OGH 9Ob22/20f

OGH9Ob22/20f29.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei P* B*, vertreten durch Dr. Edgar Veith, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagte Partei S* K*, vertreten durch Advokaten Pfeifer Keckeis Fiel Scheidbach OG in Feldkirch, wegen Unterlassung (Streitwert: 28.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 20. Februar 2020, GZ 1 R 140/19z‑61, mit dem die Zulassungsvorstellung der beklagten Partei und ihre damit verbundene ordentliche Revision zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129188

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts wird ersatzlos aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Zulassungsvorstellung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

 

Begründung:

Mit Spruchpunkt 1. des Urteils des Bezirksgerichts Feldkirch vom 21. 3. 2019 (ON 46) gab das Erstgericht dem Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig,

die Positionierung von Müllcontainern auf dem klägerischen Eigentum (Liegenschaft in EZ *, Grundbuch *, Grundstücksnummer 29) sowie das Berühren und Beschädigen des klägerischen Zauns, welcher entlang der Grundstücksgrenze zum Grundstück des Beklagten hin auf Grundstücksnummer 29 im Bereich des Einfahrtstores in einer Länge von rund 4,5 m errichtet wurde (Beilage ./D, welche einen integrierenden Bestandteil dieses Urteils bildet, wurde der betreffende Zaun als „strittiger Zaun“ bezeichnet), insbesondere Beschädigungen, welche sich durch das Berühren des Müllcontainers des Beklagten mit dem betreffenden Zaun ergeben (zum Beispiel Rost) sowie ähnliche Störungshandlungen zu unterlassen, statt.

Im Spruchpunkt 2. wies das Erstgericht die weiteren Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig,

a) Störungen des klägerischen Eigentums (Liegenschaft in EZ *, Grundbuch *, mit den Grundstücksnummern 29 und 31/11) sowie des klägerischen Geh- und Fahrrechts (Dienstbarkeitsrecht) auf dem Grundstück des Beklagten mit Grundstücksnummer 30 (Liegenschaft in EZ *, Grundbuch *) wobei hinsichtlich der betreffenden Dienstbarkeitsfläche auch auf die diesem Klagebegehren (Spruch) beigefügte Planskizze des Sachverständigen DI N* B* vom 16. 08. 2018 zu GZ * (Beilage ./D), welche einen integrierenden Bestandteil dieses Klagebegehrens (Spruch) bildet und auf welchen die betreffende Dienstbarkeitsfläche rot schraffiert eingezeichnet worden ist, verwiesen wird, insbesondere Störungen, welche sich durch das Aufstellen von Betonsockeln bzw. Betonsäulen auf den Grundstücken mit den Grundstücksnummern 29 und 30 (Dienstbarkeitsfläche), wie sie ebenfalls der erwähnten Skizze zu entnehmen sind ergeben sowie ähnliche Störungshandlungen zu unterlassen;

b) Jede Beeinträchtigung des klägerischen Eigentums durch ortsunübliche Geruchs- bzw. Gestankimmissionen in Folge der (auch) auf dem Beklagtengrundstück abgestellten Müllcontainer, insbesondere Gestank nach verwestem Fleisch oder sonstigen Abfällen (Müll) oder durch Abgase von abgestellten Fahrzeugen sowie ähnliche Störhandlungen zu unterlassen;

c) die Errichtung eines Holzzaunes auf der unter Punkt 1. näher bezeichneten Dienstbarkeitsfläche zu unterlassen, insbesondere die Errichtung einer über 180 cm hohen Holzwand sowie ähnliche Störungshandlungen zu unterlassen, ab.

Auf Seite 15 dieses Urteils ist die „Anlage 4 zum Gutachten“ abgebildet. Diese stellt in einer Skizze zeichnerisch dargestellt – so das Erstgericht auf Seite 14 – jenen Bereich dar, der auf dem Grundstück des Beklagten überfahren wurde.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsabweisenden Teil dieser Entscheidung (Spruchpunkt 2. a) bis c)) vom Kläger erhobenen Berufung mit Urteil vom 18. 6. 2019 (ON 50) teilweise Folge und änderte dieses dahin ab, dass es unter Einschluss des unangefochtenen sowie des hiemit bestätigten Teils insgesamt lautet:

1. Der Beklagte ist schuldig, die Positionierung von Müllcontainern auf dem klägerischen Eigentum (Liegenschaft in EZ  *, Grundbuch *, GST‑NR 29 in EZ * KG *) sowie das Berühren und Beschädigen des klägerischen Zauns, welcher entlang der Grundstücksgrenze zum Grundstück des Beklagten hin auf Grundstücksnummer 29 im Bereich des Einfahrtstores in einer Länge von rund 4,5 m errichtet wurde (in Beilage ./D, welche einen Bestandteil dieses Urteils bildet, wurde der betreffende Zaun als „strittiger Zaun“ bezeichnet), insbesondere Beschädigungen, welche sich durch das Berühren des Müllcontainers des Beklagten mit dem betreffenden Zaun ergeben (zum Beispiel Rost), sowie ähnliche Störungshandlungen zu unterlassen.

2. Der Beklagte ist schuldig, Störungen des klägerischen Fahrrechts (Dienstbarkeitsrecht) auf dem Grundstück des Beklagten GST‑NR 30 in EZ  * KG * (Dienstbarkeitsfläche ist rot schraffierte Fläche in der einen Bestandteil des Urteils bildenden Planskizze Beilage ./D), insbesondere durch das Aufstellen von Betonsockeln auf der Dienstbarkeitsfläche, sowie ähnliche Störungshandlungen zu unterlassen.

Das Mehrbegehren, der Beklagte ist schuldig

3. Jede Beeinträchtigung des klägerischen Eigentums durch ortsunübliche Geruchs- bzw. Gestanksimmissionen als Folge der (auch) auf dem Beklagtengrundstück abgestellten Müllcontainer, insbesondere Gestank nach verwestem Fleisch oder sonstigen Abfällen (Müll), oder als Folge der Abgase von abgestellten Fahrzeugen sowie ähnliche Störhandlungen, bzw

4. die Errichtung eines Holzzaunes auf der unter Punkt 2. näher bezeichneten Dienstbarkeitsfläche, insbesondere die Errichtung einer über 180 cm hohen Holzwand, sowie ähnliche Störungshandlungen zu unterlassen, wird abgewiesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Der Beklagtebrachte gegen Spruchpunkt 2. des Berufungsurteils einen Antrag nach § 508 ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision ein. Darin machte er ua eine Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, weil dem Ersturteil als Skizze die Anlage 4 zum Gutachten angeschlossen sei, das Berufungsgericht aber in Spruchpunkt 2. auf die Beilage ./D Bezug nehme.

Mit Beschluss vom 23. 10. 2019 (ON 57) berichtigte das Berufungsgericht von Amts wegen das Berufungsurteil dahin, dass „die Ausführungen in den Klammern der Spruchpunkte 1. und 2. lauten wie folgt:

Spruchpunkt 1.

( 'strittiger Zaun' in Anlage 4 zum Gutachten Vermessungsbüro B* und S*, welche in Kopie in das Urteil aufgenommen wurde und einen integrierten Bestandteil desselben bildet)

Spruchpunkt 2.

(Dienstbarkeitsfläche ist grün markierter in der einen Bestandteil des Urteils bildenden Planskizze laut Anlage 4).“

Es bestehe kein Zweifel, dass das Erstgericht in seinem Spruch auf diese Anlage 4 Bezug nehmen habe wollen. Das Berufungsgericht habe aus einem Versehen die Formulierung des Erstgerichts übernommen, wodurch der besagte Fehler auch in die Spruchpunkte 1. und 2. des Berufungsurteils eingeflossen sei. Da es sich um eine offenbare Unrichtigkeit handle, sei gemäß § 419 Abs 1 ZPO die aus dem Spruch ersichtliche Berichtigung vorzunehmen gewesen.

Mit Beschluss desselben Datums (23. 10. 2019) wies das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten gemäß § 508 ZPO und die damit verbundene Revision nach inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Argumenten des Revisionswerbers zurück (1 R 140/19z‑2). Dieser Beschluss wurde dem Beklagten nach der Aktenlage bisher noch nicht zugestellt.

Ein vom Beklagten gegen den Berichtigungsbeschluss erhobener Rekurs wurde vom Berufungsgericht mit Beschluss vom 4. 12. 2019 mangels Zulässigkeit zurückgewiesen (1 R 140/19z‑9).

Die berichtigten Urteilsausfertigungen wurden den Parteien am 7. 11. 2019 zugestellt (ON 54).

Der Beklagte stellte fristgerecht (20. 11. 2019) einen (neuen) Antrag nach § 508 ZPO, wieder verbunden mit einer ordentlichen Revision. In diesem Rechtsmittelschriftsatz wies er darauf hin, dass die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung zu laufen begonnen habe, weil die Parteien erst aufgrund dieser Entscheidung volle Klarheit über den Inhalt der Entscheidung gewonnen hätten.

Das Berufungsgericht wies auch diesen Antrag des Beklagten sowie die hiemit verbundene Revision zurück. Der Beschluss vom 23. 10. 2019, mit welchem der erste Abänderungsantrag und die Revision zurückgewiesen worden sei, habe bereits auf dem berichtigten Urteil des Berufungsgerichts vom 18. 6. 2019 beruht. Dem neuerlichen Antrag des Beklagten nach § 508 ZPO stehe daher der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels entgegen, weshalb er (gemeinsam mit der verbundenen Revision) zurückzuweisen sei.

Dagegen erhob der Beklagte rechtzeitig Rekurs mit dem Antrag, dem Berufungsgericht die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beklagten vom 20. 11. 2019 unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs des Beklagten zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 ZPO nur Entscheidungen betrifft, mit denen das Berufungsgericht die Argumente des Antragstellers, es lägen doch erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO vor, prüft, sie aber nicht für stichhältig hält und deshalb den Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO und die damit verbundene Revision zurückweist (RS0115271; RS0113122). Dies ist bei der hier angefochtenen Zurückweisung nicht der Fall. Das Rechtsmittel der Beklagten ist auch berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung beginnen die Rechtsmittelfristen im Fall einer Berichtigung eines Urteils (§ 419 ZPO) im Regelfall erst mit Zustellung der berichtigten Ausfertigung zu laufen (RS0041797). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Parteien erst durch die Berichtigung einer Entscheidung volle Klarheit über deren Inhalt erlangen (RS0041797 [T27, T52]). Kombinationen aus dem Akteninhalt und auch aus dem Inhalt der Entscheidung muss eine Partei nicht anstellen, um dadurch zum richtigen Verständnis einer richterlichen Entscheidung zu gelangen (RS0041797 [T28]). Der Ausnahmefall, dass durch die Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigungen dann keine neuerliche Revisionsfrist in Gang gesetzt wird, wenn die Parteien aufgrund des Inhalts des Berichtigungsbeschlusses keine ernstlichen Zweifel über den Inhalt der Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz haben konnten (RS0041797 [T34, T36, T45, T49]), für die Parteien also Klarheit darüber bestand, dass der Entscheidungswille des Berufungsgerichts von Anfang an auf den – später – berichtigten Inhalt gerichtet war (vgl 9 Ob 93/18v), liegt hier nicht vor.

Bei der vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten und seinen Klagebegehren zugrunde gelegten Urkunde Beilage ./D, die in die Spruchpunkte 1. und 2. lit a des Ersturteils und in die Spruchpunkte 1. und 2. des Berufungsurteils vom 18. 6. 2019 Eingang gefunden hat, handelt es sich um eine Planskizze des Vermessungsbüros B* & S* als Privatsachverständige. In dieser Skizze ist eine Fläche des Grundstücks des Klägers rot schraffiert, hinsichtlich derer er ein Fahrrecht (Servitutsrecht) und dessen Störung durch den Beklagten behauptet hat. In der Anlage 4 des im Verfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen DI N* B* ist ein bestimmter Bereich, der nach dem berichtigten Berufungsurteil die gegenständliche Dienstbarkeitsfläche darstellen soll, mit grünen Strichen markiert. Ein Vergleich der rot markierten Fläche in der Beilage ./D mit der grün gekennzeichneten Fläche in der Anlage 4 zum Gutachten zeigt, dass diese Flächen nicht vollständig ident sind. Auch wenn im Ersturteil in den Feststellungen auf diese Anlage 4 Bezug genommen wurde, so musste es für den Beklagten nicht völlig klar sein, dass das Berufungsurteil vom 18. 6. 2019 im Spruch auch auf diese Anlage abstellt, behauptete der Kläger doch einen Eingriff in seine Servitut laut Beilage ./D und bezog sich darauf auch in seinem Urteilsbegehren. Auch durch die Farbbezeichnung der Dienstbarkeitsfläche im Berufungsurteil vom 18. 6. 2019 („rot schraffiert“) musste der Beklagte nicht ohne Zweifel davon ausgehen, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung die Dienstbarkeitsfläche laut Anlage ./4 des Gutachtens („grün markiert“) zugrunde legen wollte.

Die vom Beklagten erhobene zweite Revision ist daher durch sein erstes Rechtsmittel nicht konsumiert (RS0041797 [T53]). Da der vom Berufungsgericht gebrauchte Zurückweisungsgrund nicht vorliegt, war ihm die neuerliche Entscheidung über die Zulassungsvorstellung unter Abstandnahme von diesem aufzutragen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO (3 Ob 20/13g).

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