OGH 4Ob124/20v

OGH4Ob124/20v11.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M* W*, vertreten durch Dr. Florian Legit, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Beklagten B* B*, vertreten durch Dr. Thomas Obholzer, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Mai 2020, GZ 1 R 57/20v‑69, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129206

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen wiesen die auf unleidliches Verhalten der Beklagten gestützte Räumungsklage ab. Sie gingen davon aus, dass das auf die (damalige) massive psychische Beeinträchtigung der Beklagten zurückzuführende Verhalten (vor allem Lärmerregungen und Beschimpfungen) im „offenbar hellhörigen“ Haus bei entsprechender Interessenabwägung noch nicht die vorzeitige Auflösung des Bestandvertrags rechtfertige.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin dagegen keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1 Die Vorinstanzen gingen von der Rechtsprechung aus, wonach zwar eine psychische Krankheit oder Behinderung kein Freibrief für jegliches Verhalten des Mieters ist (RIS‑Justiz RS0020957 [T1]), das Verhalten einer derart beeinträchtigten Person aber nicht unter allen Umständen ebenso für die Mitbewohner unerträglich ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer (voll) zurechnungsfähigen Person (RS0020957). Die Nachbarn müssen aber andererseits nicht jedwedes Verhalten einer geistig beeinträchtigten Person in Kauf nehmen; vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der allerdings an das Verhalten der erkrankten oder behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (RS0020957 [T2]).

1.2 Die Vorinstanzen haben diese Rechtslage richtig erkannt, ihrer Entscheidung zugrunde gelegt und den geltend gemachten Beendigungsgrund nach Vornahme einer Interessenabwägung vertretbar verneint.

2. Der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten den Tatbestand des unleidlichen Verhaltens nach § 1118 ABGB (als Unterfall des erheblich nachteiligen Gebrauchs der Bestandsache [RS0020956]) erfüllt, kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu, weil es sich um eine Abwägung der Umstände im Einzelfall handelt (RS0042984 [T12]). Auch die gebotene Interessenabwägung kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls erfolgen (RS0020957 [T4]) und ist daher – vom hier nicht gegebenen Fall einer krassen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts abgesehen – nicht revisibel. Das Berufungsgericht hat den ihm zukommenden Ermessensspielraum nicht überschritten.

3.1 Auch der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung 10 Ob 2159/96i kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Dem dortigen Fall lag ein jahrelang andauerndes unzumutbares Verhalten der Gekündigten zugrunde, etwa durchgehende Lärmbeeinträchtigungen durch Trampeln und Herumbrüllen Tag und Nacht innerhalb und außerhalb der Wohnung, Abgabe von Schüssen durch eine Schreckschusspistole (inkl nachfolgendem Cobra-Einsatz) sowie häufiges, nächtliches „Anpumpern“ an den Wohnungstüren älterer Nachbarn. Das Verhältnis zwischen der beklagten Bestandnehmerin und allen Mitbewohnern war sehr gespannt.

3.2 Damit ist der hier vorliegende Fall nicht zu vergleichen, weil die festgestellten Störungen nicht die Intensität der in der Entscheidung 10 Ob 2159/96i geschilderten Beeinträchtigungen erreichten. Zudem liegen zur Intensität und Häufigkeit der gegenständlichen Störungen zum größten Teil nur negative Feststellungen vor, was zu Lasten der Klägerin geht (RS0027780 [T21]). Die Lärmbelastungen der unmittelbaren Nachbarn wurden auch durch die fehlende Schallschutzdämmung des Hauses verursacht bzw verstärkt. Die angefochtene Entscheidung weicht somit nicht von der bisherigen Rechtsprechung ab.

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