European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00066.19Z.1030.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse des Erst- und des Rekursgerichts werden ersatzlos behoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Mit seiner beim Bezirksgericht Zell am See (Aufnahmegericht des Bezirksgerichts Saalfelden) am 11. 6. 2019 eingebrachten Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Bezahlung eines Betrags von 18.105,21 EUR sA und die mit 50.000 EUR bewertete Feststellung, dass Forderungen des Beklagten für diverse Werkleistungen nicht zu Recht bestünden. Die Streitteile hätten in den (mit der Klage vorgelegten) Werkverträgen als vereinbarten Gerichtsstand das Bezirksgericht Saalfelden vereinbart.
Das Erstgericht wies die Klage mangels sachlicher Zuständigkeit unter Berufung auf den Rechtssatz RS0046825 a limine zurück. Mit dem in der Vereinbarung verwendeten Ausdruck „Gerichtsstand“ werde, wenngleich durch eine Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte in den Grenzen des § 104 Abs 2 JN auch die sachliche Zuständigkeit verschoben werden könne, regelmäßig nur die örtliche Zuständigkeit, also die Zuordnung einer Rechtssache an ein örtlich bestimmtes Gericht verstanden. Der vorliegende Streitwert von 68.105,21 EUR führe zu einer sachlichen Zuständigkeit des Landesgerichts.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers unter Bezugnahme auf den genannten Rechtssatz keine Folge, ließ aber den ordentlichen Revisionsrekurs im Hinblick auf abweichende Lehrmeinungen zu.
Mit seinem dagegen gerichteten Revisionsrekurs strebt der Kläger die ersatzlose Behebung dieser Beschlüsse und die Einleitung des Verfahrens an.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt .
Gemäß § 104 Abs 1 Z 2 JN können sich die Parteien durch ausdrückliche Vereinbarung einem oder mehreren Gerichten erster Instanz namentlich angeführter Orte unterwerfen. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss hinsichtlich des gewählten Gerichts eindeutig bestimmt oder zumindest eindeutig bestimmbar sein, wobei für sie als Prozesshandlung nicht die materiell‑rechtlichen Vorschriften über die Auslegung von Verträgen heranzuziehen sind, sondern primär der objektive Erklärungswert festzustellen ist (s Mayr in Rechberger ZPO 5 Rz 2 und 5, mwN).
§ 104 Abs 2 S 2 JN sieht nur insofern eine Einschränkung vor, als Angelegenheiten, welche dem Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte überhaupt entzogen sind, durch solche Vereinbarungen nicht vor diese Gerichte, Rechtssachen, welche vor ein Bezirksgericht gehören, nicht vor einen Gerichtshof erster Instanz und ausschließlich den Gerichtshöfen erster Instanz zugewiesene Streitigkeiten nicht vor ein Bezirksgericht gebracht werden können. Es ist daher nicht weiter fraglich, dass Parteien mit einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht nur die örtliche, sondern in den Grenzen des § 104 Abs 2 S 2 JN auch die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts vereinbaren können. Unzweifelhaft wird dies auch und vor allem mit der Bezugnahme auf einen bestimmten Gerichtstyp erster Instanz zum Ausdruck gebracht.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien ausdrücklich vereinbart, dass bei eventuellen Streitigkeiten aus den vom Kläger genannten Werkverträgen als vereinbarter Gerichtsstand das Bezirksgericht Saalfelden (nunmehr: Bezirksgericht Zell am See) gilt. Damit haben sie nicht nur in örtlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht diesen Gerichtsstand vereinbart. Die vorliegende Rechtssache betrifft auch keine iSd § 104 Abs 2 S 2 JN einer Vereinbarung entzogene Angelegenheit.
Der von den Vorinstanzen zur Verneinung der sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts herangezogene Rechtssatz RS0046825 steht dem nicht entgegen. Er lautet: „Mit dem in einer Vereinbarung verwendeten Ausdruck 'Gerichtsstand' wird, wenngleich durch eine Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte in den Grenzen des § 104 Abs 2 JN auch die sachliche Zuständigkeit verschoben werden kann, regelmäßig nur die örtliche Zuständigkeit, also die Zuordnung einer Rechtssache an ein örtlich bestimmtes Gericht, verstanden.“ Damit ist gerade nicht ausgeschlossen, dass mit einer Gerichtsstandsvereinbarung auch die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts festgelegt werden kann. Der Rechtssatz beruht auf Entscheidungen, in denen in der jeweiligen Gerichtsstandsvereinbarung kein bestimmter Gerichtstyp festgelegt wurde (4 Ob 512/94: „Sitz des Klägers“; 1 Ob 179/97y: „ausschließlicher Gerichtsstand ist Bischofshofen“; 8 Nc 22/12w: „Vöcklabruck als Gerichtsstand“). Daraus konnte dort auf die Vereinbarung bloß einer örtlichen Zuständigkeit geschlossen werden (aA Mayr in Rechberger , ZPO 5 § 104 Rz 5; Simotta in Fasching/Konecny , ZPG 3 I § 104 Rz 80). Im vorliegenden Fall haben die Parteien für ihre Streitigkeiten jedoch auch den Gerichtstyp bestimmt und ein konkretes Bezirksgericht genannt. Die Beschränkung der Geltung der Zuständigkeitsvereinbarung bloß auf den Aspekt der örtlichen Zuständigkeit ist hier daher nicht gerechtfertigt.
Da der Revisionsrekurs des Klägers damit berechtigt ist, sind die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben. Das Erstgericht wird das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO (unechter Zwischenstreit, s zB 5 Ob 26/10f).
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