OGH 15Os69/19i

OGH15Os69/19i17.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des DI Wolfgang F***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Geschworenengericht vom 4. März 2019, GZ 35 Hv 52/18t‑128, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00069.19I.1017.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – im zweiten Rechtsgang (vgl AZ 15 Os 88/18g) – der Antrag der Staatsanwaltschaft abgewiesen, DI Wolfgang F***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB einzuweisen,

weil er von Oktober 2016 bis Juli 2017 in der Justizanstalt S***** öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord geleugnet hat, indem er Schriftstücke mit seinen Behauptungen, wonach er „den Bestand von Zyklon B Gaskammern während der NS‑Zeit leugne und es unmöglich sei, dass das NS‑Regime sechs Millionen Juden ermordet habe“, untermauert durch sein selbstverfasstes Elaborat „Zyklon B‑Menschenvernichtungs‑Gaskammern“ mit dem Titel „Naturgesetze versus Gaskammern“ an im Urteil genannte Personen und Institutionen versandte und zu versenden versuchte,

und er dadurch Taten begangen habe, die als Verbrechen nach § 3h VerbotsG mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Die Geschworenen haben die Hauptfrage nach (mehreren) Verbrechen nach § 3h VerbotsG (im ersten Rechtsgang) ebenso bejaht wie (nunmehr) die Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB).

Den Unterbringungsantrag wies das Geschworenengericht mit der Begründung ab, dass der Betroffene unter dem Einfluss seiner anhaltenden wahnhaften Störung zwar mit „größter Wahrscheinlichkeit weitere strafbare Handlungen wie die gegenständlichen Tathandlungen“, nicht aber „Gewaltdelikt, qualifizierte Todesdrohungen oder konkrete strafbare Handlungen gegen Leib und Leben“ begehen werde. DI F***** schreibe seit über zehn Jahren derartige Briefe bzw Anzeigen an vor allem Behörden, Gerichte und Ministerien, teilweise an pädagogische Einrichtungen, Zeitungen und Zeitschriften. Aufgrund des bei ihm vorliegenden starken Sendungsbewusstseins sei davon auszugehen, dass er auch weiterhin Kontaktaufnahmen anderer zu diesem Thema beantworten werde, es sei jedoch nicht zu befürchten, dass der Betroffene „wahllos Einzelbürger mit seinen Ideen anschreibt und kontaktiert“. Die zu erwartenden Prognosetaten seien daher – auf Grundlage der konkreten Fallkonstellation – nicht als solche mit schweren Folgen im Sinn des § 21 Abs 1 StGB zu qualifizieren (US 18 ff).

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der keine Berechtigung zukommt.

Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der (grundsätzlich) mit Berufung und nach Maßgabe des (hier) § 345 Abs 1 Z 13 StPO auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (Z 13 erster Fall) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Werden die gesetzlichen Kriterien für die Ermessensentscheidung (Gefährlichkeitsprognose) verkannt oder wird die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung aus Z 13 zweiter Fall in Betracht (13 Os 130/07b; RIS‑Justiz RS0113980 [T5]; vgl zum Ganzen Ratz in WK² StGB Vorbem zu §§ 21–25 Rz 8 ff mwN; WK‑StPO § 281 Rz 721).

Der Begriff der „schweren Folgen“ des § 21 Abs 1 StGB ist mit jenem des § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO ident; er umfasst über die tatbestandsmäßigen Folgen hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dabei sind Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen, der gesellschaftliche Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigungen und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0108487; Ratz in WK 2 StGB § 21 Rz 27; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 173 Rz 43). Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzigen Tat resultieren (RIS‑Justiz RS0119762).

Handlungsweisen, wie die zu beurteilenden, können schon mit Rücksicht auf den Schutzzweck des Verbotsgesetzes, der verfassungsgesetzlich verbürgten und strafrechtlich abgesicherten Distanzierung der Republik Österreich vom nationalsozialistischen Unrechtsregime, nicht als Handlungen mit bloß leichten Folgen angesehen werden. Ob sie auch schwere Folgen besorgen lassen, ist aber nicht am abstrakten Gewicht des im Tatbild einer Strafnorm vertypten Erfolgs oder der aus ihr abstrakt denkbaren Konsequenzen zu ersehen, sondern in Beachtung aller nach den konkreten Umständen eines Einzelfalls drohenden Auswirkungen einer aktuell zu befürchtenden Tat zu beurteilen (RIS‑Justiz RS008006).

Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen leidet der 68-jährige Betroffene an einer anhaltenden wahnhaften Störung, die sich in der Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes manifestiert. Basierend auf einem von ihm erstellten technischen „Gutachten“ ist er von der Unmöglichkeit der Massenvernichtung durch Zyklon B in Gaskammern überzeugt und hat ein Sendungsbewusstsein insofern entwickelt, als er die „Eliten des Staates Österreich“ von der Unrichtigkeit ihres Geschichtsbildes zu überzeugen trachtet (vgl das psychiatrische Gutachten ON 120 S 31 ff). Dabei „beschränkt“ sich seine publizistische Tätigkeit thematisch auf die Leugnung der technischen Machbarkeit des Massenmordes in den Gaskammern der Konzentrationslager ohne eine damit verbundene weitergehende nationalsozialistische Propaganda.

Ungeachtet sechs erfolgter Verurteilungen nach § 3h VerbotsG seit 2003 und der Verbüßung von Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren (vgl ON 126) richtet er seit Jahren (aus der Haft) Schreiben an vorwiegend Behörden und Institutionen (in den ihm vorliegend angelasteten 30 Fällen ausschließlich an Gerichte, Staatsanwaltschaften, das Bundesministerium für Justiz und den Nationalrat), die beim kontaktierten, begrenzten Adressatenkreis – mit Ausnahme der Weiterleitung der Schreiben an die Staatsanwaltschaft – keine Resonanz oder nachhaltige Auswirkungen zu erzielen vermochten.

In Anbetracht dessen, dass die Untaten des nationalsozialistischen Zwangsregimes einschließlich der planmäßigen Massenvernichtung von Menschen – auch durch Giftgas – in Österreich als „notorisch“ gelten können (RIS‑Justiz RS0080073; für Deutschland vgl BGH 16. 11. 1993, 1 StR 193/93), dh allgemein bekannt sind und gerade im anvisierten Adressatenkreis nicht in Frage gestellt werden, sind die Äußerungen des Betroffenen, der in der psychiatrischen Expertise als emotional autistisch und aus seinem früheren Leben völlig isoliert charakterisiert wird (ON 120 S 39), nicht geeignet, einen erheblichen sozialen Störwert zu entwickeln oder weitreichende Beunruhigungen und Besorgnisse herbeizuführen.

Mit einer davon abweichenden Einschätzung der Person des Betroffenen und Bewertung des sozialen Störwerts seines Handelns gelingt es der Nichtigkeitsbeschwerde nicht, darzustellen, dass das Erstgericht bei der Annahme, die zu befürchtende Versendung weiterer Schreiben durch den Betroffenen sei – einzelfallbezogen – keine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen im Sinn des § 21 Abs 1 StGB, einem Rechtsirrtum unterlegen wäre.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§§ 285i, 344 StPO) .

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