OGH 1Ob192/20x

OGH1Ob192/20x27.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.‑Ing. W*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund) vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 30.530 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 8. September 2020, GZ 4 R 103/20z‑20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 29. Mai 2020, GZ 4 Cg 101/19i‑15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00192.20X.1127.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 2 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte im Jahr 2007 nach Besichtigung vor Ort eine (auch im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz im Hauptverfahren) nicht im Grenzkataster eingetragene Liegenschaft „innerhalb ihrer [damals] in der Natur sichtbaren Grenzen“ (Punkt 6. des Kaufvertrags). Aufgrund einer von ihm nach dem Kauf in Auftrag gegebenen Vermessung war er der Meinung, dass der auf der Nachbarliegenschaft gelegene Tennisplatz samt Mauersockel und einem darauf errichteten Zaun teilweise auf seinem Grund errichtet worden war, und klagte die Eigentümerin und den Betreiber der Sportanlage auf Feststellung, dass diese nicht berechtigt seien, sein Eigentum „insoweit zu stören“, auf Beseitigung dieser baulichen Anlagen (soweit sie angeblich auf seinem Grund stehen) und auf Wiederherstellung eines begrünten Naturzustands.

[2] Er unterlag in diesem Verfahren (Hauptverfahren) und scheiterte auch mit seinen Wiederaufnahmsklagen. Wegen angeblicher im dritten Wiederaufnahmsverfahren (Anlassverfahren) gefällter Fehlentscheidungen des Rekursgerichts (Bestätigung der Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage durch das Erstgericht; Zurückweisung des Antrags auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs) nimmt er den Bund aus dem Titel der Amtshaftung in Anspruch.

[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und beurteilten die Entscheidungen des Rekursgerichts als vertretbar.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dass nur eine unvertretbare Rechtsansicht (der Gerichte im Anlassverfahren) zu einer Haftung des Bundes führen kann, ist dem Kläger bewusst; ebenso, dass die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist und regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO begründet (RIS‑Justiz RS0110837). Er meint in seiner Revision aber, es sei den Amtshaftungsgerichten im vorliegenden Fall eine aus Gründen der Rechtssicherheit wahrzunehmende „gravierende Fehlbeurteilung“ unterlaufen.

[5] Richtig ist, dass dann aus Gründen der Rechtssicherheit auch eine reine Einzelfallbeurteilung an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden könnte (s RS0049912 [T5]; RS0049955 [T10]); eine klare Fehlbeurteilung liegt aber nicht vor.

[6] 1. Der Kläger behauptet, es wäre ihm mit den im dritten Wiederaufnahmsverfahren relevierten Beweismitteln nicht nur der Nachweis gelungen, dass eine Eigentumsersitzung (durch den Zweitbeklagten als Besitzmittler der Erstbeklagten [als Parteien des Hauptverfahrens]) mangels Redlichkeit nicht stattgefunden habe, sondern es wäre ausgehend davon ein (im Hauptverfahren verneinter) derivativer Eigentumserwerb hinsichtlich des strittigen Grundstreifens durch den Kläger „zwingend zu befürworten“ gewesen.

[7] 2. Die Prüfung der Wiederaufnahmsklage nach § 538 ZPO vereinigt in sich die Funktion der Eingangsüberprüfung bei Klagen (§ 230 Abs 2 ZPO) und der Vorprüfung im Rechtsmittelverfahren (§§ 470 f ZPO); das Schwergewicht dieser Zulässigkeitsprüfung liegt in einer Schlüssigkeitsprüfung (Jelinek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 538 ZPO Rz 4 f). Dieser Prüfung, ob ein gesetzlicher Anfechtungsgrund vorliegt, hat das Gericht das Vorbringen in der Rechtsmittelklage zu Grunde zu legen. Nur wenn dargelegt wird, dass – auf Basis der im früheren Urteil dargelegten Rechtsansicht (s RS0044631) – die Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel im Hauptverfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte, ist der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO schlüssig behauptet (1 Ob 178/19m; Jelinek aaO Rz 14).

[8] Wird – wie hier im Hauptverfahren – eine Entscheidung auf zwei selbständig tragfähige Begründungen gestützt (Hauptbegründung: fehlender auf den Erwerb auch des später strittigen Grundstreifens gerichteter rechtsgeschäftlicher Wille des Klägers; Hilfsbegründung: Eigentumserwerb der Erstbeklagten durch Ersitzung), ist eine Wiederaufnahmsklage nur dann schlüssig, wenn die Beweismittel von Einfluss auf beide Gründe sein können.

[9] 3. Das Berufungsgericht im Hauptverfahren hat die Möglichkeit eines derivativen Eigentumserwerbs des Klägers hinsichtlich des Grundstreifens verneint. Es ist aufgrund der Auslegung des Kaufvertrags des Klägers davon ausgegangen, dass er die Liegenschaft nach Besichtigung nur in den damals und heute sichtbaren Begrenzungen vom Voreigentümer erworben hatte und er schon deshalb – unabhängig von den Eigentumsverhältnissen – gar nicht Eigentümer des strittigen Streifens der Liegenschaft hätte werden können. Es hat – wie sich ganz eindeutig aus dem Zusammenhang ergibt (insbesondere den gebrauchten Zusätzen wie „sichtbaren“, „erkennbaren“ [Naturgrenze] samt dem Konnex zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Ausführungen zur Besichtigung vor Ort) – mit dem Begriff „Naturgrenze“ die in der Natur sichtbare Grenze gemeint, also die Begrenzung durch Mauer und Zaun zum anderen Grundstück (so hat dies auch das Rekursgericht aufgefasst). Obwohl es ein Eingehen auf die verbleibende Argumente der Rechtsrüge für „nicht notwendig“ hielt, ging es ausdrücklich nur „der Vollständigkeit halber“ auf den vom Erstgericht für die Abweisung der Klage herangezogenen Rechtsgrund der Ersitzung (durch die Erstbeklagte) ein und bejahte auch diese.

[10] Die neu aufgefundenen Beweismittel müssten nun nicht nur in Ansehung der Hilfsbegründung (Ersitzung) sondern auch der Hauptbegründung (Lage des strittigen Grundstreifens außerhalb des durch die Willenseinigung definierten Kaufobjekts) von Einfluss auf die Entscheidung sein.

[11] 4. In seiner (dritten) Wiederaufnahmsklage legte der Kläger zwar ausführlich dar, warum aufgrund von Unterlagen (aus Bauakten) davon auszugehen sei, dass die Beklagten unredlich gewesen wären, was die Ersitzung verhindere. Die über die Ersitzung hinausgehenden „eigenen Überlegungen“ des Berufungsgerichts deutete er aber (nur) dahin, dass die Klage auch wegen seines „schlechtgläubigem Eigentumserwerb“ abgewiesen worden sei. Seine weiteren Mutmaßungen, dass er bloß als sogenannter „Buchbesitzer“ angesehen worden sei (woran er knüpfte, dass er als Buchbesitzer den Beklagten als unredlichen Besitzern vorgehe), haben im Berufungsurteil keine Basis. Ausführungen die sich mit dem Wortlaut des Vertrags und dem Umfang eines möglichen derivativen Erwerbs der Liegenschaft befassten, fehlten gänzlich; die Hauptbegründung des Berufungsgerichts im Anlassverfahren thematisierte der Kläger in seiner Rechtsmittelklage gar nicht.

[12] 5. Das Rekursgericht im Wiederaufnahmsverfahren (dem Anlassverfahren) ging nun ungeachtet dessen auch auf diese Hauptbegründung ein und auf Basis der Feststellung „Der Kläger erwarb laut Punkt Sechstens des Kaufvertrags die Liegenschaft innerhalb ihrer damals (Anm: Zeitpunkt des Vertragsschlusses) in der Natur sichtbaren Grenzen“, davon aus, dass das Berufungsgericht (im Hauptverfahren) den Parteiwillen – im Falle einer Wiederaufnahme – nicht anders als bisher interpretieren werde (vgl RS0044631), nämlich dahin, dass Eigentum an der Liegenschaft nur innerhalb der „erkennbaren Naturgrenzen“ – also innerhalb der im Zeitpunkt des Kaufs sichtbaren Begrenzung durch die Mauer und den darauf errichteten Zaun – erworben wurde. Wenn die Amtshaftungsgerichte diese Beurteilung nicht als unvertretbar einstuften, liegt darin jedenfalls keine evidente Fehlbeurteilung im Einzelfall.

[13] 6. Auch seine Kritik, er habe in seinem Antrag „gemäß § 508 ZPO“ im Anlassverfahren, „mehrere OGH‑Entscheidung[en] konkret ausgeführt (1 Ob 14/17s; 3 Ob 12/98f und 1 Ob 96/16y), wo er die Abweichung der Rechtsansichten des Rekursgerichtes von der ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs anhand dieser ausgewählten Entscheidungen und mit ausführlicher rechtlichen Darstellung dieser Entscheidungen und ihrer Relevanz für den vorliegenden Streitfall rügte. Das Rekursgericht“ sei „auf diese Rügen nur sehr kurz ein[gegangen]“, weshalb seine Rechtsansicht auch nicht vertretbar sei, muss scheitern. In diesem Zeitpunkt konnte er die in der Wiederaufnahmsklage versäumte Darlegung, warum die Unredlichkeit des Nachbarn angeblich von Einfluss auf die Vertragsauslegung sein könnte, nicht mehr in zulässiger Weise nachholen. Abgesehen davon hat das Rekursgericht zwar knapp, aber durchaus konkret und verständlich zu jeder Entscheidung (als nicht einschlägig) Stellung bezogen, während der Revisionswerber dagegen in der Revision nicht darlegt, warum diese Entscheidungen für seinen Standpunkt gesprochen hätten oder aus welchen Gründen aus ihnen ersichtlich gewesen wäre, dass und inwieweit das Rekursgericht im Anlassverfahren von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei. Der Verweis auf eine „ausführliche rechtliche Darstellung“ (auch zur Relevanz) in einem anderen Schriftsatz kann die Notwendigkeit der konkreten Darlegung im Revisionsverfahren nicht ersetzen. Solche Verweisungen sind unzulässig und unbeachtlich (RS0007029 [T1]; RS0043616 [T5]).

[14] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Eigentumsfreiheitsklage im Hauptverfahren sei mit dem Hauptargument, der Kläger habe – wegen der einvernehmlichen Bestimmung des Kaufgegenstands nach den sichtbaren Begrenzungen – nicht derivativ Eigentum am Grundstücksstreifen erwerben können, abgewiesen worden, wogegen der gutgläubige Erwerb durch Ersitzung der (Erst-)Beklagten nur ein zusätzliches Argument gewesen sei, begegnet – wie dessen Auffassung, die Entscheidungen des Rekursgerichts seien jedenfalls vertretbar gewesen – keinen Bedenken.

[15] Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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