OGH 5Ob207/19f

OGH5Ob207/19f14.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin 1. Mag. S* H*, vertreten durch die Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die Antragsgegner 1. F* M*, vertreten durch Dr. Franz Hitzenbichler, Dr. Bernhard Zettl, Rechtsanwälte in Salzburg, 2. S* S*, 3. F* H*, vertreten durch Mag. Klaudius May, Rechtsanwalt in Salzburg, 4. C* W*, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, 5. V* B*, vertreten durch Dr. Christoph Gernerth Mautner Markhof, Dr. Gabriele Gernerth Mautner Markhof, Dr. Alexander Schalwich, Rechtsanwälte in Hallein, wegen § 24 Abs 6 WEG (§ 52 Abs 1 Z 4 WEG), über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Antragstellerin und des Drittantragsgegners (im Verfahren zuletzt als „Zweitantragsteller“ geführt) gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 16. Oktober 2019, GZ 22 R 262/19m‑33, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128426

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Aus Anlass des Revisionsrekurses des Drittantragsgegners (im Verfahren zuletzt als „Zweitantragsteller“ geführt) wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts insoweit, als das Rekursgericht über den Rekurs des Drittantragsgegners („Zweitantragsteller“) meritorisch entschieden und diesen zum Kostenersatz verpflichtet hat, als nichtig aufgehoben.

Der Rekurs des Drittantragsgegners („Zweitantragsteller“) wird zurückgewiesen.

Der Erstantragsgegner, die Viertantragsgegnerin und die Fünftantragsgegnerin haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortung jeweils selbst zu tragen.

 

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Mit Ausnahme des Erstantragsgegners sind die Streitteile miteinander verwandt. Ein Verwalter ist nicht bestellt.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung von drei in der Eigentümerversammlung am 30. 8. 2018 gefassten Beschlüsse zur Neuordnung der Aufgabenverteilung im Rahmen der Selbstverwaltung. Der Hausanschlag dieser drei Beschlüsse erfolgte am 11. 9. 2018.

Mit dem am 9. 10. 2018 beim Erstgericht eingebrachten Antrag begehrte die Antragstellerin – gestützt auf formelle Mängel iSd § 24 Abs 6 WEG – die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit dieser Beschlüsse. Der von der Antragstellerin als Drittantragsgegner bezeichnete Wohnungseigentümer trat diesem Antrag mit einem am 3. 12. 2018 eingebrachten Schriftsatz ausdrücklich bei. Im weiteren Verfahren wurde die Antragstellerin als Erstantragstellerin und der Drittantragsgegner als Zweitantragsteller geführt.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Das Rekursgericht gab den Rekursen der Antragstellerin („Erstantragstellerin“) und des Drittantragsgegners („Zweitantragsteller“) nicht Folge. Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richten sich deren außerordentliche Revisionsrekurse.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses des Drittantragsgegners („Zweitantragsteller“) ist eine dem Beschluss des Rekursgerichts anhaftende Nichtigkeit aufzugreifen. Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.

I. Außerordentlicher Revisionsrekurs des Drittantragsgegners („Zweitantragsteller“)

1.1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses nach § 24 Abs 6 WEG (§ 52 Abs 1 Z 4 WEG) ist gegen alle übrigen Wohnungseigentümer zu richten. Passiv legitimiert sind also sämtliche nicht antragstellenden Wohnungseigentümer. Ein überstimmter, in einem solchen Antrag zunächst als Antragsgegner geführter Wohnungseigentümer kann zwar grundsätzlich die Seite wechseln und dem Anfechtungsantrag beitreten; dies aber nur unter der Voraussetzung, dass dies innerhalb der Anfechtungsfrist des § 24 Abs 6 WEG von einem Monat geschieht. Nach Ablauf der Anfechtungsfrist ist dessen Anfechtungsrecht präkludiert und ein „Beitritt“ nicht mehr möglich. Wer den Mehrheitsbeschluss anzufechten verabsäumt hat, ist daher als Antragsgegner zu behandeln (5 Ob 55/07k; 5 Ob 85/11b; RIS-Justiz RS0122084).

1.2. Im Zeitpunkt des Beitritts des Drittantragsgegners mit Schriftsatz vom 3. 12. 2018 war die einmonatige Frist für die Anfechtung der am 11. 9. 2018 angeschlagenen Beschlüsse bereits abgelaufen. Ein solcher „Beitritt“ war daher – unabhängig von der Frage, ob dem Drittantragsgegner überhaupt ein Anfechtungsrecht zugekommen wäre – nicht mehr möglich. Der Drittantragsgegner ist und war daher weiterhin als Antragsgegner zu führen.

2.1. Auch im Verfahren Außerstreitsachen muss ein Rechtsschutzinteresse an der inhaltlichen Behandlung eines Rechtsmittels bestehen. Fehlt ein solches Anfechtungsinteresse (Beschwer) ist ein Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0006598; RS0006880). Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle und die materielle Beschwer. Die formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht. Die materielle Beschwer liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt (RS0041868). Der Rechtsmittelwerber muss jedenfalls formell beschwert sein, die gefällte Entscheidung muss also zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers von seinem Antrag abweichen (RS0041868 [T5, T11]; RS0041770 [T81]; RS0043917). Die formelle Beschwer reicht dabei nicht immer aus. Wird seine Rechtsstellung durch die Abweisung nicht beeinträchtigt, ist der Antragsteller also materiell nicht beschwert, ist sein Rechtsmittel trotz formeller Beschwer zurückzuweisen (RS0041868; RS0041770 [T71]).

2.2. Den Entscheidungen der Vorinstanzen liegt nur ein Antrag der Antragstellerin zugrunde. Der „Beitritt“ des Drittantragsgegners war zufolge Ablaufs der Anfechtungsfrist des § 24 Abs 6 WEG nicht mehr möglich. Durch die Abweisung des von ihm gar nicht gestellten Antrags ist der Drittantragsgegner daher nicht (formell) beschwert.

3.1. Das Rekursgericht hat hier über den mangels Beschwer unzulässigen Rekurs des Drittantragsgegners nicht formal, also im Sinn dessen Zurückweisung, sondern meritorisch entschieden. Der – in diesem Fall zur Hauptfrage werdende – Mangel der funktionellen Zuständigkeit des Rekursgerichts für eine solche Erledigung ist vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen. Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt auch im Außerstreitverfahren (RS0121264; RS0115201; RS0042059; RS0043969). Das amtswegige Wahrnehmen einer Nichtigkeit setzt ein zulässiges Rechtsmittel voraus (RS0041907). Unter Zulässigkeit ist aber die verfahrensrechtliche Statthaftigkeit zu verstehen; das Rechtsmittel darf daher nicht jedenfalls unzulässig sein, auf das Geltendmachen einer erheblichen Rechtsfrage kommt es nicht an (RS0041907 [T5]).

3.2. Es war daher aus Anlass des Revisionsrekurses der unzulässige Rekurs des Drittantragsgegners zurückzuweisen. Da eine Rekursbeantwortung im Fall der absoluten Unzulässigkeit des Rekurses nicht unstatthaft ist, ist die Rekursbeantwortung nicht wie der Rekurs selbst zurückzuweisen. Kostenersatz für die erstatteten Rekursbeantwortungen gebührt allerdings nicht, weil in diesen auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen wurde (RS0124565).

II. Außerordentlicher Revisionsrekurs der Erstantragstellerin

1.1. Die Antragstellerin sieht die Zulässigkeit ihres Revisionsrekurses zunächst darin begründet, dass das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Inhaltserfordernissen der Verständigung nach § 25 Abs 2 WEG abgewichen sei.

1.2. Die Einberufung der Eigentümerversammlung und die dabei zur Beschlussfassung anstehenden Gegenstände sind jedem Wohnungseigentümer mindestens zwei Wochen vor dem Versammlungstermin schriftlich auf die in § 24 Abs 5 WEG beschriebene Weise zur Kenntnis zu bringen (§ 25 Abs 2 WEG). Diese Verständigung verfolgt den Zweck, den Wohnungseigentümern Gelegenheit zu geben, sich auf die Beschlussfassung zielgerichtet vorzubereiten. Die zur Beschlussfassung anstehenden Beschlussgegenstände sind daher ausreichend bestimmt bekannt zu geben. Die Angaben zu den Tagesordnungspunkten müssen die Absicht, einen Beschluss zu fassen, klar erkennen lassen und die Beschlussgegenstände so konkret beschreiben, dass eine Vorbereitung darauf sinnvoll möglich ist. Ist die Beschlussfassung vom Inhalt der Verständigung nicht erfasst, weil sie zu allgemein oder zu eng gefasst worden ist, liegt ein formeller, das Anhörungsrecht verletzender Mangel vor (Painsi in GeKo Wohnrecht II § 25 WEG 2002 Rz 20; Würth/Zingher/Kovanyi II23 § 25 WEG Rz 6; Löcker in Hausmann/Vonkilch 4 § 25 WEG Rz 14).

1.3. Ob die zur Beschlussfassung anstehenden Beschlussgegenstände ausreichend bestimmt bekannt gegeben wurden, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (vgl 5 Ob 113/08s; RS0124152; RS0112201). Diese Frage begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 62  Abs 1 AußStrG (vgl RS0042405).

1.4. Eine solche Einzelfallentscheidung ist vom Obersten Gerichtshof vielmehr nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit eine auffallende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts korrigiert werden müsste (RS0044088). Der hier bekanntgegebene Tagesordnungspunkt lautete „Neuordnung der Aufgabenverteilung im Rahmen der Selbstverwaltung, Entbindung von F* H* [der Drittantragsgegner] von seinen Aufgaben“, die in diesem Zusammenhang strittigen tatsächlich gefassten Beschlüsse sind die „Beauftragung von Herrn S* S* mit der Durchführung der Betriebskostenabrechnung (Führung des Betriebskostenkontos und Einhebung Betriebskosten), ab 01. 09. 2018“ [Beschluss 1b] sowie die „Betrauung von Herrn M* W* im Rahmen der Selbstverwaltung mit der Führung des Rücklagenkontos einschließlich Einhebung der Rücklagen“ [Beschluss 1c]. Die Auffassung der Vorinstanzen, die Angaben im Tagesordnungspunkt hätten diese Beschlussgegenstände in dem Sinn ausreichend konkret beschrieben, dass den Wohnungseigentümern eine Vorbereitung darauf sinnvoll möglich gewesen sei, ist keine solche ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

2.1. Die Antragstellerin begründet die Zulässigkeit ihres Revisionsrekurses weiters damit, dass das Rekursgericht entgegen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für den vorliegenden Fall einer Selbstverwaltung die Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses nach § 24 Abs 3 WEG verneint habe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung ergebe sich vielmehr, dass die Wohnungseigentümerin S* S* zumindest von der Beschlussfassung zu Beschlussgegenstand 1b und die Wohnungseigentümerin C* W* von der Beschlussfassung zu Beschlussgegenstand 1c vom Stimmrecht ausgeschlossen gewesen seien. Bei Berücksichtigung dieses Umstands fehle diesen Beschlüssen jeweils die erforderliche Mehrheit.

2.2. Schon das Rekursgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beschlussanfechtung nach § 24 Abs 6 WEG (§ 52 Abs 1 Z 4 WEG) von der Dispositionsmaxime getragen ist und sich die (eingeschränkte) Amtswegigkeit in diesem Verfahren demnach nur auf den geltend gemachten Beschlussanfechtungsgrund bezieht. Der Prüfumfang des Gerichts hat sich auf diesen zu beschränken. Es bedarf daher eines konkreten Vorbringens, aus welchen Gründen die Beschlussfassung formell mangelhaft sein soll (5 Ob 20/16a mwN). Der Antragsteller hat den bestimmten Rechtsgrund, auf den er die Anfechtung stützt, also anzuführen. Das Gericht hat nicht von sich aus auch völlig andere Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen. Verspätet geltend gemachte („nachgeschobene“) Anfechtungsgründe sind bei der Berufung auf die Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses wegen formeller Mängel präkludiert (RS0108154 [T3]; RS0130835).

2.3. Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag zwar geltend gemacht, dass der die Entbindung des Drittantragsgegners betreffende Beschluss [1a] im Hinblick auf den nicht berücksichtigten Stimmrechtsausschluss eben des Drittantragsgegners formell mangelhaft sei. Diesen Anfechtungsgrund haben die Vorinstanzen auch geprüft und verneint, weil auch nach dem rechtlich richtigen Ergebnis die erforderliche Stimmenmehrheit vorliegt (vgl RS0124149). Auf ein familiäres Naheverhältnis einzelner anderer Wohnungseigentümer zu den Personen, die mit Verwaltungsaufgaben betraut werden sollten, und einen daraus resultierenden Stimmrechtsausschluss nach § 24 Abs 3 WEG in Bezug auf die anderen Beschlüsse [1b und 1c] berief sich die Antragstellerin in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz nicht. Diese Anfechtungsgründe hat die Antragstellerin demnach nicht fristgerecht geltend gemacht. Ihre späteren Ausführungen dazu sind daher insbesondere auch im Revisionsrekursverfahren unbeachtlich (vgl 5 Ob 20/16a).

2.4. Davon abgesehen bezieht sich im Fall eines Stimmrechtsausschlusses das Mehrheitserfordernis auf die Summe der Miteigentumsanteile nur der stimmberechtigten Wohnungseigentümer (Painsi in GeKo Wohnrecht II § 24 WEG 2002 Rz 39). Rechnet man die Miteigentumsanteile der nach der Behauptung der Antragstellerin ausgeschlossenen Wohnungseigentümer in diesem Sinn heraus, ergibt sich daher auch in diesen Fällen immer noch die erforderliche Stimmenmehrheit. Der Anfechtungsgrund des Fehlens der erforderlichen Mehrheit wäre somit schon aus diesem Grund nicht verwirklicht.

2.5. Die Antragstellerin zeigt auch sonst keine die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses begründende erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf. Dieser war daher zurückzuweisen.

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