OGH 4Ob220/19k

OGH4Ob220/19k19.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Friedl & Holler Rechtsanwälte GmbH in Leibnitz, gegen die beklagte Partei G*****, Frankreich, vertreten durch Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wegen 10.990 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. Oktober 2019, GZ 6 R 175/19b‑26, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leibnitz vom 22. Juli 2019, GZ 3 C 81/18b‑22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00220.19K.1219.000

 

Spruch:

Das Revisionsrekursverfahren zu 4 Ob 220/19k wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren zu C‑343/19 (Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Klagenfurt vom 17. April 2019 zu 21 Cg 74/18v) unterbrochen. Das Revisionsrekursverfahren wird nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin hat am 13. 1. 2015 von einem Autohändler in L***** einen fabriksneuen PKW der Marke Peugeot 208 LIKE 1.0 VTI 68, fünftürig, gekauft. Die Beklagte mit Sitz in Frankreich ist die Produzentin des Fahrzeugs. Zwischen den Streitteilen besteht kein Vertrag.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 10.990 EUR sA Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs. Die Klage sei auf die schadenersatzrechtliche Wandlung des Kaufvertrags gerichtet. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stütze sich auf Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012, weil die Beklagte das Fahrzeug aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten der Klägerin geliefert habe. Im weiteren Verfahren stützte sich die Klägerin auch auf den Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 EuGVVO 2012 sowie auf den Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Die Fahrzeugserie, dem das von ihr gekaufte Fahrzeug angehöre, weise einen Produktmangel, nämlich einen gravierenden Ölverlust nach geringer Kilometerleistung auf. Den Mitarbeitern der Beklagten sei der Produktmangel bekannt gewesen. Trotz dieses Wissens habe die Beklagte die Fahrzeuge produziert und ausgeliefert. Dadurch habe sie die Klägerin sittenwidrig geschädigt.

Die Beklagte erhob die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Produkthaftungsansprüche und Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter fielen nicht unter die Zuständigkeitsnorm des Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012. Für Verträge mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter stünde auch der Verbrauchergerichtsstand nicht zur Verfügung. Auch der Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 begründe keine Zuständigkeit in Österreich. Werde die Haftung des Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt geltend gemacht, so sei jener Ort zuständigkeitsbegründend, an dem das Produkt hergestellt worden sei.

Das Erstgericht verwarf die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit. Der Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 sei dort zu lokalisieren, wo das geschützte Rechtsgut verletzt worden und die Vermögensminderung eingetreten sei. Es entspreche der Rechtsprechung der Rekursgerichte zum VW-Abgasskandal, dass der Schaden im Vermögen des Erwerbers an jenem Ort als Erfolgsort eintrete, an dem das Fahrzeug gekauft worden sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge, sprach aus, dass das Erstgericht international unzuständig sei und wies die Klage zurück. Die Klägerin mache einen reinen Vermögensschaden außerhalb der Produkthaftung geltend. Dem Vorbringen der Klägerin lasse sich weder eine Schutzgesetzverletzung noch eine sonstige unmittelbar aufgrund eines Gesetzes bestehende Rechtswidrigkeit noch ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten ableiten. Ein Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit in Österreich nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 sei daher nicht zu erkennen. Das Gleiche gelte für die übrigen von der Klägerin in Anspruch genommenen Zuständigkeitstatbestände. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil nicht auszuschließen sei, dass dem Käufer eines Fahrzeugs gegenüber dem Hersteller in einem Fall wie dem vorliegenden der Gerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 doch zur Verfügung stehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, der auf eine Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts abzielt.

Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Beklagte, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Zuständigkeitsfrage einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Dazu ist die ausstehende Vorabentscheidung des EuGH abzuwarten.

1.  Die vorliegende Klage richtet sich gegen die französische Herstellerin des von der Klage betroffenen Kraftfahrzeugs, mit der die Klägerin in keinem Vertragsverhältnis steht. In der Klage macht die Klägerin einen Anspruch auf „schadenersatzrechtliche Wandlung“ geltend. Zur Heranziehung des Gerichtsstands für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 beruft sich die Klägerin im Revisionsrekurs auf eine sittenwidrige Schadenszufügung durch die Beklagte. Den Mitarbeitern der Beklagten sei die Mangelhaftigkeit der Fahrzeugserie (gravierender Ölverlust nach geringer Kilometerleistung) bekannt. Trotz dieses Wissens seien die Fahrzeuge produziert und ausgeliefert worden. In dieser Hinsicht macht die Klägerin einen reinen Vermögensschaden geltend.

2.  Beim Obersten Gerichtshof behängen zum sogenannten „Abgasskandal im VW‑Konzern“ zahlreiche Verfahren, wobei sich die Klagen (auch) gegen die Herstellerin der Fahrzeugmotoren richten, mit der die Käufer in keiner Vertragsbeziehung stehen. Dabei handelt es sich zum einen um Individualklagen von Käufern und zum anderen um „Sammelklagen“ von Verbraucherschutzverbänden, die ihnen von Verbrauchern abgetretene Ansprüche geltend machen. Diese Klagen sind in erster Linie ebenfalls auf Schadenersatz (Ersatz des Mangelschadens) gerichtet.

Die angesprochenen Verfahren wurden von den jeweils zuständigen Senaten des Obersten Gerichtshofs im Hinblick auf das beim EuGH zu C‑343/19 behängende Vorabentscheidungsverfahren unterbrochen.

3.  In dem beim EuGH behängenden Vorabentscheidungsverfahren hat das Landesgericht Klagenfurt (am 17. April 2019 zu 21 Cg 74/18v) den EuGH um Beantwortung folgender Vorlagefrage ersucht:

„Ist Art 7 Nr 2 der EuGVVO 2012 dahin auszulegen, dass unter Umständen, wie denen des Ausgangsverfahrens, als Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?“

Es ist davon auszugehen, dass der EuGH die Vorlagefrage konkretisiert und sich aus seiner Antwort Klarstellungen zu der auch im Anlassfall relevanten Frage ergeben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen bei Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs durch den Käufer eines Fahrzeugs gegen den ausländischen Fahrzeughersteller mit Bezug auf den Markt im Wohnsitzstaat des Käufers (hier mit Bezug auf den österreichischen Markt) ausreichende schadenstypische Zurechnungskriterien vorliegen, sodass auch bei Geltendmachung eines bloßen Vermögensschadens von einem Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 in Österreich ausgegangen werden kann.

4.  Da der Oberste Gerichtshof von der allgemeinen Wirkung von Vorabentscheidungen des EuGH auszugehen und diese auch auf andere Fälle als den unmittelbaren Ausgangsfall anzuwenden hat, war das hier vorliegende Revisionsrekursverfahren aus prozessökonomischen Gründen bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).

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