OGH 8Ob72/20a

OGH8Ob72/20a28.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin E*, vertreten durch Gloß Pucher Leitner Gloß Enzenhofer Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Antragsgegner K*, vertreten durch Dr. Heinz Meller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 3. Juni 2020, GZ 23 R 159/20k‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 14. April 2020, GZ 2 FAM 110/19f‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129753

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt lautet:

1. Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragsstellerin in Abänderung seiner bisherigen Unterhaltsverpflichtung ab 1. 1. 2019 jeweils einen um 125 EUR erhöhten monatlichen Unterhaltsbeitrag, somit jeweils insgesamt 987 EUR, zu zahlen, und zwar die bereits fällig gewordenen Beiträge binnen 14 Tagen und die künftig fällig werdenden Beiträge jeweils zum Monatsersten im Vorhinein.

2. Das Mehrbegehren der Antragstellerin, den Antragsgegner rückwirkend für den Zeitraum 1. 9. 2017 bis 31. 12. 2018 zu einer weiteren monatlichen Unterhaltsleistung von 100 EUR, insgesamt daher je 962 EUR, und ab 1. 1. 2019 zu einer weiteren monatlichen Unterhaltsleistung von jeweils 5,04 EUR, insgesamt daher je 992,04 EUR, zu verpflichten, wird abgewiesen.

3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 764,21 EUR (darin 115,37 EUR USt, 72 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Antragsgegner ist der Vater der (volljährigen) Antragstellerin. Zuletzt wurde er mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 3. 8. 2017 – ausgehend von einer Bemessungsgrundlage im Jahr 2016 von 4.548 EUR – verpflichtet, ab 1. 8. 2016 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 862 EUR zu zahlen.

Die Antragstellerin beantragte, den Antragsgegner zu monatlichen Unterhaltszahlungen von 962 EUR in der Zeit von September 2017 bis Dezember 2018 sowie von 992,04 EUR ab 1. 1. 2019 zu verpflichten.

Das Erstgerichtwies den Erhöhungsantrag zur Gänze ab, zumal die Bemessungsgrundlage für das Jahr 2019 nur 4.488 EUR monatlich betrage, es also zu einer Einkommensminderung im Vergleich zur letzten Unterhaltsfestsetzung gekommen sei.

Das (nur mehr wegen der monatlichen Unterhaltserhöhung von 130,04 EUR ab 1. 1. 2019 angerufene) Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es schloss sich im Ergebnis der Ansicht des Erstgerichts an, dass die steuerliche Entlastung bei volljährigen Kindern weiter zu erfolgen habe, um eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung des unterhaltspflichtigen Steuerzahlers zu vermeiden. Damit komme eine Erhöhung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung nicht in Betracht.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil der Oberste Gerichtshof – soweit überblickbar – zur Frage, ob bei volljährigen Kindern weiterhin eine steuerliche Entlastung zu erfolgen habe, bislang keine Entscheidung getroffen habe.

Dagegen richtet sich der vom Antragsgegner beantwortete Revisionsrekurs der Antragstellerin.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist überwiegend auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof stellte zwischenzeitig in der einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 9 Ob 59/19w vom 25. 6. 2020mit ausführlicher Begründung klar, dass für die Lösung der Frage, ob der Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung volljähriger Kinder zu berücksichtigen sei, an die Leitentscheidung 4 Ob 150/19s angeknüpft werden müsse. Das Kernargument dieser Entscheidungsbegründung, wonach der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus pauschal und typisierend den Vorgaben des VfGH an eine steuerliche Entlastung des Kindesunterhalts Rechnung tragen wollte, könne auch für die Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen die Einführung des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Unterhalts für volljährige Kinder hat, fruchtbar gemacht werden, weil die primär aus den Gesetzesmaterialien (RV 190 BlgNR 26. GP  1) abgeleitete Intention des Gesetzgebers nicht zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern differenziert. Die Gesetzesmaterialien führten zur unterschiedlichen Höhe des Familienbonus Plus bloß aus, dass Familien bis zum 18. Lebensjahr in der Regel mit Kosten für die erste Ausbildung ihrer Kinder konfrontiert seien, weshalb eine substantielle Steuerentlastung für Kinder bis 18 Jahre erfolgen solle, dass aber darüber hinaus auch noch jene Eltern entlastet werden sollten, die ihren Kindern eine weiterführende Ausbildung ermöglichen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die – in der genannten Entscheidung hervorgehobene – gesetzgeberische Intention des „ressortzuständigen“ (Steuer‑)Gesetzgebers, die vom VfGH geforderte steuerliche Entlastung von Unterhaltsleistungen nunmehr durch den Familienbonus Plus sowie den Unterhaltsabsetzbetrag unmittelbar selbst vorzunehmen, nur auf den Unterhalt Minderjähriger beziehen soll, könnten dem nicht entnommen werden. Zusammengefasst sei also davon auszugehen, dass der Steuergesetzgeber mit der Einführung des Familienbonus Plus die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltslast zur Gänze in das Steuerrecht verlagern wollte. Diese gesetzgeberische Intention sei auch hinsichtlich der volljährigen Unterhaltsberechtigten zu akzeptieren. Bei der Bemessung deren Unterhalts sei der Familienbonus Plus daher ebenfalls nicht zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0133181).

2. Der erkennende Senat schließt sich diesen Erwägungen an. Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich somit insoweit als korrekturbedürftig, als ab 1. 1. 2019 die steuerliche Entlastung durch Anrechnung von Transferleistungen zu entfallen hat.

3. Ausgehend von der Bemessungsgrundlage von 4.488 EUR monatlich im Jahr 2019, die die Vorinstanzen übereinstimmend angenommen haben und gegen die die Antragstellerin im Revisionsverfahren auch keinen Einwand mehr erhebt, ergibt sich ein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin von insgesamt 987 EUR (22 %) monatlich, das sind um 125 EUR monatlich mehr als bisher.

4. Dem Revisionsrekurs war daher teilweise Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen spruchgemäß abzuändern.

5. Die Abänderung der Vorentscheidungen bedingt eine Neufassung der auf § 78 Abs 2 AußStrG beruhenden Kostenentscheidungen. Zu beachten ist, dass die Antragstellerin ihr Begehren auf Unterhaltserhöhung in erster Instanz (erfolglos) zunächst nur auf geänderte Einkommensverhältnisse des Antragsgegners gestützt hat und erst mit Schriftsatz vom 27. 1. 2020 ins Treffen geführt hat, dass eine Anrechnung von Transferleistungen ab 1. 1. 2019 zu unterbleiben hat, womit ihr letztlich Erfolg beschieden war. Unter Berücksichtigung ihres Unterliegens mit dem vom September 2017 bis Dezember 2018 geltend gemachten Anspruch erscheint es daher billig, im erstinstanzlichen Verfahren Kostenaufhebung eintreten zu lassen. Im Rekurs- und Revisionsrekursverfahren hat die Rechtsmittelwerberin jedoch wegen bloß geringfügigen Unterliegens Anspruch auf vollen Kostenersatz, und zwar gemäß § 9 Abs 3 RATG auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 1.560 EUR. Die Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren beträgt nach TP 7 III. lit a GGG 43 EUR.

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