European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00202.19P.1126.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft in S*****, auf der sich ein Einfamilienhaus samt Hof und Garten befindet. Sie erhielt diese Liegenschaft mit notariellem Übergabevertrag vom 21. 4. 2015 von ihrem Vater übergeben, der am 6. 1. 2018 verstorben ist. Als Gegenleistung wurde im Übergabevertrag bestimmt, dass dem Übergeber und „über dessen Anweisung“ seiner Lebensgefährtin, der Beklagten, das lebenslängliche, unentgeltliche und ungeteilte Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt wird. Dabei war den Vertragsbeteiligten klar, dass der Übergeber im Übergabevertrag auch seine Lebensgefährtin mit dem Wohnungsgebrauchsrecht sofort absichern wollte.
Im September 2015 erkrankte die Beklagte (für die nunmehr ihre Enkelin als Erwachsenenvertreterin fungiert) und musste daher in ein Pflegeheim übersiedeln. Die Unterstützung durch eine Heimhilfe oder im Rahmen einer 24‑Stunden‑Pflege wurde damals sowohl von der Beklagten als auch vom Vater der Klägerin abgelehnt. Im Haus der Klägerin befinden sich nach wie vor Kleidung und andere Habseligkeiten der Beklagten, die von dort regelmäßig für sie geholt werden.
Die Beklagte ist körperlich und geistig durchaus in der Lage, ihr Wohnrecht zu nutzen und im Haus der Klägerin mit Unterstützung durch eine Pflegekraft zu leben; auch ihre finanzielle Situation lässt eine Rückkehr in das Haus zu. Die Beklagte möchte dies derzeit nicht, weil sie sich im Pflegeheim geborgen fühlt.
Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass der Beklagten kein Wohnungsgebrauchsrecht bzw Wohnungsrecht an der in Rede stehenden Liegenschaft zustehe. Mit dem Übergabevertrag vom 21. 4. 2015 sei nur ihrem Vater ein Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt worden. Die Beklagte hätte ein solches Recht nur über Anweisung des Übergebers erhalten sollen. Eine solche Anweisung, die eine zusätzliche Willenserklärung erfordert hätte, sei nicht erfolgt. Außerdem sei ein allfälliges Wohnungsgebrauchsrecht der Beklagten erloschen, weil sich diese im Pflegeheim befinde und aufgrund ihres körperlichen Zustands nicht davon auszugehen sei, dass sie das Wohnungsgebrauchsrecht ausüben könne.
Die Beklagte entgegnete, dass aufgrund des Willens des Übergebers auch zu ihren Gunsten ein Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt worden sei. Ungeachtet des momentanen Aufenthalts im Pflegeheim sei sie absolut in der Lage, das Wohnungsgebrauchsrecht auszuüben.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Auch wenn die Beklagte derzeit nicht in das Haus der Klägerin zurückkehren wolle, stehe es ihr frei, ihre Meinung zu ändern. Das ihr eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht sei daher nicht zwecklos. Es könne auch nicht von einem endgültigen Wegfall des Utilitätserfordernisses gesprochen werden. Das Wohnungsgebrauchsrecht der Beklagten sei daher nicht erloschen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob schon eine längere alters- und pflegebedingte Nichtbenützung einer Wohnung in Verbindung mit einem aktuell fehlenden Rückkehrwillen das Erlöschen eines Wohnungsgebrauchsrechts bewirke, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Feststellungsbegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Klägerin nicht zulässig.
1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.
In der Revision vertritt die Klägerin die Ansicht, dass der Beklagten ein Wohnungsgebrauchsrecht nicht zustehe, weil der Übergeber die im Übergabevertrag dafür vorgesehene Anweisung nicht vorgenommen habe. Außerdem sei ein allfälliges Wohnungsgebrauchsrecht der Beklagten erloschen, weil diese infolge der pflegebedingten Nichtbenützung des Hauses aus dem Wohnungsgebrauchsrecht keinen Vorteil mehr ziehe. Das Wohnungsgebrauchsrecht sei für die Beklagte auch unwirtschaftlich, weil sie neben den Kosten des Pflegeheims auch die mit dem Wohnungsgebrauchsrecht verbundenen Betriebskosten tragen müsse.
Damit zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.
2. Wer Inhaber eines Dienstbarkeitsrechts bzw hier eines (obligatorischen) Wohnungsgebrauchsrechts ist und welche Befugnisse ihm zustehen, richtet sich nach dem Inhalt des Bestellungsvertrags. Bei der Vertragsauslegung, die nach den Regeln der §§ 914, 915 ABGB zu erfolgen hat, ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist dem von den Parteien den einzelnen Vertragsbestimmungen beim Vertragsabschluss beigelegten Verständnis Vorrang zu geben. Nur dann, wenn sich ein solches übereinstimmendes Verständnis nicht ermitteln lässt, hat eine normative Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Vertragszwecks stattzufinden (RIS‑Justiz RS0011720; RS0107851).
Bei der Frage, ob mit dem Übergabevertrag auch der Beklagten (als Lebensgefährtin des Übergebers) ein Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt wurde, handelt es sich somit um eine Frage der Vertragsauslegung, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RS0042936).
Die Klägerin übergeht im gegebenen Zusammenhang die Feststellung, wonach den Vertragsbeteiligten klar war, dass der Übergeber im Übergabevertrag auch die Beklagte mit dem Wohnungsgebrauchsrecht sofort absichern wollte. Das von der Klägerin gewünschte, gegenteilige Auslegungsergebnis scheitert schon an diesem vom Erstgericht festgestellten übereinstimmenden Willen der Vertragsbeteiligten.
3. Die Grundsätze für das Erlöschen eines Wohnungsgebrauchsrechts insbesondere auch durch Nichtbenützung der Wohnung sind in der Rechtsprechung geklärt. Diese Grundsätze gelten auch für ein obligatorisches Wohnungsgebrauchsrecht (vgl dazu 6 Ob 162/02w; 5 Ob 161/16m), weil diesem inter partes dieselbe Wirkung wie dem dinglichen Recht zukommt.
Mit der vom Berufungsgericht als erheblich formulierten Frage wird lediglich auf eine bestimmte Sachverhaltskonstellation Bezug genommen, wobei die relevanten Sachverhaltskomponenten in der Zulassungsfrage verkürzt und damit missverständlich wiedergegeben werden (die Nichtbenützung der Wohnung ist tatsächlich nicht durch das hohe Alter und die daraus resultierende Pflegebedürftigkeit der Beklagten bedingt). Der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, begründet aber dann keine erhebliche Rechtsfrage, wenn – wie hier – die Rechtslage eindeutig ist oder die relevanten Grundsätze in der Rechtsprechung geklärt sind (RS0102181; 4 Ob 105/19y).
4.1 Die persönliche Dienstbarkeit des Gebrauchs berechtigt zur Nutzung einer fremden Sache ohne Verletzung ihrer Substanz. Der praktisch wichtigste Fall dieser Dienstbarkeit ist jener des Wohnungsgebrauchsrechts (§ 521 ABGB), das den Berechtigten auf Lebzeit die Befugnis gewährt, die vom Recht umfassten Gebäudeteile im Rahmen seiner Bedürfnisse zum eigenen Bedarf zu verwenden (RS0011821).
4.2 Auch solche Nutzungsrechte verjähren durch bloßen Nichtgebrauch nur dann, wenn das Recht 30 Jahre lang nicht ausgeübt wird (§ 1479 ABGB). Eine bestimmte hohe Qualität oder Intensität der Ausübung des Wohnungsgebrauchs innerhalb der Verjährungsfrist ist zur Vermeidung der Verjährung des Rechts nicht erforderlich. Daher wird ein Wohnungsgebrauchsrecht immer dann ausgeübt, wenn der Berechtigte die Wohnung im Rahmen seiner jeweiligen Bedürfnisse benützt. Dabei kann es sich um Benützungshandlungen unterschiedlichster Art handeln, sodass die Frage nach der Rechtsausübung im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen ist (4 Ob 248/06h).
Die Frage nach einem solchen 30‑jährigen Nichtgebrauch des Nutzungsrechts durch die Beklagte stellt sich hier nicht. Dazu ist festzuhalten, dass sich im Haus der Klägerin nach wie vor Kleidung und andere Habseligkeiten der Beklagten befinden und solche Gegenstände von dort auch regelmäßig für die Beklagte geholt werden.
4.3 Sonst – abgesehen von einer Freiheitsersitzung (5 Ob 30/14v), einem dauernden Untergang der dienenden oder herrschenden Sache (2 Ob 115/12v) oder einem Verzicht des Berechtigten (3 Ob 101/01a) – kann insbesondere bei persönlichen Dienstbarkeiten nur deren völlige Zwecklosigkeit oder die dauernde Unmöglichkeit oder die gänzliche Unwirtschaftlichkeit der Ausübung des Nutzungsrechts ihren weiteren Rechtsbestand (ex lege) beenden (RS0011541; RS0011582; 3 Ob 101/01a; 4 Ob 248/06h). Völlig zwecklos ist ein Wohnungsgebrauchsrecht nur dann, wenn es seinen Sinn ganz verloren hat und seine Ausübung nicht nur vorübergehend, sondern dauernd unmöglich geworden ist. Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts (RS0116757; RS0011582; RS0011701; 3 Ob 72/16h).
Nach den Feststellungen musste die Beklagte im Jahr 2015 in das Pflegeheim übersiedeln, weil sie erkrankt ist und eine Hauspflege von ihr und ihrem Lebensgefährten (dem Übergeber) damals abgelehnt wurde. Heute ist die Beklagte durchaus in der Lage, ihr Gebrauchsrecht zu nutzen und im Haus der Klägerin mit Unterstützung einer Pflegekraft zu leben. Sie möchte dies derzeit aber nicht, weil sie sich im Pflegeheim geborgen fühlt.
Davon ausgehend hält sich die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es der Beklagten derzeit nur am Nutzungswillen mangelt, sie ihre Meinung aber ändern und in das Haus zurückkehren kann, weshalb die Ausübung des Wohnungsgebrauchsrechts weder völlig zwecklos noch endgültig unmöglich ist, im Rahmen der Rechtsprechung. Auch das in der Revision vorgetragene Argument, das Wohnungsgebrauchsrecht sei für die Beklagte unwirtschaftlich, trägt nicht, weil auch ihre finanzielle Situation eine Rückkehr in das Haus durchaus zulässt. Außerdem wurden zur Höhe der Betriebskosten für das Haus der Klägerin während des vorübergehenden Nichtgebrauchs durch die Beklagte – von der Klägerin ungerügt – keine Feststellungen getroffen.
5. Insgesamt gelingt es der Klägerin mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)