OGH 6Nc4/21x

OGH6Nc4/21x16.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler sowie Univ.‑Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen K*****, geboren am ***** 1988, *****, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin M*****, AZ 5 P 202/20z des Bezirksgerichts Linz, wegen Delegation nach § 111 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060NC00004.21X.0216.000

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung im gegenständlichen Erwachsenenschutzverfahren wird das Bezirksgericht Haag als zuständig bestimmt.

 

Begründung:

[1] Mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15. 10. 2020, AZ 6 Nc 21/20w, wurde die gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung dieser Erwachsenenschutzsache an das Bezirksgericht Linz genehmigt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass im Zusammenhang mit der Betroffenen bereits in mehreren Entscheidungen (13 Ns 62/07g; 12 Ns 66/07p; 4 Nc 11/08t; 6 Ob 93/08g) klargestellt worden war, dass deren Vater aufgrund seiner beruflichen Position in der Lage sei, auf das berufliche Fortkommen der Richter und Richterinnen des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz wesentlichen Einfluss zu nehmen, was deren volle Unbefangenheit sowohl in Straf- als auch in Zivilverfahren in Zweifel ziehen könnte. Sollten deshalb sämtliche Richter des Bezirksgerichts Linz ihre Befangenheit nach § 19 JN anzeigen und/oder die Betroffene diese ablehnen, so wäre an eine Delegation der Erwachsenenschutzsache nach § 30 JN an das nächstgelegene Bezirksgericht außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz zu denken.

[2] Nachdem sich der nunmehr zuständige Richter des Bezirksgerichts Linz am 30. 11. 2020 für befangen erklärt und die Vorsteherin des Bezirksgerichts Linz am 11. 12. 2020 den Akt dem Landesgericht Linz zur Entscheidung über die Befangenheiten aller Richter und Richterinnen des Bezirksgerichts Linz vorgelegt hatte, gab das Landesgericht Linz mit Beschluss vom 5. 1. 2021, GZ 15 Nc 6/20x‑2, dieser Befangenheitsanzeige Folge und legte den Akt dem Oberlandesgericht Linz zur Bestimmung eines Gerichts iSd § 30 JN vor.

[3] Das Oberlandesgericht Linz stellte am 14. 1. 2021, AZ 3 Nc 1/21b, die Akten dem Landesgericht Linz mit dem Bemerken zurück, unter dem im Instanzenzug übergeordneten Gericht sei bei einer Delegation nach § 30 JN das in der Hauptsache unmittelbar übergeordnete Gericht zu verstehen, hier also der Oberste Gerichtshof.

[4] Nunmehr legte das Landesgericht Linz die Akten dem Obersten Gerichtshof vor.

[5] Der erkennende Senat hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Gemäß § 30 JN hat, wenn ein Gericht aus einem der in § 19 JN vorgesehenen Gründe an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert ist, dasselbe diese Behinderung dem im Instanzenzug übergeordneten Gerichte anzuzeigen. Dieses hat sodann ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen.

[7] 2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 6 Nc 18/18a klargestellt, dass dann, wenn alle Bezirksgerichte in einem Landesgerichtssprengel an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert sind, das übergeordnete Landesgericht kein Gericht bestimmen kann, sodass der Oberste Gerichtshof hiefür zuständig ist. Dieser Fall liegt hier zwar nicht unmittelbar vor, weil nach der Entscheidung des Landesgerichts Linz vom 5. 1. 2021 die Befangenheit aller Richter und Richterinnen lediglich des Bezirksgerichts Linz festgestellt wurde, nicht aber auch jener der übrigen Bezirksgerichte im Sprengel des Landesgerichts Linz. Allerdings unterscheidet sich die vorliegende Situation erheblich von jener, die der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu AZ 7 Nc 31/14i zugrunde lag, wo sich lediglich ein Richter im Hinblick auf berufliche Kontakte mit einem Kollegen für befangen erklärt hatte, der Präsident dieses Gerichts jedoch eine „Selbstmeldung“ für das gesamte Oberlandesgericht erstattete: Der Anschein einer (zumindest) objektiven Befangenheit sämtlicher Richter und Richterinnen des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz ist nämlich angesichts der beruflichen Position des Vaters der Betroffenen bereits aufgrund zahlreicher höchstgerichtlicher Entscheidungen evident.

[8] 3. Der erkennende Senat hat deshalb bereits in seiner Entscheidung vom 15. 10. 2020 diesem Umstand Rechnung getragen und darauf hingewiesen, dass an eine Delegation der Erwachsenenschutzsache nach § 30 JN an das nächstgelegene Bezirksgericht außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz zu denken wäre. Unter Berücksichtigung der in sämtlichen Verfahren zu beachtenden Verfahrensökonomie erscheint es deshalb im hier vorliegenden Sonderfall vertretbar, nicht erst – nach aufwändiger Einholung deren Stellungnahmen – eine Entscheidung des Landesgerichts Linz über die Befangenheit der Richter und Richterinnen sämtlicher Bezirksgerichte dieses Landesgerichtssprengels herbeizuführen, um sodann erst recht wieder durch den Obersten Gerichtshof einem Bezirksgericht außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz zu delegieren.

[9] 4. Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 15. 10. 2020 darauf hingewiesen, dass eine Delegation dieser Erwachsenenschutzsache an das Bezirksgericht Haag als das dem nunmehrigen Wohnort der Betroffenen nächstgelegene Bezirksgericht den nach § 30 JN zu beachtenden Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, der Raschheit, der Einfachheit und der Kostenersparnis (Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 30 JN Rz 3) am ehesten entspricht.

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