European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127761
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Das elfjährige Kind befindet sich in Pflege und Erziehung der Mutter, teilweise wird es auch vom Vater betreut. Der Vater ist aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs vom 4. 12. 2012 zu einer Unterhaltsleistung von monatlich 250 EUR verpflichtet. Im Jahr 2018 erzielte er ein monatliches Durchschnittseinkommen von 2.730 EUR und ab 2019 ein solches von 2.847 EUR (inklusive Sonderzahlungen, Inkassoprovision und Hälfte der Diäten). Der Vater hat keine weiteren Sorgepflichten.
Mit Schriftsatz vom 30. 1. 2019 beantragte das vom Kinder- und Jugendhilfeträger vertretene Kind die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge des Vaters ab 1. 8. 2018 auf 500 EUR. Der Vater, der sonst keine Sorgepflichten habe, verfüge über ein entsprechendes Nettoeinkommen. Außerdem seien die Bedürfnisse des Kindes wesentlich gestiegen. Die bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf abgeschlossene Unterhaltsvereinbarung vom 22. 1. 2019 sei mangels Zustimmung des Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht wirksam geworden.
Der Vater sprach sich gegen den Erhöhungsantrag aus. Mit der am 22. 1. 2019 bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung habe er sich verpflichtet, ab 1. 8. 2018 monatlich 300 EUR für das Kind zu zahlen. Diese Vereinbarung sei weiterhin maßgebend.
Das Erstgericht gab dem Erhöhungsantrag teilweise statt und verpflichtete den Vater zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 415 EUR vom 1. 8. 2018 bis 31. 12. 2018 und zu einem solchen von 455 EUR ab 1. 1. 2019; das Mehrbegehren wies es ab. Das Kind habe nach der Prozentsatzmethode einen altersbedingten Anspruch auf 20 % des anrechenbaren Durchschnittseinkommens des Vaters. Eine über das übliche Ausmaß hinausgehende Betreuung des Kindes durch den Unterhaltspflichtigen könne zu einer Reduzierung der Unterhaltspflicht führen. Da sich das Kind an rund 113 Tagen im Jahr beim Vater aufhalte, erscheine eine Reduktion des Unterhaltsbeitrags um 20 % angemessen. Zudem komme eine steuerliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen zum Tragen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf abgeschlossene Unterhaltsvereinbarung vom 22. 1. 2019 sei nicht wirksam geworden, weil der Kinder- und Jugendhilfeträger dazu seine Zustimmung nicht erteilt habe. Davon abgesehen vertrete das Rekursgericht den Standpunkt, dass auch eine vom oder vor dem Kinder- und Jugendhilfeträger geschlossene Unterhaltsvereinbarung nur für den Vater (einseitig) verbindlich sei, weshalb für das Abgehen von einer solchen Vereinbarung durch das Kind keine Änderung der Verhältnisse erforderlich sei.
Über Antrag des Vaters ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu, weil die Frage, ob vom oder vor dem Kinder- und Jugendhilfeträger abgeschlossene Unterhaltsvereinbarungen nur einseitige Verbindlichkeit zukomme, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, der auf eine Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrags abzielt.
Das Kind hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Trotz Zulässigerklärung des Revisionsrekurses durch das Rekursgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel – wie hier – zurückzuweisen.
2.1 Das Rekursgericht und der Vater werfen die als erheblich bezeichnete Rechtsfrage auf, ob eine vom oder vor dem Kinder- und Jugendhilfeträger (als gesetzlicher Vertreter des Kindes) abgeschlossene Unterhaltsvereinbarung (analog zu § 190 Abs 3 ABGB) nur für den Unterhaltspflichtigen, oder aber auch für das Kind und damit zweiseitig verbindlich ist. Sie weisen an sich zutreffend darauf hin, dass zu dieser Frage in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten werden (beiderseitig verbindlich: Weitzenböck in Schwimann/Kodek 5 § 190 ABGB Rz 9 und § 210 ABGB Rz 5; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 676; Hopf in KBB5 § 210 ABGB Rz 2; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9, 208; auch Kathrein, KindNamRÄG 2013, ÖJZ 2013/23 FN 138; einseitig verbindlich: Neuhauser, Die Auswirkungen des KindNamRÄG 2013 auf den Unterhaltsanspruch und dessen Sicherung, iFamZ 2013, 26; derselbe in Schwimann/Kodek 5§ 231 ABGB Rz 20; A. Simma, [Keine] Bindungswirkung von Vereinbarungen beim Kindesunterhalt, EF‑Z 2015/40; wohl auch Gitschthaler, Beschränkte Bindungswirkung eines Unterhaltsvergleichs, EF‑Z 2014/47) und diese Frage vom Obersten Gerichtshof noch nicht geklärt wurde (vgl 2 Ob 51/14k).
2.2 Diese Frage stellt sich hier nicht.
Im Anlassfall ist entscheidend, dass die Unterhaltsvereinbarung vom 22. 1. 2019 von der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf im Weg der Amtshilfe für die Bezirkshauptmannschaft Melk abgeschlossen und darin festgehalten wurde, dass die Vereinbarung vorbehaltlich der Zustimmung der Bezirkshauptmannschaft Melk gilt. Dieser Wirksamkeitsvorbehalt wurde ausdrücklich und klar formuliert. Demnach sollte die Unterhaltsvereinbarung ohne Zustimmung des Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht wirksam werden.
Der Kinder- und Jugendhilfeträger hat seine Zustimmung zu dieser Vereinbarung nicht erteilt. Dies ergibt sich zunächst schon aus dem Umstand, dass er wenige Tage nach Abschluss der „Vereinbarung“ den Antrag auf Unterhaltserhöhung beim zuständigen Bezirksgericht eingebracht hat. Zudem hat er in seinem Schriftsatz in ON 16 ausdrücklich auf die nicht erteilte Zustimmung hingewiesen.
2.3 Da die von der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf abgeschlossene Vereinbarung vom 22. 1. 2019 demnach nicht wirksam wurde, kommt der Frage, ob eine Unterhaltsvereinbarung im Sinn des § 210 Abs 2 ABGB einseitig oder zweiseitig verbindlich ist, keine Bedeutung zu. Auch die vom Vater in seinem Rechtsmittel thematisierte Frage der Widerrufbarkeit einer solchen (seiner Ansicht nach zweiseitig verbindlichen) Vereinbarung durch das Kind stellt sich nicht.
3. Für die bisherige Unterhaltsverpflichtung des Vaters war der gerichtliche Unterhaltsvergleich vom 4. 12. 2012 maßgebend.
Eine Regelung über gesetzliche Unterhaltsansprüche unterliegt der Umstandsklausel. Dies bedeutet, dass im Fall einer Unterhaltsfestsetzung durch gerichtliche Entscheidung oder gerichtlichen Vergleich oder durch eine (für die jeweilige Vertragspartei) verbindliche Unterhaltsvereinbarung eine Neubemessung immer dann erfolgen kann, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (RIS‑Justiz RS0053297). Die wesentliche Änderung der Verhältnisse muss sich auf die Bemessungsfaktoren oder die der Bemessung zugrunde gelegten Sachverhaltselemente beziehen. Eine solche Änderung liegt nach der Rechtsprechung darüber hinaus auch bei einer Änderung der gesetzlichen Regelungen oder bei tiefgreifenden Änderungen der Rechtsprechung vor (8 Ob 89/17x; 4 Ob 22/18s).
In Relation zum Unterhaltsvergleich vom 4. 12. 2012 hat sich nicht nur das Einkommen des Vaters, sondern auch der durch die Höhe des Prozentsatzes im Rahmen der Prozentsatzkomponente zum Ausdruck gelangende altersbedingte Bedarf des Kindes erhöht. Das Kind hat im Unterhaltsbemessungsverfahren auf diese Umstände sowie auf den Vergleichsabschluss im Jahr 2012 Bezug genommen; das erhöhte Einkommen und das Alter des Kindes wurden von den Vorinstanzen auch festgestellt. Damit hat das Kind seiner Behauptungslast (vgl dazu RS0006261; 9 Ob 26/18s) jedenfalls entsprochen.
4. Insgesamt gelingt es dem Vater mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
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