OGH 3Ob148/19i

OGH3Ob148/19i4.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Priv.‑Doz. Dr. Rassi und Mag. Painsi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen S*, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Mag. Mario Hopf, Rechtsanwalt in Villach, wegen Genehmigung der Wohnsitzverlegung, über den Revisionsrekurs der Einschreiterin B*, vertreten durch Mag. Markus Steinacher, Rechtsanwalt in Villach, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 17. April 2019, GZ 2 R 28/19y‑246, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 6. Dezember 2018, GZ 29 P 35/08g‑241, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E126822

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufgehoben und der Rekurs der Einschreiterin zurückgewiesen.

Die Einschreiterin ist schuldig, der Betroffenen die mit 463,15 EUR (hierin enthalten 77,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekurs‑ und Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die 1964 geborene Betroffene ist seit ihrer Kindheit geistig schwer behindert und leidet an einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung. Sie wurde zunächst im Haushalt ihrer Eltern betreut; nach deren Tod übernahm ihre Schwester, die Einschreiterin, ihre Betreuung. Angesichts massiver hygienischer Mängel bei der Pflege der Betroffenen und der beharrlichen Ablehnung externer Unterstützung durch ihre Schwester beantragte der Erwachsenenvertreter die Verlegung des Wohnsitzes der Betroffenen in eine näher bezeichnete Seniorenwohnanlage.

Das Erstgericht genehmigte die Wohnsitzverlegung im vierten Rechtsgang neuerlich.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Einschreiterin nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs insbesondere zur Frage der (von ihm wie in den vorangegangenen drei Rechtsgängen bejahten) Rechtsmittellegitimation der Einschreiterin zu.

Die Einschreiterin strebt mit ihrem Revisionsrekurs die Nichtgenehmigung der Wohnsitzverlegung der Betroffenen an.

In seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Erwachsenenvertreter, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses ist der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufzuheben, weil dieses über einen unzulässigen Rekurs meritorisch entschieden hat:

1. Bei der – hier zu prüfenden – Rechtsmittellegitimation der Einschreiterin ist die Frage zu klären, welcher Personenkreis abstrakt zur Erhebung eines Rechtsmittels befugt ist. Die Rekurslegitimation einer Person setzt zwar deren Parteistellung in der Regel voraus, doch handelt es sich bei Rechtsmittellegitimation und Parteistellung doch um zwei rechtlich getrennte Fragen, die auch unterschiedlich geregelt sein können (RS0122917). Nach den Grundwertungen des AußStrG steht ein Rechtsmittel– abgesehen von gesetzlichen Sonderregelungen – grundsätzlich nur demjenigen zu, der durch die Entscheidung in seinem eigenen rechtlich geschützten Interesse beeinträchtigt ist (RS0006641).

2.1. § 2 AußStrG kennt nicht nur den formellen Parteibegriff (Abs 1 Z 1 und 2: Antragsteller und Antragsgegner), sondern gewährt in seinem Abs 1 Z 3 auch jeder anderen Person (materielle) Parteistellung, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde. Nach § 2 Abs 1 Z 4 AußStrG ist Partei überdies jede Person oder Stelle, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften in das Verfahren einzubeziehen ist.

2.2. Der Einschreiterin kommt im vorliegenden Verfahren keine Parteistellung zu, weil sie weder Antragstellerin noch Antragsgegnerin ist und durch die beabsichtigte Wohnsitzverlegung der Betroffenen auch nicht ihre rechtlich geschützte Stellung iSd § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG unmittelbar beeinflusst wird. Es liegt auch von vornherein kein Fall des § 2 Abs 1 Z 4 AußStrG vor, weil sich die Sondernorm des § 127 AußStrG nur auf das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters bezieht.

3. Das Rekursgericht bejahte die Rechtsmittellegitimation der Einschreiterin in Anwendung der Judikatur, die in besonders gelagerten Fällen, wenn es im Interesse des Pflegebefohlenen notwendig ist, den nächsten Angehörigen ein Rekursrecht zubilligt (RS0006433), etwa wenn es notwendig ist, Gefahren abzuwenden, die dem Pflegebefohlenen allenfalls auch von seinem gesetzlichen Vertreter drohen (RS0006433 [T6]). So wurde ein Rekursrecht der Mutter gegen die pflegschaftsbehördliche Genehmigung eines Räumungsvergleichs bejaht, den ein Kollisionskurator für das minderjährige Kind geschlossen hatte und der die Möglichkeit bieten würde, das minderjährige Kind zwangsweise aus dem Haushalt der Mutter zu entfernen (6 Ob 289/03y = RS0006433 [T12]). Ebenso wurde dem obsorgeberechtigten Vater das Recht eingeräumt, im Verlassenschaftsverfahren das Fehlen der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung eines von der Kollisionskuratorin geschlossenen Erbrechtskaufvertrags geltend zu machen (6 Ob 158/05m = RS0006433 [T14]). Auch wenn ein Kollisionskurator bestellt ist, billigt die Rechtsprechung nahen Angehörigen ein Rekursrecht zu, wenn Rechte des Pflegebefohlenen mangels Rekurslegitimation anderer Personen sonst nicht gewahrt werden könnten (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth § 45 AußStrG Rz 31 mwN).

4. Im neuen Erwachsenenschutzverfahren kommt allerdings eine Anwendung dieser Rechtsprechungslinie nicht (mehr) in Betracht:

4.1. Nach der am 1. Juli 2018 in Kraft getretenen Bestimmung des § 127 Abs 3 AußStrG idF des 2. ErwSchG, BGBl I Nr 59/2017 steht einem Angehörigen iSd Abs 1 (das sind [nur] der Ehegatte, eingetragene Partner oder Lebensgefährte, die Eltern und volljährigen Kinder der betroffenen Person), dessen Verständigung die betroffene Person nicht abgelehnt hat, gegen den Beschluss über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters (nur) im Hinblick auf die Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters der Rekurs zu.

4.2. Angesichts dieser Rechtslage scheidet die Annahme einer Rechtsmittellegitimation der Einschreiterin im vorliegenden Fall jedenfalls aus: Aus der Regelung, wonach nahe Angehörige des Betroffenen – zu denen die Einschreiterin als Schwester der Betroffenen nach der Legaldefinition ohnehin nicht zählt – lediglich im Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters ein (inhaltlich beschränktes) Rechtsmittelrecht haben, folgt, dass dies nicht auch auch in Bezug auf im Zuge eines Erwachsenenschutzverfahrens gefasste Beschlüsse wie hier auf Genehmigung der Wohnsitzverlegung gelten kann. Außerhalb der gesetzlichen Sonderregelung des § 127 Abs 3 AußStrG werden im Erwachsenenschutzverfahren nämlich ausschließlich die Interessen der betroffenen Person selbst geschützt (4 Ob 115/19v mwN).

4.3. Dieses Ergebnis wird auch durch die Systematik des neuen Erwachsenenschutzverfahrens bestätigt:

4.3.1. Geschwister des Betroffenen zählen zu den nächsten Angehörigen iSd § 268 Abs 2 ABGB, die in den in § 269 ABGB angeführten Angelegenheiten, zu denen insbesondere die Änderung des Wohnortes gehört (§ 269 Abs 1 Z 6 ABGB), – mangels Vorsorgevollmacht iSd § 260 ABGB oder eines gewählten Erwachsenenvertreters iSd § 264 ABGB – als gesetzliche Erwachsenenvertreter in Betracht kommen.

4.3.2. Ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter ist nur zu bestellen, wenn eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt (§ 271 Z 4 ABGB); die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist also subsidiär zu dieser. Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist gleichsam „ultima ratio“ und kann nur dann angewendet werden, wenn keine der übrigen Vertretungsarten greift. Dies entspricht dem Anliegen des Gesetzgebers, die Sachwalterschaft so weit wie möglich zurückzudrängen (Schauer, Die vier Säulen des Erwachsenenschutzrechts, iFamZ 2017, 148 [153]).

4.3.3. Umgekehrt kommt Angehörigen des Betroffenen im Umfang der Bestellung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters keine Vertretungsbefugnis (mehr) zu. Will ein Angehöriger des Betroffenen diesen anstelle des gerichtlichen Erwachsenenvertreters vertreten, steht ihm daher nur die Möglichkeit offen, beim Pflegschaftsgericht seine Bestellung zum gesetzlichen Erwachsenenvertreter anzuregen. Ausgehend davon wäre es aber systemwidrig, einem Angehörigen des Betroffenen im Erwachsenenschutzverfahren außerhalb der Sondernorm des § 127 Abs 3 AußStrG Rechtsmittellegitimation zuzuerkennen, um die Interessen des Betroffenen zu wahren.

5. Der Rekurs der Einschreiterin gegen die Genehmigung der Wohnsitzverlegung der Betroffenen war daher unzulässig (idS auch Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 127 Rz 15). Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen wegen fehlender Rekurslegitimation mangels Parteistellung unzulässigen Rekurs meritorisch, ist dieser Mangel der funktionellen Zuständigkeit vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen. Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt auch im Außerstreitverfahren (RS0121264).

6.1. Die Bestimmung des § 124 AußStrG, wonach bei Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters die dem Bund erwachsenen Kosten der betroffenen Person aufzuerlegen sind, soweit dadurch nicht ihr notwendiger Unterhalt oder der ihrer Familie, für die sie zu sorgen hat, gefährdet wird, ist lex specialis zur allgemeinen Kostenersatzregel des § 78 AußStrG. Adressat der Kostenersatzpflicht ist demnach nur die betroffene Person, andere Personen haben für die Kosten nicht aufzukommen. Soweit jedoch im Erwachsenenschutzverfahren über gegenläufige Anträge zu entscheiden ist, kann auf § 78 AußStrG zurückgegriffen werden, sodass ein erfolgloser Rechtsmittelwerber dem Betroffenen die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung zu ersetzen hat (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth § 129 AußStrG Rz 5 mwN).

6.2. Der gerichtliche Erwachsenenvertreter hat sowohl in seiner Rekurs- als auch in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf die mangelnde Rechtsmittellegitimation der Einschreiterin hingewiesen, sodass er Anspruch auf Ersatz dieser Kosten – jedoch nur auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 730 EUR (§ 14 lit c RATG) – hat.

Stichworte