Betreiberin auf ihren Servern; deren Kunde hatte nur ein Zugriffsrecht auf die (einzige) Kopie.
[28] 2.2. In der nachfolgenden Entscheidung zu 4 Ob 185/20i war (wie auch im vorliegenden Fall) ein kommerziell angebotener Online-Videorecorder mit siebentägiger Catch Up-Funktion zu beurteilen, der es dem Kunden nach einmaliger Aktivierung erlaubte, auf eine beliebige Sendung, die in den letzten sieben Tagen ausgestrahlt wurde, zuzugreifen, ohne noch einen individuellen Aufnahmeauftrag für die jeweilige Sendung erteilen zu müssen. Der Senat gelangte auch dort zur Auffassung, dass die Betreiberin die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen habe, weil die Vorhaltung (und damit die Speicherung und Vervielfältigung) der Sendungen im Ergebnis von der Beklagten veranlasst wird und der Nutzer auf die vorgehaltenen Sendungen nur zugreifen, aber über deren Herstellung organisatorisch nicht verfügen kann. Der Umstand, dass der Nutzer die Funktion zu Beginn der Nutzung einmal aktivieren muss, war ebenso wenig von Bedeutung wie die Frage, ob eine Masterkopie oder eine sonstige zentrale Kopiervorlage zum Einsatz kommt (vgl Rz 38, 39).
[29] 3. Die Beklagte hält dieser Auffassung nunmehr im Kern entgegen, sie verkenne, dass (zum Ersten) bei der von ihr eingesetzten Technik auf eine Masterkopie verzichtet werde, dass (zum Zweiten) auch jede einzelne Aufnahme (und zwar auch die Daueraufnahme im Rahmen der Replay‑Funktion) von einem Nutzer initiiert werden müsse, sodass von einer Veranlassung eines Kopiervorgangs durch die Betreiberin des Online-Videorecorders keine Rede sein könne, und dass (zum Dritten) kein weiterer Nutzer, der die betreffende Aufnahme nicht selbst programmiert habe, auf die entsprechende Kopie zugreifen könne. Die Kopie bleibe auch nur bestehen, solange noch zumindest ein Nutzer die Programmierung der jeweiligen Aufnahme nicht aufgehoben habe. All das laufe vollständig automatisiert ab, ohne dass die Beklagte in den Prozess eingreife, weshalb bei gebotener technologieneutraler Betrachtung aus Sicht des Nutzers nichts anderes geschehe als bei der Aufnahme einer Sendung mit einem klassischen VHS-Recorder.
[30] Die Auffassung des vorlegenden Gerichts stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach es für die Frage, wer die Vervielfältigung vornehme, nicht darauf ankomme, wem das Speichermedium gehöre (Rs C-467/08 , Padawan, Rn 48). Dementsprechend stelle auch die Entscheidung in der Rs C‑265/16 , VCAST/RTI, Rn 35, 37, klar, dass es für die Zulässigkeit einer Privatkopie keine Rolle spiele, ob die betreffende natürliche Person die Anlagen, Geräte oder Medien zur Vervielfältigung selbst besitze oder von Dritten eine Vervielfältigungsdienstleistung (auch entgeltlich) in Anspruch nehme, um die Privatkopie durchzuführen. Wesentlich sei für die Privatkopieausnahme, dass sich der Speicherplatzanbieter auf die bloße Organisation der Vervielfältigung beschränke, also Kopien, die von Dritten angefertigt werden, anlege. Wenn der Speicherplatzanbieter aber auch eigenmächtig Zugriffsrechte an andere vergebe (wie zB bei einer Masterkopie durch Vorhaltung von Inhalten) und so die Organisationshoheit übernehme, dann gewährleiste er zugleich die Vervielfältigung und die Zurverfügungstellung der von ihm erfassten Werke. Genau diese Doppelfunktion liege hier jedoch nicht vor: Die Beklagte biete im Zusammenhang mit non-linearen Diensten nur ein Storage-/Speichersystem an, jedoch keinen darüber hinausgehenden Dienst des Zurverfügungstellens von Inhalten.
[31] 4.1. Bedenken an der Vereinbarkeit der Auffassung des vorlegenden Gerichts mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union äußerte jüngst Handig (Anm zu OGH 4 Ob 149/20w, ÖBl 2021/31): Das vom Obersten Gerichtshof im Anschluss an den Bundesgerichtshof erzielte Ergebnis sei zwar rechtsdogmatisch nachvollziehbar. Es sei jedoch überraschend, dass bei identer Nutzungsintensität die Erstellung einer größeren Zahl von Kopien urheberrechtlich unbedenklicher sein soll als beim angewandten De-Duplizierungsverfahren. Damit dränge sich die Frage auf, ob der Gerichtshof der Europäischen Union im Fall der Befassung mit diesem Thema nicht einfach darauf abstellen würde, wer die Erstellung der Kopie veranlasst habe, nicht aber auf die nachfolgenden technischen Vorgänge, die auf dem Server des Dienstleisters abliefen.
[32] 4.2. Auch Burgstaller/Thiele (Technologie- Neutralität des Urheberrechts fördert Green IT, ZIIR 2021, 1 f) weisen zuletzt – entsprechend dem Prozessstandpunkt der hier Beklagten – darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof selbst in der Entscheidung 4 Ob 149/20w den „technologieneutralen Ansatz“ des Urheberrechts (neuerlich) hervorhebe; ausgehend davon sei die Privatkopieregelung nicht am Maßstab der Technik zu messen, sondern alleine daran, ob das De-Duplizierungsverfahren mit der Intention der zulässigen Privatkopie in Einklang zu bringen sei. Es komme auf die Sicht des Nutzers und nicht auf die im Hintergrund ablaufende technische Umsetzung an. Wesentlich sei, dass bei diesem Verfahren die Konsumation von der natürlichen Person angestoßen und auch wieder beendet wird, während der tatsächliche Bereitsteller des Trägermaterials keine organisatorischen (insb rechtevergebenden) Handlungen im Sinne einer Zurverfügungstellung vornehme. Die Privatkopieregelung stehe hingegen nicht zur Verfügung, wenn ein Storagebetreiber eine Masterkopie eines Werks erstelle und den Kunden Zugriff darauf gewähre.
[33] 5. Das (soweit ersichtlich) überwiegende Schrifttum in Österreich und Deutschland geht indes davon aus, dass – nicht zuletzt nach den Vorgaben der Entscheidung C‑265/16 , VCAST/RTI – der kommerzielle Betrieb eines Online-Videorecorders, bei dem im Ergebnis Sendeinhalte vorgehalten werden, um sie Endnutzern zugänglich zu machen, unabhängig von der Frage, wer den Aufnahmevorgang formell eingeleitet hat, nicht unter die Privatkopieausnahme fallen kann:
[34] 5.1. Nach Walter (Anm zu OGH 4 Ob 149/20w, MR 2020, 307 [317]) sei etwa aus der Entscheidung VCAST/RTI die Tendenz ableitbar, dass der Gerichtshof der Europäischen Union weniger technische Abläufe oder (schwierige) Zuordnungen in den Vordergrund rücke, sondern vielmehr auf die Funktionalität abstelle, womit auch unterschiedliche Geschäftsmodelle erfasst werden könnten. Auch dann, wenn die Auswahl der aufzuzeichnenden Sendungen (im Voraus) vom Nutzer bestimmt werde, sei der Gerichtshof nicht von einer bloß dem Endnutzer zuzurechnenden Vervielfältigung zu dessen privaten Gebrauch ausgegangen, sondern von einem „Service“, welches dem Anbieter zuzurechnen sei und eine zustimmungspflichtige öffentliche Wiedergabe darstelle.
[35] 5.2. Schmitt (Neues zur Weitersendung von TV‑Programmen und zu Online-Videorekordern, jusIT 2021, 15 [21 f]) hält zur Entscheidung des vorlegenden Gerichts zu 4 Ob 149/20w fest, dass es nicht überrasche, dass der dort zu beurteilende Online-Videorecorder nicht unter die freie Werknutzung im Rahmen der Privatkopieausnahme falle, zumal seine Funktionsweise (Speicherung des gesamten Sendeangebots für den Fall, dass ein Nutzer auf irgendeinen der gespeicherten Inhalte später zurückgreifen möchte) eher an eine Streaming-Plattform erinnere, deren Betreiber auch in das Zurverfügungstellungsrecht des Urhebers eingreife. Darüber hinaus müsste die Aufnahme auch individuell und nach Anfrage und Anweisung des Nutzers durchgeführt werden (und daher gerade nicht mittels De‑Duplizierungsverfahren), um die zu Recht aufgestellten zusätzlichen Kriterien (nämlich keine Organisationshoheit und keine Initiative desjenigen, der die Kopie anfertigt) zu erfüllen.
[36] 5.3. Skeptisch gegenüber dem bloßen Abstellen auf die Frage, wer die Aufnahme beim Videorecorder initiiert hat, zeigt sich in der deutschen Lehre auch Stieper (Urheberrecht in der Cloud, ZUM 2019, 1 [5 f]): Wenn der Hersteller einer Kopie, der den technischen Vorgang der Vervielfältigung in einem Ausmaß und in einer Intensität vornehme, die sich mit den Gründen, die die Privilegierung des Privatgebrauchs rechtfertige, bei normativer Bewertung nicht mehr vereinbaren lasse, falle dieses Verhalten nicht unter die Privatkopieausnahme. Die Vervielfältigung sei dann dem Hersteller, der den technischen Vorgang ausführe, und nicht seinem Auftraggeber zuzurechnen. In diesem Sinne lasse sich auch das Urteil VCAST/RTI verstehen, in dem betont werde, dass sich VCAST als Erbringer der Dienstleistung „nicht auf die Organisation der Vervielfältigung beschränkt, sondern darüber hinaus einen Zugang – zum Zweck ihrer Vervielfältigung – zu den Sendungen bestimmter Fernsehkanäle liefert, die aus der Ferne aufgezeichnet werden können“.
[37] Bisher umgehe die Rechtsprechung in Deutschland diese Folge allerdings, indem sie derartige Vervielfältigungen ausschließlich dem privaten Nutzer zurechne. Insbesondere habe der Bundesgerichtshof für die mittels eines Internet-Videorecorders erstellten Kopien den Nutzer des Dienstes als Hersteller angesehen, sofern seine Programmierung der Aufzeichnung einen vollständig automatisierten Vorgang auslöse. Überzeugend sei das nicht. Danach sei Hersteller, wer buchstäblich „aufs Knöpfchen drückt“. Die engen Grenzen, die § 53 Abs 1 Satz 2 dUrhG für eine Vervielfältigung durch Dritte ziehe, würden dadurch vollständig unterlaufen. Maßgeblich müsse nach allgemeinen Zurechnungsgrundsätzen sein, wer die Tatherrschaft über den Vervielfältigungsvorgang ausübe. Dafür sei entscheidend, in wessen Einflusssphäre sich der Kopiervorgang abspiele und wer bei wertender Betrachtung für den Vervielfältigungsvorgang verantwortlich sei. Die bloße Überlassung technischer Hilfsmittel reiche für die Annahme einer Tatherrschaft als solche zwar nicht aus. Wenn aber der technische Vorgang der Vervielfältigung (wie bei Internet‑Videorecordern) außerhalb der geschützten Privatsphäre des privilegierten Nutzers durch einen gewerblich handelnden Dritten bestimmt und kontrolliert werde und der Nutzer auf die in seinem Auftrag hergestellten Vervielfältigungsstücke lediglich nach Maßgabe der vom Dienstanbieter eingerichteten Infrastruktur zugreifen könne, ohne jemals Eigentum an dem hergestellten Vervielfältigungsstück erlangen zu können, sei der Dienstanbieter als Hersteller anzusehen. Allein der Umstand, dass der Nutzer den Vervielfältigungsvorgang auslöse und gegebenenfalls auch wieder abbreche, könne seine (alleinige) Tatherrschaft nicht begründen.
[38] 5.4. In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen Haedickes (Die urheberrechtliche Beurteilung von Online-Videorekordern, ZUM 2016, 594 [602 f]). Er vertritt mit Blick auf die von Betreibern von Online-Video-recordern angebotenen exzessiven „24 h/7 d‑Aufnahmen“ von Fernsehprogrammen (im Zuge derer große Teile des Fernsehprogramms oder sogar das gesamte Fernsehprogramm sämtlicher Sender über 24 Stunden täglich aufgenommen und über mehrere Tage hinweg zum Abruf bereitgestellt werden) die Auffassung, weder beherrsche in einem solchen Fall der private Nutzer den technischen Aufnahmeprozess, noch habe er über diesen die Organisationshoheit inne; er steuere auch nicht die einzelne Sendung an. Allenfalls bestehe seine Handlung im einmaligen Anklicken eines Aufnahmeknopfs zu Beginn des Abonnementlaufs; auf diese eher symbolische Handlung könnte wohl auch technisch verzichtet werden, sobald das Nutzerkonto aktiviert worden sei. Daher fehle jeder auf einzelne Sendungen bezogene individualisierte Herstellungsbeitrag. Der Nutzer könne die Aufnahme einzelner Fernsehsender oder Sendungen nicht stoppen. Für den Nutzer werde schlichtweg „alles“ aufgenommen. Wertungsmäßig stelle der Kunde nicht mithilfe des Online‑Videorecorder-Betreibers in Eigenregie eine Aufnahme von Fernsehsendungen her, sondern er profitiere von einer allein durch den Betreiber des Online-Videorecorders angelegten Mediathek, in der die gesamten Fernsehsignale verschiedener Fernsehsender abrufbar seien. Den Kunden pauschal, also auch bei Nutzung eines Online‑Videorecorders mit der angesprochenen „catch‑up“‑Funktion, als Hersteller zu qualifizieren, führte dazu, dass die Privatkopieschranke auch das Geschäftsmodell der Betreiber von Online-Videorecordern tragen würde, die die Rechte der Fernsehsender in besonders intensiver Weise kommerziell nutzten.
[39] 5.5. Eine sehr restriktive Position gegenüber solchen Geschäftsmodellen, die auf der kommerziellen Auswertung von Schutzschranken wie insbesondere der Privatkopieausnahme fußen, nimmt auch Schäfter (Die digitale Privatkopie im Zeitalter der „Exception based Business Models“, GRUR 2020, 1248 ff [insb 1255]) ein, der sich dafür ausspricht, solche Praktiken wesentlich genauer als bisher auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen des EU‑Rechts zu untersuchen. Die Schranke des § 53 Abs 1 dUrhG dürfe weder für Kopien nach rechtswidrigen Vorlagen gelten (selbst wenn deren Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist), noch dürfe privat kopiert werden, wenn das Geschäftsmodell des Diensteanbieters gegen die Anforderungen des Dreistufentests verstoße.
[40] 5.6. Fischer (nPVR, Tethered Downloads und Cloud – neue Anwendungsfälle der Speichermedienvergütung? MR 2016, 326 ff) zweifelt, ob (jedenfalls bei bestehender „catch-up“- bzw Replay-Funktion) eine Betrachtung, die die mittels Online-Videorecorder erstellten Kopien dem privaten Endnutzer zurechnet, dem Dreistufentest standhält. Gerade die „catch-up“-Funktion weise darauf hin, dass sich bei einer solchen komplexen, automatisierten Aufnahme- und Speicher-Dienstleistung das Schwergewicht funktional vom privaten Nutzer zum Dienstleister verlagere und dieser zum Hersteller der Kopie werde.
[41] 6.1. Das vorlegende Gericht hält die Argumentation der unter Punkt 5. angeführten Stimmen in der Lehre für berechtigt: Ausgehend von einer wohl gebotenen funktionalen Betrachtung kann jedenfalls Betreibern von Online-Videorecordern, die im Rahmen ihres Geschäftsmodells den technischen Vorgang der Vervielfältigung (etwa im Rahmen der angesprochenen Replay-Funktion) in einer Intensität betreiben, dass sie letztlich in der praktischen Auswirkung eine solche Menge an Sendeinhalten vorhalten, dass sie sich dem Angebot einer Online-Mediathek bzw eines Streaming-Portals zumindest annähern, nicht zugebilligt werden, sich auf die Privilegierung des Privatgebrauchs zu berufen, geht doch ihre Dienstleistung in diesem Fall bei wertender Gesamtschau sehr wohl über jene eines Speicherplatzanbieters hinaus. Auf die formale Frage, wer den (Dauer-)Kopiervorgang initiiert, kann es demnach schon deshalb nicht ankommen, weil sich sonst durch geschickte Vertragsgestaltung oder aber auch Gestaltung der im Hintergrund ablaufenden technischen Vorgänge Umgehungsmöglichkeiten ergäben.
[42] 6.2. Nimmt man weiters darauf Bedacht, dass sich die Beklagte im vorliegenden Fall im Rahmen der von ihr angebotenen Komplettlösungen nicht auf die Organisation der Vervielfältigung beschränkt, sondern Nutzern darüber hinaus Zugang zu geschützten Sendungsinhalten der Klägerinnen ohne deren Zustimmung vermittelt, scheitert die Anwendung der Privatkopieausnahme überdies – jedenfalls in Bezug auf den Cloud-Dienst der Beklagten – schon am Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe im Sinn des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG .
[43] 6.3. Die hier aufgeworfene Auslegungsfrage zur Reichweite des Art 5 Abs 2 lit b Richtlinie 2001/29/EG ist allerdings aus Sicht des vorlegenden Gerichts nicht so eindeutig zu beantworten, dass von einem Fehlen von Auslegungszweifeln („acte clair“) auszugehen wäre.
[44] Zur zweiten Vorlagefrage:
[45] 7. Zu prüfen ist im vorliegenden Fall weiters die Frage, ob die Beklagte auch im Rahmen der von ihr bereitgestellten On-Premises-Komplettlösung selbst eine öffentlichen Wiedergabe von geschützten Sendungsinhalten im Sinn des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG zu verantworten hat.
[46] 8. Die Vorinstanzen stützen ihre Bejahung der darauf gestützten Unterlassungsansprüche der Sendeunternehmen im Kern auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rs C‑527/15 , Stichting Brein I („Filmspeler“), in der der Gerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass eine (unmittelbare) öffentliche Wiedergabe geschützter Werke auch vornimmt, wer die unzulässige Übertragung durch Dritte erleichtert, wenn er sich (im Sinn des ErwGr 27 Richtlinie 2001/29/EG ) nicht auf die bloße (körperliche) Bereitstellung von Einrichtungen beschränkt, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, sondern – insbesondere unter Bedachtnahme auf sein wissentliches Tätigwerden – eine zentrale Rolle bei der Übertragung einnimmt.
[47] 9. Unter welchen besonderen Voraussetzungen in extensiver Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Wiedergabe“ (vgl die grundsätzliche Kritik von GA Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen vom 16. 7. 2020 zu C‑682/18 und 683/19, Rn 65, 98 f und 102 mwN; weiters Kohler/Seyr/Puffer-Mariette, Unionsrecht und Privatrecht: Zur Rechtsprechung des EuGH im Jahre 2017, ZEuP 2019, 126 [163 ff]) auch Handlungen, die nicht selbst als Übertragung zu beurteilen sind, sondern die Übertragung durch Dritte nur erleichtern, in den Anwendungsbereich des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG fallen, ist aus Sicht des vorlegenden Gerichts auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht mit letzter Klarheit zu beurteilen:
[48] 9.1. In bereits mehreren Entscheidungen hat der Gerichtshof zwar allgemein festgehalten, dass eine „zentrale Rolle“ bei der Übertragung im zuvor angesprochenen Sinn einnimmt, wer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das ausgestrahlte Werk grundsätzlich nicht oder nur schwer empfangen könnten (vgl C‑527/15 , Stichting Brein I [„Filmspeler“], Rn 31; C‑610/15 , Stichting Brein II [„The Pirate Bay“], Rn 26; siehe bereits C-117/15 , Reha Training, Rn 46, und C‑160/15 , GS Media, Rn 35 mwN).
[49] Zugleich wurde dort ausgesprochen, dass die Beurteilung ganz wesentlich von einer wertenden Gesamtbetrachtung ausgehend von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt, indem er ausführt, es sei eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Diese Kriterien seien deshalb einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden, da sie im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können (vgl C-527/15 , Stichting Brein I [„Filmspeler“], Rn 30 mwN; C-610/15 , Stichting Brein II [„The Pirate Bay“], Rn 25).
[50] 9.2. Dessen ungeachtet bedarf es nach Auffassung des vorlegenden Gerichts noch einer Klarstellung, insbesondere in Ansehung der Frage, welche subjektiven Tatbestandsmerkmale beim Bereitstellenden der maßgeblichen Einrichtungen vorliegen müssen, damit von dessen „zentraler Rolle“ bei der Übertragung ausgegangen werden kann:
[51] Die vom Gerichtshof der Europäischen Union in verfestigter Judikatur gebrauchte Wendung „[…] tätig wird, um […] Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen […]“ deutet darauf hin, dass im Regelfall neben der explizit angesprochenen „vollen Kenntnis“ des Bereitstellenden, also der Wissentlichkeit, in Bezug auf die Folgen seines Verhaltens zusätzlich ein absichtliches bzw zielgerichtetes Tätigwerden in dem Sinn zu fordern sein wird, dass die Bereitstellung der Einrichtungen gerade auf den Eingriff in geschützte Werke abzielen muss. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn das bereitgestellte Produkt speziell auf die unerlaubte Übertragung von geschützten Sendeinhalten ausgerichtet ist.
[52] Hingegen legen die konkreten Sachverhaltsumstände, die der Entscheidung Stichting Brein I („Filmspeler“) zugrunde lagen, nahe, dass die bloße Kenntnis des kommerziellen Anbieters des Medienabspielers davon, dass das bereitgestellte Produkt von Dritten (neben maßgeblichen erlaubten Nutzungsmöglichkeiten) auch für die unerlaubte öffentliche Wiedergabe geschützter Inhalte verwendet werden kann bzw tatsächlich verwendet wird, im Allgemeinen nicht ausreicht: Dort nahm der Anbieter bewusst eine Vorinstallation von Add-ons auf dem von ihm vertriebenen Medienabspieler vor, die dessen Erwerbern speziell Zugang zu geschützten Werken verschafften, die auf (sonst von der Öffentlichkeit nicht leicht ausfindig zu machenden) Streamingseiten ohne Erlaubnis der Rechteinhaber veröffentlicht wurden, und warb mit dieser besonderen Funktionalität, die auch einen Hauptanreiz für potenzielle Erwerber des Produkts darstellte (vgl Rn 41, 50 f).
[53] 9.3. Setzt man im dargelegten Sinn ein zielgerichtetes Tätigwerden des Anbieters des von Dritten zur öffentlichen Wiedergabe geschützter Werke benützten Produkts als entscheidendes Kriterium für die Bejahung einer „zentralen Rolle“ bei der Übertragung voraus, wenn nicht ausnahmsweise besondere andere Umstände des Einzelfalls das Fehlen dieses subjektiven Elements auszugleichen vermögen, ist nach Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts im vorliegenden Fall eine unmittelbare öffentliche Wiedergabe geschützter Werke seitens der Beklagten im Rahmen der von ihr bereitgestellten On-Premises-Lösung zu verneinen, zumal sie mit ihrer IPTV-Komplettlösung kein Produkt anbietet, das geradezu auf den Eingriff in Werknutzungsrechte ausgerichtet ist, indem es einen speziellen Zugang zu geschützten Werken verschafft, die sonst nur schwer empfangen werden könnten.
[54] 9.4. Dieses Verständnis ist allerdings nicht zwingend und kontrastiert auch mit den Ausführungen des GA Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen vom 16. 7. 2020 zu C‑682/18 und C‑683/19 , Rn 110 ff. Danach soll das „wissentliche Erleichtern“ der rechtswidrigen Handlungen Dritter ausreichen, ohne dass neben dieser kognitiven Komponente des Vorsatzes des kommerziellen Anbieters noch auf ein zusätzliches voluntatives Element, also auf eine – speziell gesteigerte – Wollenskomponente abzustellen wäre. In diesem Fall hätte die Beklagte (ausgehend von den Sachverhaltsannahmen des vorliegenden Falls) eine öffentliche Wiedergabe im Sinn des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG zu verantworten.
[55] VI. Verfahrensrechtliches
[56] Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen hier vor.
Zu C.
[57] Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Verfahren über das Rechtsmittel gemäß § 90a Abs 1 GOG zu unterbrechen.
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