OGH 15Os29/21k

OGH15Os29/21k22.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. E***** G***** gegen die Antragsgegnerin o***** GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ 111 Hv 141/19x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung des Antragstellers und der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00029.21K.0422.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. E***** G***** gegen die Antragsgegnerin o***** GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 9. März 2020, GZ 111 Hv 141/19x‑9, aus, dass durch den auf der Website www.o ***** am 12. September 2019 unter dem Titel „Ibiza-Video: Verdächtige hatten Kontakt zur Polizeispitze“ veröffentlichten Artikel mit dem weiteren Inhalt, der Antragsteller habe mit den „kriminellen Produzenten des Ibiza-Videos“ Kontakt gehabt und scheine in einem Organigramm der „mutmaßlich kriminell agierenden Firma“ der „Ibiza-Video-Produzenten“ als für „bilaterale Verbindungen/Europa“ zuständig auf, wodurch der Eindruck vermittelt wurde, er sei Mitarbeiter einer Firma, die sich krimineller Methoden bediene, in Bezug auf den Antragsteller der objektive Tatbestand der üblen Nachrede hergestellt und damit der Tatbestand nach § 6 Abs 1 MedienG verwirklicht wurde. Es verpflichtete die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Entschädigung sowie zur Urteilsveröffentlichung.

[2] Der dagegen erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 13) gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 26. August 2020, AZ 17 Bs 187/20d (ON 18), nicht Folge. Zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung übernahm das Berufungsgericht die folgenden vom Erstgericht getroffenen (hier zusammengefasst wiedergegebenen) Feststellungen:

[3] Der durchschnittliche Leser der Website www.o ***** versteht die Veröffentlichung nicht nur derart, dass sich der […] Antragsteller „zwei- bzw. mehrmals“ mit einer oder mehreren Personen getroffen habe, die für ein Unternehmen tätig seien, in dem auch der mutmaßliche Regisseur des Ibiza-Videos und einige weitere vorbestrafte Personen, denen kriminelle Arbeitsmethoden unterstellt werden, beschäftigt seien, sondern entnimmt ihr […] insbesondere, dass der Antragsteller organisatorisch – als „für Europa/bilaterale Verbindungen“ zuständig – in dieses Unternehmen eingebunden war. Er versteht die Veröffentlichung weiters so, dass sich der Antragsteller (laut einem im Artikel zitierten Zeugen) mehrmals mit anderen Mitgliedern dieser – für ihre illegalen Methoden und vorbestraften Mitarbeiter bekannten – Firma, darunter auch eine Person, bei der bereits eine Hausdurchsuchung der SOKO Ibiza stattgefunden habe, traf. Beim Leser entsteht daher insgesamt der Eindruck, es gäbe wichtige Indizien dafür, dass der Antragsteller Mitarbeiter eines höchst kriminell agierenden Unternehmens (gewesen) sei.

[4] Tatsächlich hatte der Antragsteller im Jahr 2007 und im Mai 2010 in völlig anderen Zusammenhängen Kontakt mit einem der im beschriebenen Artikel erwähnten Detektive, „nämlich mit S***** W*****“. Weitere Kontakte oder Treffen zwischen dem Antragsteller und Mitarbeitern des erwähnten Unternehmens fanden nicht statt. Der Antragsteller war für das erwähnte Unternehmen oder einen dortigen Mitarbeiter nie tätig und schon gar nicht organisatorisch in das Unternehmen eingebunden (US 3 f).

[5] Sowohl gegen das in Rede stehende Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als auch gegen jenes des Oberlandesgerichts Wien richtet sich der (nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte) Antrag der Antragsgegnerin o***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG, mit dem eine Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK behauptet wird.

Rechtliche Beurteilung

[6] Dem Antrag kommt – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zu:

[7] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. März 2020 richtet, war er gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Berufung anfechten kann, unzulässig sind (vgl Art 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0124739 [T2, T4], RS0122737 [T40]).

[8] Der gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. August 2020 gerichtete Erneuerungsantrag ist offenbar unbegründet (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG):

[9] Ein Erneuerungsantrag im erweiterten Anwendungsbereich hat nicht nur eine Grundrechtsverletzung darzulegen (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]), sondern hat sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen weckt – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]). Die Behandlung von Erneuerungsanträgen bedeutet somit nicht die Überprüfung einer Rechtssache nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz, sondern beschränkt sich auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS-Justiz RS0129606 [T2]).

[10] Indem der Erneuerungsantrag (teils unter bloßer Wiederholung des im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringens) eigenständige Überlegungen zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Artikels anstellt und insbesondere behauptet, der Antragsteller habe laut Inhalt desselben (bloß) jemanden getroffen, „der unter Umständen eine gerichtlich strafbare Handlung zu verantworten hat“, was nicht tatbildlich iSd § 111 Abs 1 StGB und damit auch nicht anspruchsbegründend nach § 6 Abs 1 MedienG sei, orientiert er sich nicht an der Gesamtheit der eingangs wiedergegebenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Veröffentlichung. Begründungsmängel (Z 5) in Bezug auf diese Tatsachengrundlage oder erhebliche Bedenken gegen deren Richtigkeit (Z 5a) macht der Antrag im Übrigen nicht geltend.

[11] Mit der These, die Meinungsäußerungsfreiheit des Art 10 MRK verbiete es, „dem Äußernden einen Sinngehalt zu unterstellen, der dem Beitrag nicht eindeutig zu entnehmen ist“, unternimmt die Erneuerungswerberin ebenso wenig den Versuch einer argumentativen Bezugnahme auf das Berufungsurteil wie mit dem Hinweis auf den Grundsatz „in dubio pro reo“.

[12] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung teils als unzulässig, teils als offenbar unbegründet zurückzuweisen.

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