OGH 9ObA38/20h

OGH9ObA38/20h29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** M*****, vertreten durch Mag. Johannes Polt, Rechtsanwalt in Horn, gegen die beklagte Partei A***** Pensionskasse AG, *****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. April 2020, GZ 9 Ra 27/20m‑12, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00038.20H.0929.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin war bei der A***** AG beschäftigt und befindet sich seit 1. 7. 2017 in Pension. Sie bezieht auf Basis einer Betriebsvereinbarung und eines Pensionskassenvertrags von der Beklagten eine Alterspension, die im Jahr 2018 54,37 EUR monatlich (14 x jährlich) betrug. Die Klägerin erhielt im Jahr 2019 ein Schreiben der Beklagten, in dem ihr – unstrittig – Informationen gemäß § 19 Abs 4 PKG zu ihrer beitragsorientierten Pensionszusage erteilt wurden. Dem Schreiben war (auch) zu entnehmen, dass ihr Pensionsanspruch ab 1. 1. 2019 nur mehr 51,76 EUR monatlich (14 x jährlich) betrage.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Weiterzahlung der Pension in der vormaligen Höhe. Sie wisse nicht, warum die Pension reduziert worden sei. Es sei aufgrund der Nähe zum Beweis Sache der Beklagten, unter Beweis zu stellen, dass die Reduktion zurecht erfolgt sei.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Die Klägerin habe kein schlüssiges Vorbringen erstattet, aus dem sich ergebe, dass sie Anspruch auf eine Pension in Höhe von monatlich 54,37 EUR habe. Die Behauptungs- und Beweislast dafür sei bei ihr gelegen.

In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Pensionskasse hat gemäß § 20 Abs 1 PKG einen Geschäftsplan zu erstellen. Dieser hat sämtliche zum Betrieb des Pensionskassengeschäfts erforderlichen Angaben und Parameter zu enthalten, so unter anderem die Arten der angebotenen Leistungen, die Rechnungsgrundlagen (Wahrscheinlichkeitstafeln, Rechnungszins, vorgesehener rechnungsmäßiger Überschuss) und die Grundsätze und Formeln für die Berechnung der Pensionskassenbeiträge und der Leistungen (Abs 2 Z 1, 3 und 6 leg cit). Damit determiniert der Geschäftsplan in weiten Teilen die (Berechnung der) Höhe der (späteren) Leistungen an die Berechtigten (Reiner, Das Zusammenspiel von Mindestinhalt, Bewilligungspflicht, und Anzeigepflicht beim Pensionskassen-Geschäftsplan, ZFR 2014, 206).

2. Die Pensionskasse hat nach § 19 PKG Anwartschaft- bzw Leistungsberechtigten bestimmte Informationen zu erteilen. Nach § 19 Abs 5c PKG hat sie einer kollektivvertragsfähigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer auf Anfrage jene leistungsrelevanten Teile des Geschäftsplans zur Verfügung zu stellen, die im Einzelfall und auf Antrag eines Anwartschafts- oder Leistungsberechtigten für die Überprüfung der Angaben gemäß § 19 Abs 3 bis 5 und 5b erforderlich sind. Die Einführung der Bestimmung des § 19 Abs 5c PKG durch die Novelle BGBl I 2012/54 (Art 1 Z 18) erfolgte nach den Gesetzesmaterialien in Reaktion darauf, dass den Anwartschafts- und Leistungsberechtigten die Angaben aus dem Geschäftsplan der Pensionskasse „derzeit nicht zugänglich sind“ (ErläutRV 1749 BlgNR 24. GP  10 f). Es war nämlich zuvor in zwei in Rechtskraft erwachsenen berufungsgerichtlichen Entscheidungen – Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs lagen nicht vor – eine Pflicht der Pensionskasse zur Herausgabe des Geschäftsplans an Anwartschafts- und Leistungsberechtigte verneint worden (mwH Winter/Eberhartinger, Pensionskassen müssen Geschäftspläne nicht preisgeben, ecolex 2012, 764 ff). Diese Judikatur beruht unter anderem auf der Erwägung, dass die Verschwiegenheitspflichten des PKG, insbesondere dessen § 22, sinnentleert wären, wenn die Pensionskasse ohnedies jedem Leistungs- oder Anwartschaftsberechtigten eine umfassende Einsicht in den Geschäftsplan und damit in ihre zentralen Betriebsgeheimnisse gewähren müsste. Diesfalls wäre auch unklar, welche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse die Prüfaktuare überhaupt nach § 22 PKG zu wahren hätten. Genauso wären die konkreten Informationspflichten nach § 19 PKG sinnlos, wenn sich bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ohnedies eine nahezu unbeschränkte Auskunftspflicht ergäbe (so unter anderem die Erwägungen in OLG Wien 10 Ra 84/11p). Zudem wurde ins Treffen geführt, dass der Oberste Gerichtshof im Bereich der Lebensversicherungen insbesondere mit dem Hinweis auf die Kontrolle durch die Versicherungsaufsichtsbehörde und die besondere Eigenart des Versicherungsverhältnisses einen über die gesetzlichen Auskunftspflichten des VAG hinausgehenden Anspruch des Versicherungsnehmers auf Auskunft bzw Rechnungslegung verneine (so OLG Wien 7 Ra 71/11d).

4. Der Geschäftsplan ist ein Geschäfts- und Betriebsgeheimnis der Pensionskasse ( Schrammel/Kietaibl , BPG und PKG 2 § 19 PKG Rz 11). Auch die bereits zitierten Gesetzesmaterialien zu § 19 Abs 5c PKG bezeichnen ihn als „geistiges Eigentum der Pensionskasse“. Sie führen aus, dass der Geschäftsplan „insbesondere einer unbefugten kommerziellen Verwendung nicht zugänglich ist“. Nach den Materialien wird „bei einer solchen Einsichtnahme besondere Sorgfalt geboten sein und die im Rahmen der Beratungstätigkeit ohnehin geltende Vertraulichkeit und Verschwiegenheit auch im Hinblick auf die Teile des Geschäftsplans zu wahren sein“. Dies muss zufolge der Materialien „insbesondere auch für Dritte gelten, die von der kollektivvertragsfähigen Interessenvertretung bei der Überprüfung zu Hilfstätigkeiten herangezogen werden“. Der Gesetzgeber geht damit eindeutig davon aus, dass der Geschäftsplan Schutz vor einer unzulässigen Verbreitung genießen muss ( Schrammel , Pensionskassenaufsichtsrecht in Holoubek/Potacs , Öffentliches Wirtschaftsrecht 4 II [2019] 191 [209]). Vor dem Hintergrund der gegenläufigen Interessenlage – einerseits das Geheimhaltungsinteresse der Pensionskasse, andererseits der Umstand, dass die Überprüfung von von der Pensionskasse erteilten Informationen Einsicht in den Geschäftsplan erfordern kann – stellt der mit § 19 Abs 5c PKG geschaffene Informationsanspruch der kollektivvertragsfähigen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer eine „Mittellösung“ dar (9 ObA 76/18v [Pkt 7] unter Bezugnahme auf Schrammel/Kietaibl, BPG und PKG2 § 19 PKG Rz 11).

5. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von der Beklagten keine zusätzlichen Informationen. Sie zieht die „Mittellösung“ in ihrer außerordentlichen Revision auch nicht grundsätzlich in Zweifel. Sie vertritt allein den Standpunkt, dass pensionierungsbedingt ihr Zugang zu einer kollektivvertragsfähigen Interessenvertretung „eingeschränkt“ sei und folgert daraus, dass hier wegen der „Nähe zum Beweis“ nicht mehr sie zu behaupten und zu beweisen habe, gegen die Beklagte einen Anspruch auf Pension von 54,37 EUR monatlich zu haben, sondern die Beklagte behaupten und beweisen müsse, dass ihr Pensionsanspruch ab 1. 1. 2019 nur mehr 51,76 EUR monatlich betrage.

Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen (RS0037797) und – dem vorgelagert – auch zu behaupten. Eine Beweislastverschiebung ist nach ständiger Rechtsprechung auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die „Nähe zum Beweis“ – im Einzelfall – den Ausschlag für die Zuteilung der Beweislast gibt; etwa dann, wenn Tatfragen zu klären sind, die „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“ (RS0037797 [T47]). Voraussetzung ist aber zum einen, dass derjenige, den die Beweislast nach der allgemeinen Regel trifft, seiner Beweispflicht in dem ihm zumutbaren Ausmaß nachkommt (RS0037797 [T17]). Hierfür wäre es erforderlich gewesen, dass die Klägerin den Weg des § 19 Abs 5c PKG beschreitet oder zumindest zu beschreiten versucht, dies angesichts dessen, dass die kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitnehmer – wenngleich in beschränktem Umfang – Serviceleistungen sehr wohl auch für Pensionisten erbringen (vgl etwa § 4 Abs 1 AKG). Dies gesteht die Klägerin selbst zu, wenn sie davon spricht, dass ihr Zugang zu diesen Körperschaften (bloß) eingeschränkt sei. Die Klägerin hat nicht vorgebracht, zumindest versucht zu haben, den Weg des § 19 Abs 5c PKG zu beschreiten. Zum anderen setzt eine Verschiebung der Beweislast wegen der Nähe zum Beweis nach der Rechtsprechung voraus, dass es dem Beweisnäheren ohne weiteres zumutbar ist, die Informationen dem anderen zu offenbaren (vgl RS0040182 [T4, T5, T9]; Rassi, Kooperation und Geheimnisschutz bei Beweisschwierigkeiten im Zivilprozess [2020] Rz 27 mwH). Aus § 19 Abs 5c PKG und den Gesetzesmaterialien dazu ist die gesetzgeberische Wertung ersichtlich, dass es Pensionskassen nicht ohne Weiteres zumutbar ist, ihren Geschäftsplan gegenüber einzelnen Anwartschafts- oder Leistungsberechtigten auch nur partiell offenzulegen. Aus der Bestimmung geht vielmehr hervor, dass die Einsichtnahme auf kollektivvertragsfähige Interessenvertretungen beschränkt ist und nicht auch Einzelpersonen gestattet wird (zutr Stadler , Ausgewählte Änderungen im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge, ZFR 2012, 255 [258]). Diese Entscheidung des Gesetzgebers darf nicht – worauf die Berufung der Klägerin auf eine Behauptungs- und Beweislastumkehr wegen der Beweisnähe der Beklagten aber hinausliefe – umgangen werden.

Die Entscheidung der Vorinstanzen steht mit der Rechtsprechung über die Verteilung der Beweis- und der ihr vorgelagerten Behauptungslast im Einklang.

6. Wenn sich die Klägerin auf die Entscheidung 4 Ob 163/12t bzw den dazu ergangenen Rechtssatz RS0128818 beruft, wonach die Regelungen über Informationsrechte der Anwartschafts‑ und Leistungsberechtigten im PKG weitere Informationspflichten der Pensionskasse, die sich aus allgemeinen Grundsätzen ergeben, nicht ausschließen, übersieht sie, dass diese Aussage – wie aus Punkt 5 der Entscheidung 4 Ob 163/12t ersichtlich – das Verhältnis der Pensionskasse zum Arbeitgeber betrifft.

Stichworte