OGH 13Os87/19x

OGH13Os87/19x26.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Schriftführers Dr. Schöll in der Strafsache gegen Branislav K***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) und 12 dritter Fall und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Lubomir T***** und Jozef Ko***** gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 26. April 2019, GZ 16 Hv 19/15y‑365, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, und des Verteidigers Mag. Gerersdorfer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00087.19X.0226.000

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion sämtlicher Taten nach § 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) StGB, in den zu den Schuldsprüchen gebildeten Subsumtionseinheiten, demgemäß auch in allen Strafaussprüchen, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden verworfen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten Lubomir T***** und Jozef Ko***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Diesen Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Branislav K*****, Lubomir T***** und Jozef Ko***** jeweils eines Verbrechens des gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 (bei T***** und Ko***** auch Z 3), 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) und § 12 (bei K***** auch dritter Fall, hinsichtlich T***** und Ko***** auch „zweiter Fall“ [vgl aber Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 49, 14 Os 80/17x]) und (bei K*****) § 15 StGB schuldig erkannt.

Danach haben gewerbsmäßig und als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung weiterer Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung in wechselnder Zusammensetzung, nämlich zum Teil mit den abgesondert verurteilten Lukas R*****, Jan J***** und weiteren Mittätern, fremde bewegliche Sachen, nämlich Markenfahrräder samt Zubehör und Wintersportgeräte in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert, im Urteil namentlich genannten Opfern durch Einbruch mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen oder wegzunehmen versucht, und zwar

(I) T***** und Ko***** gemeinsam mit R***** vom 21. Mai 2011 bis zum 25. März 2012 in R***** und an anderen Orten Österreichs in sieben, im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Fällen teils durch Aufbrechen von Sperrvorrichtungen, Einbruch in Transportmittel oder einen anderen umschlossenen Raum insgesamt 17 Fahrräder samt Zubehör sowie Wintersportausrüstung im Gesamtwert von 81.690 Euro,

(II) T***** und Ko***** mit R***** und dem abgesondert verfolgten Andrej G***** am 29. und am 30. Juli 2011 in S***** und an einem anderen Ort in drei, im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Fällen teils durch Aufbrechen von Sperrvorrichtungen insgesamt 11 Fahrräder samt Zubehör im Gesamtwert von 40.290 Euro sowie

(III) K***** mit R***** und weiteren Mittätern der kriminellen Vereinigung vom 8. Juni bis zum 14. Juli 2012 in St***** und an einem anderen Ort in vier, im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Fällen durch Einbruch in ein Gebäude oder in Transportmittel insgesamt drei Fahrräder im Gesamtwert von 18.500 Euro, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten T***** und Ko***** sind teilweise im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert, die Aussagen des im Rechtshilfeweg vernommenen Zeugen R***** seien ohne Zustimmung der Angeklagten verlesen worden. Sie übersieht, dass die Verlesung nach dem (aus Sicht des Obersten Gerichtshofs unbedenklichen) Protokoll über die Hauptverhandlung „gemäß § 252 Abs 1 Z 1 und Z 3 StPO“ erfolgte (ON 364 S 7). R***** war im gegen ihn geführten Verfahren mehrfach als Beschuldigter und als Angeklagter vernommen worden (ON 25 S 27 ff, ON 27, ON 44 S 9 ff und ON 115 S 2 ff). Er wurde auf Grund seines (letztlich abgelegten) Geständnisses wegen Beteiligung an den auch hier gegenständlichen Einbruchsdiebstählen rechtskräftig verurteilt. Solcherart kam ihm, da eine Gefahr im Sinn des § 157 Abs 1 Z 1 StPO für ihn nicht bestand, ein Aussageverweigerungsrecht nicht zu. Die Verweigerung der Aussage anlässlich der Vernehmung im Rechtshilfeweg (ON 329 S 16) war daher – wie das Erstgericht zutreffend erkannte – nicht berechtigt, weshalb die Verlesung zulässig war. Der weitere Einwand, „die Rechtsbelehrung“ (gemeint offenbar: über ein Aussageverweigerungsrecht) sei „nicht den Bestimmungen der StPO gemäß“ erfolgt (vgl hingegen ON 329 S 16), kann daher dahinstehen. Im Übrigen ist vom Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO – wie mit Blick auf das Vorbringen der Verteidigung in der Hauptverhandlung (ON 364 S 7) ergänzt wird – ein im Zug der polizeilichen oder gerichtlichen Ermittlungen allenfalls zustande gekommenes „Aussagedelikt“ gerade nicht erfasst (zum Ganzen RIS‑Justiz RS0129000 und RS0097660; Kirchbacher, WK‑StPO § 157 Rz 3 f).

In diesem Umfang waren die Nichtigkeitsbeschwerden zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

Im Recht ist allerdings das Vorbringen der Subsumtionsrüge (Z 10), die das Fehlen einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage für die rechtliche Annahme der Gewerbsmäßigkeit und der Begehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung einwendet.

Gewerbsmäßigkeit verlangt neben bestimmten objektiven Kriterien die Absicht des Täters, sich durch die wiederkehrende Begehung der in Rede stehenden strafbaren Handlung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen. Dem gewerbsmäßig handelnden Täter muss es also darauf ankommen, sich eine zumindest für einen längeren Zeitraum wirksame Einkommensquelle zu erschließen, welche Voraussetzung die Rechtsprechung in einer Einzelfallbetrachtung anhand folgender Überlegung beurteilt: Je höher die Frequenz der (bereits erfolgten oder geplanten) Angriffe ist, desto geringer sind die Anforderungen an die beabsichtigte zeitliche Ausdehnung des Einnahmeflusses und vice versa (13 Os 121/14i, 13 Os 148/18s, Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 7).

Auch der Tatbestand der kriminellen Vereinigung setzt nach der Legaldefinition des § 278 Abs 2 StGB voraus, dass der Zusammenschluss von mehr als zwei Personen (mit der im Tatbestand bezeichneten Ausrichtung) auf längere Zeit angelegt ist (13 Os 148/18s, RIS‑Justiz RS0125232 und RS0119848, Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 8 und 41).

Dazu finden sich in den Entscheidungsgründen– wie die Beschwerdeführer zutreffend rügen – keine ausreichenden Konstatierungen. Der mehrfache substratlose Gebrauch der verba legalia zu diesen Qualifikationen (US 17, 18 und 19 [„längere Zeit“]) bleibt ohne Sachverhaltsbezug und gleicht das Feststellungsdefizit nicht aus (RIS‑Justiz RS0119090). Den erforderlichen Feststellungswillen der Tatrichter (vgl RIS-Justiz RS0117228) vermochte der Oberste Gerichtshof hier insbesondere deshalb nicht auszumachen, weil im Urteil zu sämtlichen Angeklagten undifferenziert dieselbe Formulierung verwendet wird, obwohl bei T***** und Ko***** einerseits sowie K***** andererseits in objektiver Hinsicht nach Maßgabe der oben genannten Kriterien (Tatzeitraum sowie Anzahl und Frequenz der Angriffe) erhebliche Unterschiede bestehen, sodass aus der Bezugnahme auf das objektive Tatgeschehen (vgl US 19 f) fallbezogen nichts zu gewinnen ist.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur waren daher die Subsumtion nach § 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall) StGB – hinsichtlich der Schuldsprüche I und II in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden, in Ansehung des Angeklagten K*****, der den Schuldspruch III unbekämpft ließ, in amtswegiger Wahrnehmung des ihn benachteiligenden Subsumtionsfehlers (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) – sowie die zu den Schuldsprüchen gebildeten Subsumtionseinheiten und demgemäß auch sämtliche Strafaussprüche aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO, teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Das auf die Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit bezogene Vorbringen der Mängelrüge bedarf daher ebenso wenig einer Erörterung wie die Sanktionsrüge.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten T***** und Ko***** auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht erfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein:

Die Anklage wurde am 29. Oktober 2014 eingebracht (ON 1 S 35). Wohnadressen der drei Angeklagten K*****, T***** und Ko***** in der Slowakei waren bereits zu diesem Zeitpunkt aktenkundig (ON 132 S 1). Am 3. November 2014 veranlasste das Erstgericht die Übersetzung der Anklageschrift samt Rechtsmittelbelehrung in die slowakische Sprache zwecks Zustellung an die Angeklagten im Rechtshilfeweg (ON 133 S 1). Am 11. Jänner 2016 verfügte der Vorsitzende – mit der Begründung, „eine ladungsfähige Adresse“ der Angeklagten stehe „nicht fest“ – die Abbrechung des Verfahrens „gem § 427 Abs 2 iVm § 197 Abs 1 StPO“ und ordnete die Ausschreibung der Angeklagten zur Aufenthaltsermittlung im Inland an (ON 142). Ein – davor (erfolglos) durchgeführter – Versuch der Anklagezustellung an den genannten Adressen ist nicht aktenkundig. Am 18. Mai 2016 schrieb der Vorsitzende die Hauptverhandlung für den 7. Oktober 2016 aus und verfügte unter anderem, den Angeklagten die Anklageschrift an den (bereits in dieser angeführten) Adressen zuzustellen (ON 154). Die Hauptverhandlung wurde in Anwesenheit der Angeklagten K*****, T***** und Ko***** durchgeführt (ON 197 S 1).

Eine Verletzung des Grundrechts auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist (Art 6 Abs 1 MRK) kann sich – unabhängig von der Verfahrensdauer insgesamt – auch aus einer längeren Phase behördlicher Inaktivität ergeben (RIS‑Justiz RS0124901 [T3]; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 83). Die Aktenlage indiziert eine solche im zuvor beschriebenen Verfahrensabschnitt (zwischen Einbringung der Anklage und Durchführung der Hauptverhandlung). Eine daraus resultierende Grundrechtsverletzung ist gegebenenfalls im weiteren Verfahren ausdrücklich als solche in Rechnung zu stellen und durch eine spür- und messbare Strafmilderung auszugleichen RIS‑Justiz RS0114926 [T3]).

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