European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130958
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 1.725,12 EUR (darin 287,52 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war seit 2008 bei den Beklagten ununterbrochen auf Basis von jährlich wiederkehrenden, dem TAG (Theaterarbeitsgesetz) unterliegenden Bühnendienstverträgen als Balletttänzerin beschäftigt. Der schriftliche Dienstvertrag der Klägerin enthält die Klausel „Für Streitigkeiten aus diesem Vertag vereinbaren die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichtes aufgrund einer Schiedsvereinbarung gemäß § 9 Abs 2 ASGG.“
[2] Mit Schreiben vom 13. 9. 2019 erklärten die Beklagten gegenüber der Klägerin im Sinne des § 27 TAG, dass das Vertragsverhältnis nicht verlängert werde und mit 31. 8. 2020 beendet sei.
[3] Die Klägerin begehrt, diese nach ihrem Standpunkt als Kündigung eines bereits unbefristeten Dienstverhältnisses aufzufassende Beendigung gemäß § 105 Abs 3 Z 1 und Abs 3 ArbVG für unwirksam zu erklären.
[4] Die Beklagten erhoben die Einreden der Unzulässigkeit des Rechtswegs und der Unzuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichts wegen Schiedsanhängigkeit bzw wirksamer Schiedsvereinbarung. Die Einschränkung der Schiedsgerichtsbarkeit nach § 9 Abs 2 Z 2 2. Halbsatz ASGG finde auf Bühnenarbeitsverträge nach § 40 TAG keine Anwendung. Eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG liege nicht vor, weil die Nichtverlängerung eines zulässig befristeten Bühnendienstverhältnisses keine Kündigung darstelle.
[5] Das Erstgericht verwarf sowohl die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs (unangefochten) als auch die Einrede der Unzuständigkeit.
[6] Nach § 9 Abs 2 ASGG iVm § 40 TAG könnten betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten auch im Anwendungsbereich des Theaterarbeitsgesetzes keinesfalls einem Schiedsgericht übertragen werden. Die Klägerin stütze ihr Begehren auf § 105 Abs 3 ArbVG und die Kündigung eines unbefristeten Dienstverhältnisses, weshalb zweifelsfrei eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit vorliege. Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung komme es nicht darauf an, ob das Klagebegehren berechtigt sei.
[7] Das Rekursgericht gab dem gegen die Abweisung der Unzuständigkeitseinrede gerichteten Rechtsmittel der beklagten Parteien Folge, wies in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses die Klage zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.
[8] Grundsätzlich sei im Anwendungsbereich des TAG bei Vorliegen einer entsprechenden Schiedsvereinbarung das Bühnenschiedsgericht für alle arbeitsrechtlichen Streitigkeiten im Sinn des § 50 Abs 1 ASGG zuständig. Die Frage, ob eine von der Schiedsgerichtsbarkeit ausgenommene betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG vorliege, sei nach dem materiellen Betriebsverfassungsrecht zu lösen. Der Ablehnung der Fortsetzung eines befristeten Bühnendienstverhältnisses komme nach ständiger Rechtsprechung nicht die Wirkung einer Kündigung zu, weshalb schon die Klagsbehauptungen die Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichts nicht begründen könnten. Die Anfechtung einer Nichtverlängerungserklärung sei nicht möglich.
[9] Zur Geltendmachung des aufrechten Bestands eines Bühnenarbeitsvertrags stehe nur eine Feststellungsklage offen, bei der es sich um eine Arbeitsrechtssache nach § 50 Abs 1 ASGG handle.
[10] Der von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs ist im Sinne des Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts zur Klärung der über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von dem TAG unterliegenden Dienstverhältnissen bedeutenden Rechtsfrage zulässig. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Das Rekursgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 41 JN die Entscheidung über die Zuständigkeit zunächst aufgrund jener Tatsachenbehauptungen zu erfolgen hat, auf welche der Kläger sein Begehren stützt, soweit sie dem Gericht nicht als unrichtig bekannt sind. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagtenseite die Unzuständigkeit einwendet und den Einwand nur auf Tatsachen gründet, die zugleich auch Anspruchsvoraussetzungen sind.
[12] Begründen schon die Klagsangaben die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht, dann ist die Klage zurückzuweisen. Begründen sie die Zuständigkeit, erweisen sie sich aber im Verlauf des Verfahrens als unrichtig, dann ist die Klage nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen (Scheuer in Fasching/Konecny 3 § 41 JN Rz 3; Klauser/Kodek, JN–ZPO18 § 41 JN E 5; RIS-Justiz RS0056159; RS0050455; RS0046201 ua).
[13] Die Zuständigkeitsprüfung soll nicht mit einer weitgehenden Sachprüfung belastet werden (10 Ob 66/06p; 6 Ob 148/04i ua). Würde sich erst im Zuge des Beweisverfahrens das Nichtvorliegen der doppelrelevanten Tatsachen herausstellen, könnte das Gericht andernfalls auch keine meritorische Klagsabweisung, sondern stets nur eine Zurückweisung aussprechen (6 Ob 190/05t).
[14] Es hat bei der Maßgeblichkeit der vom Kläger zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vorgetragenen Tatsachen auch dann zu bleiben, wenn der Beklagte seine Unzuständigkeitseinrede nur mit Behauptungen untermauert, die zugleich das Nichtbestehen des eingeklagten Anspruchs belegen sollen. Ob diese „doppelrelevanten Tatsachen“ zutreffen, ist nicht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung des angerufenen Gerichts zu entscheiden, sondern der Sachentscheidung vorbehalten (RS0056159 [T2]).
[15] Die Zuständigkeit des Erstgerichts ist im vorliegenden Fall begründet, wenn das Klagebegehren eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ArbVG über Rechte oder Rechtsverhältnisse, die sich aus dem II., V., VI., VII. oder VIII. Teil des ArbVG, oder aus gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften ergeben, betrifft. Diese Zuordnung ergibt sich aus der Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses oder Rechts und des daraus vom Kläger abgeleiteten Anspruchs.
[16] Die Klägerin hat ihr Begehren ausschließlich auf § 105 Abs 3 ArbVG gestützt und damit begründet, dass die Beklagten eine Kündigung ihres unbefristeten Dienstverhältnisses ausgesprochen hätten. Mit diesen Klagsbehauptungen sind die Voraussetzungen für den Anspruch auf Anfechtung nach § 105 Abs 3 ArbVG ausreichend und schlüssig erfüllt. Ob das Sachvorbringen und die ihm von der Klägerin beigemessene rechtliche Qualifikation zutreffen, obliegt der meritorischen Entscheidung (vgl dazu 8 ObA 68/20p).
[17] Dem Revisionsrekurs war daher durch Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses Folge zu geben.
[18] Die Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO (RS0035955 [T3]; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.329). Die Beklagten haben unabhängig vom Verfahrensausgang der Klägerin die Kosten ihres Revisionsrekurses zu ersetzen.
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