European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00060.20K.0721.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** A***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (II und III), jeweils mehrerer Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 StGB (IV), der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB (V) und der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (VII) sowie der Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I [iVm § 15 StGB] und VIII), der schweren Sachbeschädigung nach §§ 15, 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB (VI) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IX) schuldig erkannt.
Danach hat er in G*****
I/ am 17. Juni 2019 durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu Handlungen, nämlich zur Preisgabe von Informationen über seine Kinder, zu nötigen versucht, und zwar
A/ ***** S***** und weitere Mitarbeiter eines SOS Kinderdorfes, indem er drei Sprachnachrichten auf der Mobilbox des Diensttelefons hinterließ und ein SMS schickte, welche im angefochtenen Urteil näher wiedergegebene Äußerungen enthielten;
B/ Mitarbeiter eines anderen SOS Kinderdorfes durch telefonische Äußerungen ähnlichen Inhalts wie zu A;
II/ am 18. Juni 2019 Dipl. Soz. Päd. (FH) ***** A***** „als im Zusammenhang mit Entscheidungen betreffend die Sorge über die drei minderjährigen Kinder des Angeklagten zuständige Beamtin der Bezirkshauptmannschaft Gr*****“ mit dem Vorsatz, dadurch seine Kinder an ihrem Recht auf angemessene Versorgung, sorgfältige Erziehung, Fürsorge, Geborgenheit und Schutz der körperlichen und seelischen Integrität sowie den Staat an dessen „Recht, Eltern zur Gewährleistung des Kindeswohles die gesetzliche Obsorge zu entziehen“, zu schädigen, zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen, indem er sie durch die mehrfach wiederholte Ankündigung, „entweder geben Sie mir meine Kinder binnen 24 Stunden zurück oder ich brenne hier alles nieder“, zu einer „Handlung, nämlich zur pflichtwidrigen Veranlassung der Rückübertragung der Obsorge über seine drei Kinder vom Kinder- und Jugendhilfeträger des Landes Steiermark auf seine Ehefrau und ihn, zu nötigen versuchte“;
III/ am 20. Juni 2019 drei (im Urteil näher bezeichnete) Sachbearbeiter des Landeskriminalamts Steiermark mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Aufklärung und Verfolgung von Straftaten sowie auf Verhinderung weiterer Straftaten zu schädigen, zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen, indem er sie durch im Urteil detailliert wiedergegebene Äußerungen zu seiner Freilassung aus der Verwahrungshaft veranlassen wollte;
IV/ durch gefährliche Drohung mit dem Tod und mit Brandstiftungen zu Handlungen zu nötigen versucht, und zwar
A/ am 18. Juni 2019 Dipl. Soz. Päd. (FH) Al***** durch die zu II angeführten Äußerungen zur dort bezeichneten Handlung;
B/ am 20. Juni 2019 drei Sachbearbeiter des Landeskriminalamts Steiermark durch die zu III angeführten Äußerungen zu seiner Freilassung aus der Verwahrungshaft;
V/ am 19. Juni 2019 versucht, an fremden Sachen ohne Einwilligung der Eigentümer eine Feuersbrunst zu verursachen, indem er jeweils in PET-Flaschen abgefülltes Benzin auf den Boden goss und auf Einrichtungsgegenstände sprühte und dieses, mitgebrachtes Zeitungspapier und am Tatort befindliches Informationsmaterial aus Papier mit einem Feuerzeug entzündete, und zwar
A/ im Foyer des Bezirksgerichts Gra*****;
B/ in einem Stiegenhaus des Rathauses;
C/ in der Bezirkshauptmannschaft Gr*****;
D/ in der Fahrscheinkasse am Hauptbahnhof;
VI/ am 19. Juni 2019 fremde Sachen zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar gemacht und dadurch einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt, indem er
A/ im Kundenbereich des Hauptbahnhofs mit einem Staubsaugerrohr auf einen Kundentisch, einen Fahrscheinautomaten und sonstiges Inventar einschlug;
B/ mit dem zu A erwähnten Staubsaugerrohr auf Inventar des Verkaufsstandes „B*****“ und auf jenes des Verkaufsstandes „S*****“ einzuschlagen versuchte;
VII/ am 19. Juni 2019 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht, und zwar
A/ W***** U*****, indem er im Rahmen der zu V/A beschriebenen Tat Benzin gezielt in dessen Richtung versprühte, entzündete und nach dem Entzünden weiter Benzin in die Flammen sprühte, wodurch das Hosenbein des Opfers zu brennen begann und es nur deshalb beim Versuch blieb, weil das Feuer rasch gelöscht werden konnte;
B/ ***** E*****, indem er im Rahmen der zu V/A beschriebenen Tat Benzin gezielt in dessen Richtung versprühte und entzündete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil das Opfer rechtzeitig flüchten konnte;
C/ ***** R*****, indem er im Rahmen der zu V/D beschriebenen Tat Benzin gezielt in dessen Richtung versprühte und entzündete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil das Opfer rechtzeitig flüchten konnte;
VIII/ am 19. Juni 2019 ***** Ak***** durch die Äußerung, sie solle sich entfernen, ansonsten würde er auch auf sie einschlagen, mithin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, zu einer Handlung, nämlich zum Verlassen der Örtlichkeit, genötigt;
IX/ am 19. Juni 2019 vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar
A/ ***** T*****, indem er diesem im Zuge eines Gerangels mit einem Staubsaugerrohr ins Gesicht schlug, wodurch das Opfer leichte Verletzungen am linken Handgelenk, links im Gesicht und am Brustkorb erlitt;
B/ ***** W*****, indem er diesem mit seinem Rucksack gegen den Kopf schlug, wodurch das Opfer eine Beule und leichte Schmerzen am Hinterkopf erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
Die Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Frau des Beschwerdeführers zum Thema, dass dieser „nicht zur Gewalt neigt“ und „keinesfalls Vorbereitungshandlungen, wie in das Gutachten eingeflossen ist, dahingehend vorgenommen hat“ (ON 109 S 17). Abgesehen davon, dass das Antragsvorbringen nicht erkennen ließ, weshalb die Frau des Beschwerdeführers das Fehlen von Vorbereitungshandlungen hätte bezeugen können (vgl RIS‑Justiz RS0118444 [T6]), betraf das Beweisthema keinen für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erheblichen Umstand, sondern war – auch nach dem Rechtsmittelvorbringen – lediglich „für den Ausspruch der Unterbringung“ (nämlich der Sache nach für die Gefährlichkeitsprognose) und „die ausgesprochene Strafe“ relevant. Solcherart war die Abweisung des Beweisantrags einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde (aus Z 4) entzogen (RIS‑Justiz RS0118319 [insb T2]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Dabei wird es zu beachten haben, dass das Urteil einen nicht geltend gemachten Subsumtionsfehler (Z 10) aufweist, der sich jedoch nicht konkret zum Nachteil des Angeklagten auswirkt:
Zu IV/A erkannte das Erstgericht den Beschwerdeführer des (in Idealkonkurrenz zum Verbrechen der schweren Nötigung begründeten) Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB schuldig. Nach den Feststellungen (US 6 f und 8) hatte das Bezirksgericht dem Beschwerdeführer und seiner Frau die Obsorge entzogen und auf den Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen. Der Beschwerdeführer hatte die Rückübertragung der Obsorge beantragt. Die inkriminierte Handlung zielte darauf ab, die zuständige Beamtin der Bezirkshauptmannschaft zu einer „positiven Stellungnahme“ zu veranlassen. Gegenstand des Missbrauchs der Amtsgewalt können nur Amtsgeschäfte im Rahmen der Hoheitsverwaltung sein (RIS‑Justiz RS0105870). Dies trifft auf die hier angesprochene Tätigkeit des Kinder- und Jugendhilfeträgers im Rahmen des Pflegschaftsverfahrens vor dem Bezirksgericht (vgl § 106 AußStrG) nicht zu (näher zum Charakter der Tätigkeit des Kinder- und Jugendhilfeträgers bei der Ausübung der Obsorge und im pflegschaftsgerichtlichen Verfahren Cohen/Tschugguel in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON § 207 Rz 5 und § 211 Rz 6; Schragel , AHG 3 § 1 Rz 108; RIS-Justiz RS0120111; VfGH VfSlg 18.154; VwGH 2013/11/0205; vgl auch 17 Os 30/13k), sodass Strafbarkeit nach § 302 Abs 1 StGB ausscheidet. Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung über die Berufung nicht an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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