OGH 2Ob64/20f

OGH2Ob64/20f14.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* S*, vertreten durch Dr. Ferdinand Rankl, Rechtsanwalt in Micheldorf, gegen die beklagte Partei O*, vertreten durch Dr. Haymo Modelhart und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 20.000 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 13. März 2020, GZ 4 R 9/20a‑15, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 12. Dezember 2019, GZ 4 Cg 83/19t‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129812

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.442,50 EUR (darin enthalten 406,25 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Am 23. 12. 1987 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem der damalige Lebensgefährte der Klägerin als Lenker eines Pkw getötet und die Klägerin als Insassin in diesem Fahrzeug schwer verletzt wurde. Der damalige Unfallgegner hatte als Lenker eines Pkw den Verkehrsunfall dadurch verursacht, dass er kurz vor der Unfallstelle mehrere Fahrzeuge mit überhöhter Geschwindigkeit überholte und auf die linke Fahrbahnseite geriet. Er war mit 2,4 Promille stark alkoholisiert und starb ebenfalls noch an der Unfallstelle. Der vomUnfallgegner gelenkte Pkw war bei der Beklagten haftpflichtversichert.

[2] Die Klägerin klagte in einemVorprozess ihre Ansprüche aus dem Unfall, darunter auch Schmerzengeld, gegen die auch hier Beklagte ein. Sie brachte ua vor, sie habe das furchtbare Unfallgeschehen, insbesondere den Tod ihres Freundes, noch nicht überwunden. Sie leide seit dem Unfall unter Schlaflosigkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit und Vergesslichkeit. Ihr psychischer Zustand sei desolat. Unter Berücksichtigung der psychischen Beeinträchtigung durch den Unfall und die verbliebenen Narben sei ein Schmerzengeldbetrag von 240.000 öS angemessen.

[3] Im Endurteil vom 24. 1. 1991 sprach das damalige Erstgericht der Klägerin ein Schmerzengeld von 150.000 öS zu, das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Es stellte ua fest, die Klägerin sei nach dem Unfall wegen des Todes ihres Lebensgefährten in Depressionen gefallen. Während sich ihr körperlicher Zustand Ende Februar 1988 wesentlich gebessert habe, habe sie den Tod ihres Lebensgefährten nicht verwinden können. Da sie dadurch psychisch noch beeinträchtigt gewesen sei, habe sie Anfang Mai 1988 einen Nervenzusammenbruch erlitten; dieser sei psychoreaktiver und nicht organischer Natur gewesen.

[4] In der rechtlichen Beurteilung führte das damalige Erstgericht aus, bei der Schmerzengeldbemessung seien auch die seelischen Bedrückungen, die das Unfallereignis selbst hervorgerufen habe, sowie die psychischen Beschwerden, die durch die Narbe an der Stirn entstanden seien, berücksichtigt. Die seelischen Schmerzen, die die Klägerin wegen des Todes des Lebensgefährten beim Unfall erlitten habe, könnten aber nicht berücksichtigt werden. Dies seien keine Schmerzen, die die Klägerin aufgrund der eigenen Verletzungen beim Unfall gehabt habe, sondern es handle sich dabei um seelischen Kummer eines Hinterbliebenen. Nach der Rechtsprechung stehe aber Hinterbliebenen kein Schmerzengeld für Kummer, der durch den Verlust eines nahen Angehörigen entstanden sei, zu. Überdies gehörten Lebensgefährten nicht zum Kreis der in § 1327 ABGB genannten Berechtigten.

[5] Nur die Klägerin erhob gegen dieses Urteil Berufung. In einem vor dem damaligen Berufungsgericht in der Berufungsverhandlung am 6. 6. 1991 abgeschlossenen Vergleich wurde das Schmerzengeld um 30.000 öS auf 180.000 öS erhöht.

[6] Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin mit der am 5. 9. 2019 eingebrachten Mahnklage Trauerschmerzengeld von 20.000 EUR und bringt vor, sie leide seit dem Unfall an psychischen Beeinträchtigungen und befinde sich in psychotherapeutischer Behandlung. Sie habe den Unfalltod ihres ehemaligen Lebensgefährten bis heute nicht verarbeitet und habe Anspruch auf Trauerschmerzengeld. Bei ihren Leiden in Form von Konzentrationsproblemen, Antriebslosigkeit, Depressionen, Entscheidungslosigkeit etc handle es sich um eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert. Im Vorprozess sei die Tragweite der psychischen Beeinträchtigung noch nicht abschätzbar gewesen. Diese habe sich erst durch die nunmehrige psychotherapeutische Behandlung herausgestellt. Im Urteil des Vorprozesses sei nicht auf ihre Trauerschmerzen eingegangen worden, da diese nach der damaligen Rechtsprechung nicht ersatzfähig gewesen seien. Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache liege mangels Identität des Anspruchs nicht vor, weil im Vorprozess kein Trauerschmerzengeld geltend gemacht worden sei.

[7] Die Beklagte bestritt, dass die Klägerin an den von ihr behaupteten Beeinträchtigungen leide und diese auf den Verlust ihres damaligen Freundes zurückzuführen seien. Ihre psychischen Beeinträchtigungen seien im Vorprozess abschätzbar gewesen und dort ebenso wie die physischen Beschwerden zur Gänze berücksichtigt worden. Allfällige Ansprüche seien verjährt. Im Vorprozess sei im Urteil des Erstgerichts auch über das Trauerschmerzengeld abgesprochen worden, weshalb entschiedene Sache vorliege. Im zweitinstanzlichen Vergleich seien die Schmerzengeldansprüche schließlich bereinigt worden.

[8] Die Vorinstanzen wiesen die Klage wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache zurück. Die Klägerin habe ihren wegen des Todes ihres Lebensgefährten erlittenen Seelenschmerz bereits im Vorprozess – wenngleich aufgrund der damaligen Trauerschmerzengeld ablehnenden Rechtsprechung erfolglos – geltend gemacht.

[9] Das Rekursgericht ließ nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht darüber entschieden habe, ob Identität der Ansprüche vorliegen könne, wenn ein Anspruch geltend gemacht werde (Trauerschmerzengeld), der zur Zeit des Vorprozesses von der Rechtsprechung noch gar nicht anerkannt gewesen und der demgemäß auch nicht ausdrücklich begehrt worden sei.

[10] Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Klägerin – trotz ihrer verfehlten Rechtsmittelanträge – eindeutig erkennbar die Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Rekursgerichts im Sinn der Verwerfung der erhobenen Prozesseinrede an.

[11] Die Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht zu Unrecht das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache angenommen hat; er ist auch im Ergebnisberechtigt.

[13] Die Klägerin macht geltend, Anspruchsidentität liege nicht vor, weil es sich beim begehrten Trauerschmerzengeld um kein Schmerzengeld im herkömmlichen Sinn handle, wie es im Vorprozess eingeklagt worden sei. Das Trauerschmerzengeld habe nämlich nicht zwingend psychische Folgen zur Voraussetzung, es genüge grobe Fahrlässigkeit des Schädigers. Dazuhabe die Klägerin im nunmehrigen Verfahren gegenüber dem Vorprozess als weitere anspruchsbegründende Tatsachen vorgebracht, dass zwischen ihr und dem getöteten Lenker eine Lebensgemeinschaft bestanden und der Unfallgegner den Unfall grob fahrlässig verschuldet habe. Von einer entschiedenen Sache könne daher nicht gesprochen werden. Es handle sich um einen weiteren Anspruch, hinsichtlich dessen das Urteil aus dem Vorprozess keine Rechtskraftwirkung entfalten könne.

Rechtliche Beurteilung

[14] Folgendes wurde erwogen:

[15] 1. Die Klägerin hat im Vorprozess wie im gegenständlichen Verfahren ihren Schmerzengeldanspruch auch auf ihre seelischen Leidenszustände aufgrund des Todes ihres Lebensgefährten gestützt. Genau dies ist aber der Inhalt des seit der Entscheidung vom 16. 5. 2001, 2 Ob 84/01v, SZ 74/90, in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eine krankheitswertige Gesundheitsschädigung nicht voraussetzenden, jetzt allgemein so bezeichneten Trauerschmerzengeldes (RS0115189). Dass die Klägerin die aufgrund ihres Seelenschmerzes geltend gemachten Schmerzengeldansprüche im Vorprozess nicht ausdrücklich als „Trauerschmerzengeld“ bezeichnete, ändert nichts an der Identität des nunmehr geltend gemachten Anspruchs mit demjenigen im Vorprozess. Über eben diesen Anspruch hat das Erstgericht im Vorprozess abweisend abgesprochen. Dass der Klägerin nach nunmehriger Rechtsprechung seinerzeit möglicherweise Trauerschmerzengeld zugestanden wäre, ändert daran nichts.

[16] 2. Der Anspruch auf Trauerschmerzengeld setzt – entgegen der Behauptung der Klägerin – durchaus eine durch den Verlust des Angehörigen verursachte seelische Beeinträchtigung voraus (und unterscheidet sich insofern nicht vom „Schmerzengeld im herkömmlichen Sinn“). Zwar wird bei bestimmten nahen Angehörigen, darunter auch beim Lebensgefährten, die intensive Gefühlsgemeinschaft (und daher als Folge des Todes der Seelenschmerz des Überlebenden) vermutet. Dem Schädiger steht es allerdings frei, die Vermutung einer intensiven Gefühlsgemeinschaft durch den Beweis zu entkräften, dass eine solche trotz formalem Naheverhältnis tatsächlich nicht bestand (2 Ob 141/04f; 4 Ob 176/19i).

[17] Auch insoweit unterscheidet sich das jetzt eingeklagte Trauerschmerzengeld nicht von den seinerzeit geltend gemachten Schmerzengeldansprüchen wegen der seelischen Schmerzen durch den Verlust des Lebensgefährten. Angesichts der positiven Feststellungen über die Trauer der Klägerin stellten sich im Vorprozess auch keine Beweislastfragen.

[18] 3. Schon im Vorprozess war völlig unstrittig, dass der Getötete nicht bloßer „Freund“, sondern Lebensgefährte der Klägerin war (vgl nur die insoweit unbekämpften Feststellungen des damaligen Erstgerichts und das damalige Berufungsvorbringen der Klägerin). Die nunmehr erstmals behauptete grobe Fahrlässigkeit des Unfallgegners stellt keine (die Identität der Ansprüche tangierende) neue Tatsachenbehauptung dar, sondern ist die rechtliche Beurteilung des Verhaltens des Unfallgegners.

[19] 4. Die Vorinstanzen haben jedoch Folgendes übersehen: Die (auch) aus der ausdrücklichen Ablehnung der Ersatzfähigkeit des bloßen Trauerschmerzes resultierende Abweisung des Schmerzengeldmehrbegehrens von 90.000 öS durch das Erstgericht im Vorprozess wurde von der Klägerin mit Berufung bekämpft. In zweiter Instanz endete das Verfahren aber nicht mit Urteil, sondern mit einem gerichtlichen Vergleich, in dem das Schmerzengeld um 30.000 öS erhöht worden ist. Ob der „Trauerschmerz“ Grund für diese Erhöhung war oder nicht, lässt sich weder dem Protokoll über die Berufungsverhandlung noch dem Vergleich entnehmen, ist aber auch irrelevant. Eine rechtskräftige Entscheidung des Berufungsgerichts darüber liegt jedenfalls nicht vor. Der Einwand der Beklagten, es liege insoweit (rechtskräftig) entschiedene Streitsache vor, trifft daher nicht zu.

[20] 5. Das Vorliegen eines gerichtlichen Vergleichs begründet nach ständiger Rechtsprechung nicht die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache, sondern sie führt (vorausgesetzt, der geltend gemachte Anspruch ist von der Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasst) zur Abweisung der Klage aufgrund eines materiell‑rechtlichen Einwands, den die Beklagte hier implizit bereits erhoben hat (RS0037242; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 411 Rz 5).

[21] 6. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit dahin abzuändern, dass die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache verworfen und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.

[22] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 50 ZPO iVm § 52 Abs 1 und § 41 ZPO. Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Klage unterlegen; sie hat der Klägerin daher ihre Kosten zu ersetzen. Solche von der Hauptsache abgrenzbare Kosten sind nur im Rechtsmittelverfahren angefallen. Die verzeichneten Pauschalgebühren waren jedoch weder im Rekurs‑ noch im Revisionsrekursverfahren zu entrichten (Anm 1 und 1a je zu TP 2 und 3 GGG; vgl 2 Ob 61/19p).

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