European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00109.19Y.1030.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist Arbeitgeber der im Klinikum ***** beschäftigten Arbeitnehmer. Der Kläger ist Betriebsrat dieser Arbeitnehmer.
Im Krankentransportdienst dieses Klinikums sind sowohl Pflegeassistenten als auch Rettungssanitäter beschäftigt. Sie arbeiten sowohl bei Tag als auch bei Nacht, daher auch von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Obwohl Rettungssanitäter im Krankentransport dieselben unmittelbaren Betreuungs- und Behandlungsarbeiten für Patienten durchführen wie Pflegeassistenten, erhalten seit Juli 2018 im Falle der Verrichtung von Nachtschwerarbeit in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr nur die Pflegeassistenten eine Zeitgutschrift von jeweils zwei Stunden nach den Vorschriften der Nachtschwerarbeitsgesetz-Novelle 1992 (NSchG‑Nov 1992) iVm der Verordnung des Landeshauptmanns vom 17. 12. 1993, Zl Präs-3910/2/93, betreffend „die Einbeziehung von Arbeitnehmern in den Geltungsbereich des Nachtschwerarbeitsgesetzes, Kärntner LGBl 1994/4“, die Rettungssanitäter jedoch nicht.
Mit Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 ASGG begehrt der klagende Betriebsrat die Feststellung, dass die im Klinikum ***** im Krankentransportdienst beschäftigten Sanitäter, die in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr mindestens sechs Stunden unmittelbar Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten leisten, sofern nicht in diese Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitsbereitschaft fällt, Anspruch auf eine Zeitgutschrift von zwei Stunden haben. Intention des Verordnungsgebers sei es gewesen, alle Arbeitnehmer (und nicht nur Arbeitnehmer des „Krankenpflegedienstes“), die im Krankentransport tätig seien und unmittelbar Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten leisten, unter den sonstigen Voraussetzungen in die Nachtschwerarbeitsregelung einzubeziehen.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass nach dem für die Auslegung der Verordnung primär relevanten Wortlaut nur Arbeitnehmer des „Krankenpflegedienstes“ umfasst seien, nicht aber Rettungssanitäter. Diese Differenzierung sei auch sachlich gerechtfertigt, weil Pflegeassistenten nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) gegenüber Rettungssanitätern nach dem Sanitätsgesetz 2002 (SanG 2002) über eine umfangreichere medizinische Ausbildung verfügten.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren nach Maßgabe und Berichtigung des Urteilsspruchs letztlich zur Gänze statt. Die Bestimmungen über Nachtschwerarbeit würden sich grundsätzlich auf Arbeitnehmer unter anderem in Krankenanstalten beziehen, die die in Art V § 2 NSchG‑Nov 1992 geregelte Nachtschwerarbeit leisten. Eine Einschränkung auf Pflegefachkräfte oder Pflegeassistenten lasse sich dem – ungeachtet des Umstands, dass in der Überschrift dieser Bestimmung der Begriff „Krankenpflegepersonal“ enthalten sei –, nicht entnehmen. Der Zweck des Gesetzes und der Verordnung LGBl 1994/4 liege darin, den im Krankentransportdienst beschäftigten Arbeitnehmern, unabhängig von deren Ausbildung und der damit in Verbindung stehenden Befugnis zur Berufsausübung, einen Ausgleich für die als belastend geltende unmittelbare Betreuungs- und Behandlungsarbeit am Patienten in der Nacht zu verschaffen.
Das Berufungsgericht ließ die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zu, weil die Frage, ob die Bestimmungen der NSchG‑Nov 1992 iVm der Verordnung des Landeshauptmannes von Kärnten, LGBl 1994/4, auch auf (Rettungs-)Sanitäter anzuwenden sei, höchstgerichtlich noch nicht geklärt sei und von dieser Frage sämtliche (Rettungs-)Sanitäter betroffen seien, die in Einrichtungen einer Kärntner Landeskrankenanstalt beschäftigt seien.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
I. Die Mängelrüge ist unbegründet. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst, ist sein Verfahren mangelhaft (RS0043371). Dies ist hier aber nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat zur Beweisrüge der Beklagten nachvollziehbare Überlegungen angestellt und in seinem Urteil festgehalten (RS0043162 [T4]).
II.1. Art V NSchG‑Nov 1992, BGBl 1992/473 (Druckfehler im BGBl berichtigt mit BGBl 1992/662) sieht Schutzmaßnahmen für das Krankenpflegepersonal vor, das in den in Art V § 1 Z 1 NSchG‑Nov 1992 beschriebenen Krankenanstalten oder in Pflegestationen von Pflegeheimen beschäftigt ist und Nachtschwerarbeit im Sinne des § 2 leistet (Art V § 1 Z 2 NSchG‑Nov 1992). Für jeden Nachtdienst gebührt diesem Krankenpflegepersonal ein Zeitguthaben im Ausmaß von zwei Stunden für Nachtdienste, die nach dem 31. Dezember 1994 geleistet werden (Art V § 3 Abs 1 Z 2 NSchG‑Nov 1992). Nach Art V § 2 Abs 1 NSchG‑Nov 1992 leistet Nachtschwerarbeit ein Arbeitnehmer, der in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr mindestens sechs Stunden in den in Art V § 2 Abs 1 Z 1 bis 17 NSchG‑Nov 1992 aufgezählten Einrichtungen beschäftigt ist und während dieser Zeit unmittelbar Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten leistet, sofern nicht in diese Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitsbereitschaft fällt.
2. Mit diesen Bestimmungen sollte für physisch oder psychisch besonders belastende Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals in Krankenanstalten durch entsprechende Zeitgutschrift ein Ausgleich geschaffen werden (AB 629 BlgNR XVIII. GP 2; 8 ObA 274/98x). Eine Einschränkung auf eine bestimmte Personengruppe lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen (9 ObA 22/96 mwN betreffend Operationsgehilfen und Röntgenassistenten). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe im Gesundheitswesen spielt keine Rolle. Es kommt nicht auf die Berufsbezeichnung an, sondern ausschließlich auf die Erfüllung der sachlichen Voraussetzungen durch den jeweiligen Arbeitnehmer in einer Krankenanstalt (B. Schwarz/Ziniel, Nachtschwerarbeitsgesetz² 90). Die einschränkende Überschrift „Schutzmaßnahmen für das Krankenpflegepersonal“ ist – so der Erlass des BMAS 50.200/1-2/94 v. 11. 4. 1994, abgedruckt in ARD 4548/8/1994 – aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht maßgebend. Nach Wolf (Zeitguthaben für Nachtschwerarbeit in Krankenanstalten [Teil II], RdM 1997, 113) erbringen auch Sanitätshilfsdienste Betreuungs- und Behandlungsarbeit iSd Art V § 2 Abs 1 NSchG‑Nov 1992.
3. Mit Art V § 2 Abs 5 NSchG‑Nov 1992 wurde die Möglichkeit geschaffen, auch Arbeitnehmer, für die kein Kollektivvertrag wirksam ist und die in einem Dienstverhältnis zu einem Land, einem Gemeindeverband oder einer Gemeinde stehen, unter den in Art V § 2 Abs 2 NSchG‑Nov 1992 genannten Voraussetzungen durch Verordnung des Landeshauptmannes in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzubeziehen.
4. Der Landeshauptmann von Kärnten hat eine entsprechende Verordnung (LGBl 1994/4) erlassen und damit „Arbeitnehmer des Krankenpflege- und Hebammendienstes, der medizinisch-technischen Dienste, des Erzieher- und des Kindergartendienstes in den Geltungsbereich des Art V der NSchG‑Nov 1992 einbezogen, die
1. in einem Dienstverhältnis zum Land Kärnten stehen,
2. nicht bereits durch Art V § 2 Abs 1 der NSchG‑Nov 1992 einbezogen sind und
3. in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr mindestens sechs Stunden in nachstehenden Einrichtungen einer Kärntner Landeskrankenanstalt beschäftigt sind und während dieser Zeit unmittelbar Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten leisten, sofern nicht in diese Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitsbereitschaft fällt:
[...]
p) Krankentransportdienst.“
5. Die Beklagte bestreitet in Anbetracht der ausdrücklichen Einbeziehung des Krankentransportdienstes nicht, dass die bei ihr im Krankentransportdienst beschäftigten Pflegeassistenten für entsprechende Nachtdienste Anspruch auf ein Zeitguthaben im Ausmaß von zwei Stunden haben, weil sie in dieser Zeit unmittelbar Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten leisten. Nach den bindenden Feststellungen verrichten aber auch die bei der Beklagten im Krankentransport tätigen Rettungssanitäter diese Tätigkeiten. Es gibt keine wie immer gearteten Unterschiede.
6.1. Die Frage, ob nun auch die bei der Beklagten im Krankentransport tätigen Rettungssanitäter in den Anwendungsbereich der Verordnung LGBl 1994/4 fallen und damit – wie auch die im Krankentransportdienst der Beklagten tätigen Pflegeassistenten – für ihre während der Nachtdienste geleistete unmittelbare Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten Anspruch auf ein Zeitguthaben nach Art V § 3 NSchG‑Nov 1992 haben, ist durch Auslegung der Verordnung LGBl 1994/4 zu beantworten.
6.2. Die Auslegung von Verordnungen hat nach §§ 6, 7 ABGB zunächst mit der Wortinterpretation zu beginnen (RS0008896), darf dabei aber nicht stehen bleiben (RS0008788). Bleibt nach Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes (der Verordnung) dennoch zweifelhaft, dann ist die Absicht des Gesetzgebers (Verordnungsgebers) zu erforschen (RS0008836) und der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (9 ObA 135/17v).
6.3. Berücksichtigt man, dass die Verordnungsermächtigung des Art V § 2 Abs 5 NSchG‑Nov 1992 keine Einschränkung dieses Gesetzes zulässt, sondern auf die Erweiterung abzielt (arg „einzubeziehen“), der Verordnungsgeber also den Geltungsbereich des NSchG ausweiten kann (vgl B. Schwarz/Ziniel, Nachtschwerarbeitsgesetz², 95; vgl ARD 4548/8/1994), dann kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Verordnungsgeber durch die ausdrückliche Nennung auch des „Krankentransportdienstes“ (§ 1 Z 3 lit p LGBl 1994/4) das in dieser Einrichtung tätige Krankenpflegepersonal, sofern es die sachlichen Voraussetzungen des § 1 Z 3 erster Absatz LGBl 1994/4 erfüllt, in den Geltungsbereich des Art V § 2 Abs 2 NSchG‑Nov 1992 einbeziehen wollte. Die von der Revisionswerberin gewünschte Auslegung, der Verordnungsgeber wollte gerade die Rettungssanitäter nicht in den Schutzbereich der NSchG‑Nov 1992 einbeziehen, übergeht den in Punkt 2. genannten Zweck der Art V NSchG‑Nov 1992. Danach stellt Art V NSchG‑Nov 1992 nicht auf eine bestimmte Ausbildung des Krankenpflegepersonals ab, sondern umfasst alle Arbeitnehmer, die Nachtschwerarbeit unmittelbar für Patienten iSd Art V § 2 Abs 1 NSchG‑Nov 1992 leisten. Das von der Revisionswerberin gewünschte Auslegungsergebnis führt nicht nur zu einer Ungleichbehandlung bestimmter im Krankentransport tätiger und von der Beklagten für Nachtschwerarbeit verwendeter Arbeitnehmer, nämlich der Rettungssanitäter, sie unterläuft auch den Zweck der Verordnung, die besonders belastende Nachtschwerarbeit am Patienten in besonderer Weise zu honorieren. Eine derartige Auslegung kann dem Verordnungsgeber nicht unterstellt werden. Werden Rettungssanitäter im Krankentransportdienst zu Nachtschwerarbeit herangezogen, dann haben sie ebenfalls Anspruch auf die vorgesehene Zeitgutschrift.
7. Zusammengefasst gebühren daher bei der beklagten Krankenanstalt den im Krankentransportdienst beschäftigten Sanitätern aufgrund ihrer unmittelbaren Betreuungs- und Behandlungsarbeit für Patienten in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr, sofern nicht in diese Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Ausmaß Arbeitsbereitschaft fällt, für jeden Nachtdienst ein Zeitguthaben im Ausmaß von zwei Stunden.
Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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