OGH 7Ob213/20d

OGH7Ob213/20d24.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hugo Haslwanter, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Oktober 2020, GZ 4 R 102/20m‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 4. Juni 2020, GZ 18 Cg 1/20a‑18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00213.20D.0224.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.647,18 EUR (darin 274,53 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin hatte mit der Beklagten einen – mit 31. 3. 2017 beendeten – Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2012) zugrunde lagen; diese lauten auszugsweise wie folgt:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

...

3. In den übrigen Fällen … gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, ...

...

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung (zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

...

3. Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als 2 Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages für das betreffende Risiko geltend gemacht, besteht unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfalles erlangt, kein Versicherungsschutz.

...“

[2] Das Berufungsgericht hat – nachträglich – ausgesprochen, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Weder das Berufungsgericht noch der Kläger zeigen indes die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1.  Nach Art 2.3 ARB 2012 liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne Weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernstlich behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war, es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RS0114001).

[4] Für einen Aktivprozess des Versicherungsnehmers ist bei der Prüfung der Frage, ob für einen Streit wegen angeblicher Vertragsverletzung Versicherungsschutz zu leisten ist, weil die Vertragsverletzung in die Geltungsdauer der Versicherung fällt, auch auf einredeweise geltend gemachte adäquate Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers Bedacht zu nehmen (7 Ob 36/18x). Es ist daher entscheidend, ob die Behauptung des Gegners des Versicherungsnehmers Grundlage der außergerichtlichen Auseinandersetzung oder des Prozesses ist. Ist dies der Fall, dann gilt der Versicherungsfall im Zeitpunkt des (vom Gegner des Versicherungsnehmers behaupteten) Beginns des Verstoßes des Versicherungsnehmers als eingetreten (RS0082167).

[5] 1.2.  Hier liegt der Keim des Rechtsstreits in der mangelhaft erbrachten Werkleistung der Klägerin bis Jänner 2017. Der Versicherungsfall ereignete sich damit jedenfalls während der Laufzeit des Versicherungsvertrags; auf von der Klägerin im Februar 2017 durchgeführte Restarbeiten, auf ihr allfälliges subjektives Bewusstsein vom Verstoß, darauf, dass sie in der Folge auf die Rechnungslegung vergaß, oder auf den Umstand, dass die Auftraggeberin der Klägerin auch der zweieinhalb Jahre später erstatteten Schlussrechnung entgegentrat, kommt es für den Eintritt des Versicherungsfalls nicht an.

[6] 2.1.  Mit einem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ohne dass es dabei auf ein schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers ankäme (RS0080166, RS0080068).

[7] Art 3.3 ARB 2012 regelt in diesem Sinn einen Risikoausschluss. Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags für das betreffende Risiko geltend gemacht, soll, unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfalls erlangt, kein Versicherungsschutz bestehen. Der Zweck von Ausschlussfristen in Versicherungsbedingungen liegt in der Herstellung von möglichst rascher Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, also darin, den (verspätet in Anspruch genommenen) Versicherer vor Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs zu schützen (vgl RS0082216) und eine alsbaldige Klärung der Ansprüche herbeizuführen (7 Ob 31/20h mwN). Es soll damit eine Ab‑ und Ausgrenzung schwer aufklärbarer und unübersehbarer (Spät‑)Schäden bewirkt werden (7 Ob 22/10a mwN). Ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko soll ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden (RS0080166 [T10]).

[8] 2.2. Dem Art 3.3 ARB 2012 wortgleiche oder vergleichbare Ausschlussklauseln in der Rechtsschutzversicherung waren bereits mehrfach Gegenstand höchstgerichtlicher Entscheidungen (7 Ob 22/10a, 7 Ob 201/12b, 7 Ob 31/20i); die Klausel hat demnach folgenden, bei Unternehmergeschäften wie hier zulässigerweise geltungserhaltend reduzierten Inhalt (7 Ob 31/20i [2.4.] mwN):

[9] Vom Versicherungsschutz sind Versicherungsfälle ausgeschlossen, die dem Versicherer später als (hier) zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags für das betreffende Risiko gemeldet werden, wenn den Versicherungsnehmer an der verspäteten Meldung ein Verschulden trifft oder er unverschuldet erst nach Ablauf der Ausschlussfrist Kenntnis vom Versicherungsfall erlangt, es aber im Sinn des § 33 Abs 1 VersVG unterlässt, unverzüglich eine Schadensmeldung an den Versicherer zu erstatten.

[10] 3.  Die Auftraggeberin machte mit ihrer Mängelrüge vom 3. 1. 2017 deutlich geltend, dass die Klägerin gegen ihre sich aus dem Werkvertrag ergebenden Pflichten zur ordnungsgemäßen und mängelfreien Werkerstellung verstoßen habe. Es steht nicht fest, ob die Klägerin diese Mängel behob; sie wusste daher, dass noch Streitpunkte mit ihrer Auftraggeberin bestanden und nicht endgültig ausgeräumt waren, meldete diesen offensichtlichen Rechtsstreit jedoch bis Oktober 2019 nicht.

[11] Abgesehen davon, dass auch der festgestellte Umstand, wonach die Klägerin in der Folge auf die Rechnungslegung mehrere Jahre lang vergessen hat, keine unverschuldete Unkenntnis vom Versicherungsfall begründet, gilt die Anzeigeobliegenheit nach Ablauf des Vertrags uneingeschränkt: Der Versicherungsnehmer hat dann alle Versicherungsfälle dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen (vgl 7 Ob 206/19y [3.4.]).

[12] 4. Zusammengefasst haben die Vorinstanzen das Begehren der Klägerin nach Deckung in Übereinstimmung mit vorliegender Judikatur verneint, sodass sich keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO stellt. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen.

[13] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Revision nicht zulässig ist.

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