OGH 12Os144/19x

OGH12Os144/19x27.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Februar 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Maurer in der Strafsache gegen Franz B***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 6. August 2019, GZ 80 Hv 30/19d-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00144.19X.0227.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz B***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./2./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (zu ergänzen:) Z 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er im Sommer 1999 in K*****

I./ an seiner am ***** geborenen, sohin unmündigen (vgl US 4:) Stiefenkeltochter Y***** W*****

1./ eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er ihren Vaginalbereich unter der Bikinihose betastete und einen Finger in ihre Scheide einführte;

2./ außer dem Fall des § 206 StGB in drei Angriffen geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er jeweils ihren nackten Vaginalbereich unter der Bikinihose betastete;

II./ durch die zu I./ beschriebenen Handlungen mit einer minderjährigen Person, die jeweils seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstand, indem sie sich im Einverständnis mit der Erziehungsberechtigten in dessen Haus aufhielt und von ihm Schwimmunterricht erhielt (vgl US 4, 7), unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der nachangeführten Beweisanträge Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt:

Nachdem der vom Schöffengericht zur Klärung der Frage, „ob aus medizinischer Sicht die vom Opfer geschilderte Tatausführung im Sommer 1999 im Swimmingpool unter Einsatz beider Hände unter Berücksichtigung der Beinamputationen beim Beschuldigten möglich ist“, beigezogene Sachverständige aus den Fachgebieten der Gerichtsmedizin und der Allgemeinmedizin in der Hauptverhandlung zu Befund und Gutachten vernommen worden war (ON 16 S 10 ff; ON 10), beantragte der Angeklagte die „Hinzuziehung eines weiteren medizinischen Sachverständigen mit einer Fachausbildung im Bereich körperlicher Behinderungen“ zum Beweis dafür, dass „es dem Angeklagten nicht möglich ist, in einer Position stehend auf zwei Beinstümpfen im Swimmingpool das Gleichgewicht zu halten ohne entsprechende Schwimmbewegungen auszuführen, dies über einen Zeitraum von fünf bis zehn Minuten“ sowie zum Beweis dafür, dass „eine hypothetische Körpergröße des Angeklagten in dieser Position nur unter 90 cm liegen würde“ (ON 16 S 31 f).

Dieser Antrag verfiel zu Recht der Abweisung (ON 21 S 7).

Denn zum Zeitpunkt der Antragstellung lag– gerade zu den angesprochenen Beweisthemen – bereits ein Gutachten des vom Gericht beigezogenen medizinischen Sachverständigen vor. Dieser war – zusammengefasst – zur Einschätzung gelangt, dass es dem Angeklagten aus medizinischer Sicht unter Zugrundelegung der errechneten Wasserstandhöhe im Pool und der festgestellten Körpermaße (vgl Befund ON 10 S 17–21) möglich gewesen sei, außerhalb des Wassers unter Zuhilfenahme einer oder beider Hände auf beiden Beinstümpfen zu stehen bzw sich fortzubewegen und eine ausreichend stabile Körperlage im Wasser derart gutachterlich nachvollziehbar sei, dass der Angeklagte auf dem Scheitelpunkt des Amputationsstumpfes rechts steht und sich mit dem linken, abgespreizten bzw auch etwas nach vor gestellten, im Kniegelenk gebeugten Stumpf abstützt. Weiters berücksichtigte der Sachverständige bei seiner Expertise das Tragen von Schwimmflügeln durch das Opfer sowie antrainierte Fertigkeiten und Kompensationsmechanismen des Angeklagten, der im Tatzeitraum im Versehrtenschwimmsport aktiv gewesen sei, hinsichtlich seiner Statik und Dynamik im Wasser, die ihm die Einnahme einer stabilen Körperposition und eine gute Körperkontrolle ermöglicht hätten. Ausgehend davon kam der Sachverständige zum Schluss, dass sich aus gerichtsmedizinischer Sicht keine begründbaren Zweifel daran ergeben hätten, dass der Angeklagte aufgrund seiner damals bereits bestehenden körperlichen Behinderung nicht in der Lage gewesen wäre, die ihm zur Last gelegten Handlungen im Sommer 1999 durchzuführen (ON 10 S 21–25; ON 16 S 11 verso ff).

Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung Gelegenheit, den Sachverständigen zu befragen. Dieses Fragerecht wurde durch seinen Verteidiger auch wahrgenommen (vgl ON 16 S 13 verso f). Das Gutachten eines weiteren Sachverständigen (zum selben Beweisthema) hätte daher nur durch Aufzeigen von – auch bei der Befragung nicht beseitigten – Mängeln von Befund oder Gutachten im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO unter der Sanktion des § 281 Abs 1 Z 4 StPO erwirkt werden können ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 351, 373; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.106; RIS-Justiz RS0117263). Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO wurden aber durch das Antragsvorbringen nicht behauptet. Soweit der Antrag (der Sache nach) zur Überprüfung der vom Sachverständigen erbrachten Ergebnisse gestellt wurde, zielte er daher bloß auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (vgl erneut RIS-Justiz RS0117263 [insb T2, T10]).

Das zur Antragsfundierung in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragene Vorbringen hat im Hinblick auf das insoweit geltende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (vgl RIS-Justiz RS0099618).

Die weitere Verfahrensrüge bezieht sich auf die Abweisung des in der Hauptverhandlung vom Angeklagten gestellten Antrags auf „Bestellung eines gynäkologischen Sachverständigen“ zum Beweis dafür „dass die Aussage der Y***** W*****, wonach sie beim Eindringen des Fingers des Angeklagten in ihre Vagina keine Schmerzen verspürt hätte, aus medizinischer Sicht ausgeschlossen ist“ (ON 16 S 31).

Auch dieser Antrag wurde zu Recht abgewiesen (ON 21 S 7). Denn er ließ nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme im Lichte der Tatschilderung durch das Opfer (vgl ON 6 S 7 – einmaliges Eindringen in die Scheide mit „einem Viertel“ des Fingers) das in den Blick genommene Ergebnis erwarten lasse, und zielte somit erneut auf eine im Hauptverfahren nicht zulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0118444).

Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider bringt der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zur Darstellung, weshalb die relevierten Aussagepassagen der Zeuginnen Sabine W***** (ON 16 S 21 f, wonach der Angeklagte nur im Wasser habe stehen können, wenn er „mit beiden Händen Schwimmbewegungen gemacht hat“) und Martina O***** (ON 16 S 27 f, wonach sich der Angeklagte im Pool „auf seinen Beinstümpfen“ fortbewegt und „mit seinen Händen das Gleichgewicht austariert hat“) den festgestellten Tathandlungen (US 4), die „nur unter Zuhilfenahme beider Hände“ möglich gewesen seien, erörterungspflichtig entgegenstehen sollten (RIS-Justiz RS0099578). Denn diesen Zeugenaussagen lässt sich– ausgehend davon, dass die inkriminierten Taten vor rund 20 Jahren stattfanden – keine zeitliche Einordnung der Wahrnehmungen der Zeuginnen, die einen Schluss auf die konkreten körperlichen Fertigkeiten des Angeklagten in seinem Swimmingpool zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zuließen, entnehmen (vgl auch ON 16 S 21, 27). Im Übrigen übergeht dieses Beschwerdevorbringen die weitere Aussage der Zeugin O*****, wonach man „in den Jahren 1998, 1999 ... von der Terrasse keine direkte Sicht auf den Pool“ hatte und der Angeklagte „die Thujen extra so hoch hat wachsen lassen, damit niemand sieht, was er im Pool macht“ (ON 16 S 27), und jene der Zeugin Sabine W*****, wonach sie selbst nie gesehen habe, wie der Angeklagte den Schwimmunterricht ihrer Tochter durchführte (ON 16 S 21 verso).

Durch Kritik an der tatrichterlichen Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Opfers und eigene Erwägungen zur Nachvollziehbarkeit der bereits mit Mängelrüge relevierten Aussagedetails der Zeuginnen Sabine W***** und Martina O***** betreffend die körperlichen Fähigkeiten des Angeklagten im Swimmingpool, dem Vorbringen, es sei „lebensnah, dass nahestehende Verwandte verlässlichere Angaben“ zur körperlichen Beeinträchtigung des Angeklagten machen könnten „als ein Sachverständiger, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, die körperlichen Fähigkeiten aus eigener Anschauung zu überprüfen“, gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken. Vielmehr erschöpft sie sich in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts und verlässt damit den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten, formalen Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS-Justiz RS0119583, RS0118780).

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die Pflicht des Gerichts zur amtswegigen Wahrheitsforschung hervorhebt, genügt der Hinweis auf die Subsidiarität der Aufklärungsrüge (Z 5a) gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4; RIS-Justiz RS0115823 [T2]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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