OGH 4Ob83/20i

OGH4Ob83/20i2.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ä* Körperschaft öffentlichen Rechts, *, vertreten durch Spitzauer & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. I* W*, und 2. G* W*, beide vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. März 2020, GZ 40 R 237/19b‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128992

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist Eigentümerin und Vermieterin einer an die Beklagten vermieteten aus drei Zimmern und Nebenräumen bestehenden Wohnung. Die Beklagten bezahlen seit Jänner 2016 wegen einer Geruchsbelästigung und wegen überhöhtem (gesundheitsschädigendem) Bleigehalt im Trinkwasser für das Bestandobjekt keinen Mietzins.

Unter Hinweis auf den Mietzinsrückstand im Ausmaß von 64.918,47 EUR begehrte die Klägerin die auf § 1118 ABGB gestützte Räumung des Bestandobjekts. Die von den Beklagten geltend gemachten Umstände rechtfertigten keine Mietzinsreduktion in voller Höhe.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte sowohl unzumutbare Geruchsbelästigungen, die allerdings nur zeitweise und nur in Teilen der Wohnung auftraten, als auch Grenzüberschreitungen beim Bleigehalt des Trinkwassers fest. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass sowohl die Geruchsbelästigung als auch der Bleigehalt des Wassers eine Mietzinsminderung rechtfertige. Der Höhe nach komme hier aber eine Reduktion von maximal 35 %, nicht aber von 100 % in Betracht. Aufgrund der seit Jahren gänzlich unterlassenen Mietzinszahlung (auch des auferlegten einstweiligen Mietzinses) liege grobes Verschulden vor, sodass ein Vorgehen nach § 33 Abs 2 MRG nicht geboten sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zu. Aus den Feststellungen ergebe sich keine gänzliche Unbrauchbarkeit der Wohnung. Es erachtete die Nichtanwendung des § 33 Abs 2 MRG als fehlerfrei, weil den Beklagten das Beharren auf deren Standpunkt, der Klägerin überhaupt nichts zu schulden – nicht einmal den ihnen auferlegten einstweiligen Mietzins – als grobes Verschulden anzulasten sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten spricht keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung an:

1.1 Die Beklagten machen im Kern als erhebliche Rechtsfrage die unrichtige Anwendung des § 33 Abs 2 MRG durch das Berufungsgericht geltend. Nach der Rechtsansicht der Revisionswerber sei zunächst das Ausmaß der Mietzinsminderung und in weiterer Folge die Rechtsfrage zu klären, ob nicht beide Beklagten einen Rechtsanspruch auf konkrete Feststellung der zulässigen Mietzinsminderung und damit auch zur Anwendung des § 33 MRG haben.

1.2 Die Beklagten haben schon in der Berufung gerügt, dass das Erstgericht keinen Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG gefasst habe. Die Unterlassung eines solchen Beschlusses kann (nur) eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens zur Folge haben (RS0043204; vgl auch RS0042358 [§ 24 WEG 1975]). Das Berufungsgericht hat sich mit diesem vom Beklagten relevierten Mangel ausdrücklich auseinandergesetzt und ihn nicht aktenwidrig verneint. Ein – allfälliger – Mangel des Verfahrens erster Instanz, der in der Berufung geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint wurde, kann aber nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr in der Revision gerügt werden (RS0042963; zu § 33 Abs 2 MRG: zB 6 Ob 105/07w; 5 Ob 174/08m).

2.1 Die Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Mietzinsminderung berechtigt ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und kann daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RS0021324 [T3]).

2.2 Ausgehend von den Feststellungen, dass wegen des hohen Bleigehalts des Trinkwassers und der (nur) zeitweise und (nur) in Teilen der Wohnung aufgetretenen Geruchsbelästigungen keine gänzliche Unbrauchbarkeit, sondern nur eine (wenngleich massive) Gebrauchsbeeinträchtigung vorlag, haben die Vorinstanzen das Recht auf eine 100%ige Mietzinsminderung verneint. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (vgl zB 9 Ob 34/04x: Reduktion um 25 % bei gesundheitsschädlicher Bleikonzentration im Trinkwasser).

2.3 Die Beklagten zeigen dazu keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung auf. Mit ihrem Hinweis, dass sich das Ausmaß der Mietzinsminderung nicht nach starren Prozentsätzen, sondern nach dem (von ihnen mehrfach hervorgehobenen) „Restnutzen“ richten müsse, räumen sie selbst ein, dass die Wohnung für sie zumindest teilweise brauchbar ist.

3. Auch die von den Beklagten zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die angefochtene Entscheidung ist insbesondere nicht von den in der Rechtsprechung zu § 1096 ABGB entwickelten Grundsätzen abgegangen.

3.1 Der Entscheidung (richtig:) 7 Ob 631/92 lag zugrunde, dass eine Benützung der gemieteten Räume zu dem vereinbarten Zweck wegen des Fehlens der baubehördlichen Bewilligung zur Widmungsänderung unstatthaft und nicht gewährleistet war. Dessen ungeachtet wurde hier eine gänzliche Mietzinsminderung verneint, weil der dortige Mieter die Wohnung tatsächlich benützt und damit einen Vorteil erzielt hat. Das steht nicht im Widerspruch zur angefochtenen Entscheidung (zumal, wie oben ausgeführt, selbst die Beklagten einen Restnutzen an der Wohnung einräumen).

3.2 In der Entscheidung 7 Ob 303/06v wurde im Zusammenhang mit der Prüfung einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO (nur) hervorgehoben, dass die Mietzinsminderung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Gerade diese (auch in der Revision hervorgehobene) Schlussfolgerung kann aber auch im Anlassfall keine Frage erheblicher Bedeutung begründen. Auch das Berufungsgericht hat seine Ablehnung eines vollen Mietzinsentfalls aufgrund der im Einzelfall vorliegenden Beeinträchtigungen bzw des Restnutzens getroffen.

3.3 Mit den Entscheidungen 1 Ob 531/91 und 6 Ob 257/03t argumentieren die Beklagten nur im Zusammenhang mit der Anwendung des § 33 Abs 2 MRG, die aber die Zulässigkeit der Revision – wie oben ausgeführt – nicht begründen kann.

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