OGH 5Ob70/20k

OGH5Ob70/20k22.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U*, vertreten durch MMag. Dr. Martin Hasibeder, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, gegen die beklagten Parteien 1. I*, 2. K*, beide vertreten durch Dr. Nikolaus Mair, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2020, GZ 4 R 282/19b‑15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 18. Oktober 2019, GZ 4 C 265/19m‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128553

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen deren mit 460,40 EUR (darin 76,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Streitteile sind jeweils Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft mit den darauf errichteten Reihenhäusern sowie von Kfz‑Abstellplätzen im Freien, die in der Natur schräg versetzt gegenüber dem zugehörigen Reihenhaus angeordnet sind. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die rechtliche Qualifikation eines mündlichen Übereinkommens der Wohnungseigentümer anlässlich einer Eigentümerversammlung am 22. 3. 2010, wonach der unmittelbar gegenüber dem jeweiligen Reihenhaus liegende Parkplatz anstelle des eigentumsrechtlich zugeordneten, daneben gelegenen Parkplatzes benutzt werden darf. Die Klägerin hat den Beklagten mit Schreiben vom 29. 1. 2019 mitgeteilt, dass sie die Benutzung ihres Parkplatzes P 4 durch die Beklagten nicht mehr dulde, die Beklagten haben ihm danach dennoch mehrfach befahren.

Das Erstgericht gab der Klage auf Unterlassung des Befahrens des Kfz‑Abstellplatzes der Klägerin statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Eine Benützungsvereinbarung iSd § 17 WEG sei rechtlich nicht möglich, weil es sich bei den Längsparkplätzen um keine verfügbaren allgemeinen Teile der Liegenschaft handle und scheitere im Übrigen an der mangelnden Schriftlichkeit. Da ein über eine bloße Gefälligkeitszusage hinausgehender Rechtsfolgewille nicht feststehe, sei von Einzelverträgen der einzelnen Wohnungseigentümer in Form präkaristischer Gestattung auszugehen. Dafür spreche die fehlende Entgeltlichkeit und der Umstand, dass die Dauer der unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung ebensowenig besprochen worden sei wie Kündigungs‑ oder Widerrufsmöglichkeiten. Ein Präkarium sei grundsätzlich frei widerrufbar, den Widerruf habe die Klägerin erklärt.

Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR übersteigend. Die ordentliche Revision ließ es mit der Begründung zu, aufgrund der möglichen Konsequenzen für die Gesamtliegenschaft komme der Frage der Vertragsauslegung hier eine über den Einzelfall hinausgehende besondere Bedeutung zu.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die eine Abänderung im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens anstreben, hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellen.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Gemäß § 17 Abs 1 WEG 2002 können sämtliche Wohnungseigentümer schriftlich eine Vereinbarung über die Benützung der verfügbaren allgemeinen Teile der Liegenschaft treffen. Dass das Übereinkommen der Mit‑ und Wohnungseigentümer vom 22. 3. 2010 keine Benützungsvereinbarung im Sinn dieser Bestimmung sein kann, ziehen auch die Beklagten zu Recht nicht mehr in Zweifel. Der Vereinbarung fehlt die gebotene Schriftlichkeit, außerdem betrifft sie nicht verfügbare allgemeine Teile, sondern Wohnungseigentumsobjekte. Die Beklagten wollen aber die Regeln über die Benützungsvereinbarung auf diesen „mehrseitigen Vertrag“ analog angewendet wissen, können dies aber nicht schlüssig begründen, setzt doch jede Analogie eine Gesetzeslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus (RIS‑Justiz RS0098756). Der gesetzlich nicht geregelte Fall müsste mit dem gesetzlich geregelten in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmen (RS0008864). Da der Gesetzgeber des WEG aber klar zwischen allgemeinen Teilen einer Liegenschaft und Wohnungseigentumsobjekten differenziert (vgl die Definitionen in § 2 Abs 2 bzw § 2 Abs 4 WEG 2002) und § 17 WEG unmissverständlich nur auf allgemeine Teile der Liegenschaft angewendet wissen will, ist eine planwidrige Lücke nicht zu erkennen.

2. Die Frage, ob im konkreten Fall von einem mehrseitigen Vertrag aller Mit‑ und Wohnungseigentümer im Sinn eines Dauerschuldverhältnisses oder einer Summe von frei widerruflichen Einzelverträgen auszugehen ist, ist eine solche der Auslegung der Vereinbarung im Einzelfall, die – abgesehen von einer groben Verkennung der Rechtslage – grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft (RS0042776; RS0044358). Der Umstand alleine, dass sich die Entscheidung in diesem Verfahren letztlich möglicherweise auch auf weitere, nicht prozessbeteiligte Mit- und Wohnungseigentümer auswirken könnte, rechtfertigt die Anrufung des Obersten Gerichtshofs nicht. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nicht schon deshalb vor, weil gleiche oder ähnliche Auslegungsfragen in mehreren Verfahren zu lösen sind oder zu lösen sein könnten (RS0042742 [T11, T12, T15]; 5 Ob 72/19b). Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigen die Revisionswerber aber nicht auf.

3. Die Argumentation, die Vereinbarung habe eine Gesamtregelung für sämtliche Parkplätze zwischen den Miteigentümern bezweckt, verlässt den Boden der Feststellungen und ist daher nicht gesetzesgemäß. Nach dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt lag der mündlichen Übereinkunft anlässlich der Eigentümerversammlung, anstelle der eigentumsrechtlich zugeordneten Parkplätze jeweils den unmittelbar gegenüber liegenden zu nutzen, lediglich Praktikabilität zugrunde, ein genauer Inhalt des Übereinkommens war nicht besprochen. Nicht geklärt wurde, unter welchen Umständen sie aufgehoben werden könne, eine Dauer war nicht festgesetzt. Im Übrigen meinen die Revisionswerber im Wesentlichen, ein Vergleich mit einer Benützungsregelung über verfügbare allgemeine Teile iSd § 17 WEG 2002 dränge sich auf, ohne dies in rechtlicher Hinsicht näher zu begründen. Insbesondere fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den ausführlichen rechtlichen Überlegungen der Vorinstanzen, aus welchen Gründen im konkreten Fall eben nicht von einem einheitlichen Vertrag sämtlicher Mit‑ und Wohnungseigentümer, sondern einer Summe von einzelnen, frei widerruflichen Gebrauchsüberlassungen auszugehen sei. Dass § 17 WEG den Mit‑ und Wohnungseigentümern die rechtliche Möglichkeit schafft, in schriftlicher Form über verfügbare allgemeine Teile ein Dauerrechtsverhältnis zu begründen, das nur einstimmig abgeändert werden kann, ist – wie schon unter Punkt 1 erwähnt – kein ausreichender Grund für die von den Revisionswerbern offenbar vorausgesetzte Annahme, bei einer bloß mündlichen Vereinbarung gegenseitiger Benutzungsrechte an Wohnungseigentumsobjekten sei gleichermaßen von einem Dauerrechtsverhältnis auszugehen. Im Zweifel ist vielmehr gerade nicht davon auszugehen, dass jemand eine Verpflichtung eingeht, mit der er sich verbindlich in der freien Ausübung seines Eigentumsrechts einschränken lässt.

4. Damit war die ordentliche Revision zurückzuweisen.

5. Da die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, steht ihr gemäß §§ 41, 50 ZPO der Ersatz der tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung zu.

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