OGH 4Ob138/19a

OGH4Ob138/19a24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH *****, vertreten durch Dr. Christian Hadeyer und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei B***** BVBA, *****, Belgien, vertreten durch BMA Brandstätter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.000 EUR sA, Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Zahlung (Stufenklage) und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 2. Juli 2019, GZ 133 R 59/19b‑28, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. April 2019, GZ 17 Cg 58/17m‑24, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00138.19A.0924.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin enthalten 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die österreichische Klägerin und die belgische Beklagte produzieren und vertreiben jeweils Einkaufswagenlöser („Caddy Keys“). Die Beklagte hat in Österreich keine Niederlassung, bot ihre Produkte aber zur Lieferung nach Österreich einer bestimmten Person bzw einem Unternehmen an. Es steht nicht fest, ob es auch zu Lieferungen kam. Die Beklagte betreibt zum Verkauf ihrer Produkte auch eine Website, die ua in deutscher Sprache abrufbar ist. Es werden eigene Länderversionen der Seite angeboten (zB für Deutschland, Spanien, Italien, Polen, etc), darunter ist aber keine „Österreich-Seite“.

Mit ihrer ua auf Unterlassung gerichteten Klage macht die Klägerin eine Verletzung des zu ihren Gunsten hinterlegten Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr 001130843‑0001 durch die Beklagte geltend. Die Beklagte werbe auf ihrer Website mit der Gestaltung eines Einkaufswagenlösers, die in das klägerische Schutzrecht eingreife. Sie sei mit dem Produkt in Österreich auch auf Werbemessen vertreten gewesen. Die internationale Zuständigkeit gründe sich auf Art 82 Abs 5 der VO (EG) Nr 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV).

Die Beklagte wandte die internationale Unzuständigkeit ein. Sie habe in Österreich weder einen Sitz oder eine Niederlassung. Sie habe die Produkte nie nach Österreich geliefert. Ein Angebot betreffend einen Kunden in Österreich habe sie nie ausgeführt, ein weiteres sei storniert worden.

Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Es liege weder eine Verletzungshandlung in Österreich vor, noch stehe eine solche bevor. Aus dem Internetauftritt der Beklagten ergebe sich keine bewusste Ausrichtung auf den österreichischen Markt, die bloße Abrufbarkeit einer Internetseite sei im Inland nicht zuständigkeitsbegründend.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die Einrede der internationalen Unzuständigkeit verwarf. Ausgehend von einem bestimmten Angebot der Beklagten, die Eingriffsgegenstände nach Österreich zu liefern, ging es unter Hinweis auf Art 19 Abs 1 GGV davon aus, dass der Beklagten ein Eingriff in den Schutzbereich des Gemeinschaftsgeschmacksmusters vorgeworfen werde. Bei einem Versendungskauf vom Ausland ins Inland liege eine Verletzungshandlung im Inland vor. Durch ihr Angebot habe die Beklagte aktiv ihre Bereitschaft bekundet, ihre Produkte nach Österreich zu liefern, wodurch eine Verletzungshandlung drohe. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Die Entscheidung stimme mit der Rechtsprechung des EuGH überein.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde.

Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin stützte sich auf die Anwendung des Art 82 Abs 5 GGV. Diese Bestimmung ermöglicht eine Klage am Ort der Verletzungshandlung und lautet wie folgt:

Art 82 Abs 5 GGV

Die Verfahren, welche durch die in Artikel 81 Buchstaben a) und d) genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden, können auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht.

 

2.1 Vom EuGH wurde in der Entscheidung C‑360/12, Coty, zur vergleichbaren Rechtslage nach Art 93 GMV (nunmehr 97 UMV) klargestellt, dass Art 5 Nr 3 EuGVVO alt (nunmehr Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Bereich der Gemeinschaftsmarke ausgeschlossen ist. Die entsprechenden Bestimmungen der GMV seien Spezialbestimmungen und gingen daher der EuGVVO vor (Eisenführ/Overhage in Eisenführ/Schennen 5 Art 97 UMV Rz 11).

2.2 Aufgrund der entsprechenden Bestimmungen in der GGV (vgl insb Art 79 Abs 3 lit a GGV: Ausschluss des Deliktsgerichtsstands nach der EuGVVO) ist diese Judikatur auch für die hier zu klärende Frage der internationalen Zuständigkeit bei einem Eingriff in ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster anzuwenden (Tolkmitt in Ruhl/Tolkmitt 3 Art 82 GGV Rz 30). Damit ist der Ort, an dem die Handlung nur ihre Wirkung entfaltet, nicht maßgeblich (Tolkmitt aaO).

3. In der bereits zitierten Coty‑ Entscheidung hat der EuGH den Ort der Verletzungshandlung im dortigen Anlassfall dahin ausgelegt, dass sich im Fall eines Verkaufs und einer Lieferung einer nachgeahmten Ware in einem Mitgliedstaat (dort: Belgien), die anschließend durch den Erwerber in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) weiterverkauft wird, für die Entscheidung über eine Verletzungsklage gegen den ursprünglichen Verkäufer (aus Belgien), der in dem Mitgliedstaat, dem das angerufene Gericht angehört (Deutschland), selbst keine Handlung vorgenommen hat, keine gerichtliche Zuständigkeit herleiten lässt. Der (für die hier interessierende Problematik mit Art 82 Abs 5 GGV idente) Wortlaut des Art 93 Abs 5 GMV stellt demnach auf ein aktives Verhalten des Verletzers ab. Demnach reicht es nicht aus, wenn die Ware im Mitgliedstaat des Verletzers vom Käufer abgeholt wird, der das Produkt in einem anderen Staat (eigenständig) weiterveräußert.

4. Die passive Vorgangsweise des in der Coty‑ Entscheidung in Anspruch genommenen Beklagten unterscheidet sich deutlich von der hier vorliegenden Konstellation.

4.1 Gegenstand der Unterlassungsklage ist das konkrete Anbot einer Lieferung der von der Beklagten erzeugten Gegenstände nach Österreich (und damit auch das In-Verkehr-Bringen in bzw die Einfuhr der Ware nach Österreich). Im Fall der Coty‑ Entscheidung wandte sich die deutsche Rechteinhaberin gegen den belgischen Verkäufer „nur“ wegen des Weiterverkaufs der Ware in Deutschland durch ein rechtswidriges Verhalten eines Dritten, das dem Erstverkäufer nicht unmittelbar zurechenbar war. Im Gegensatz zum Sachverhalt bei der Coty‑ Entscheidung wird der Beklagten hier aber ein aktives Verhalten vorgeworfen, das unmittelbar in den Schutzbereich der Rechte aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Österreich eingreift.

4.2 Damit ist Grundlage der Klage eine Verletzungshandlung im Sinne des Art 19 Abs 1 GGV. Die Klage richtet sich ua gegen das rechtswidrige Verhalten des Anbietens auf dem inländischen Markt durch die Beklagte selbst. Nach Art 19 GGV kann sich der Rechteinhaber dagegen zur Wehr setzen. Gerade das dem Rechteinhaber mögliche Untersagen einer Einfuhr nach Österreich indiziert, dass bei einem grenzüberschreitenden Angebot die Verletzungshandlung in Österreich begangen wird oder dort droht. Bei einer Lieferung nach Österreich durch die Beklagte bedeutet die Belieferung auf dem österreichischen Teil der Wegstrecke jedenfalls eine Benutzungshandlung der Beklagten im Inland (Tolkmitt in Ruhl/Tolkmitt 3 Art 82 GGV Rz 32).

4.3 Damit erweist sich die im Schrifttum verbreitete Schlussfolgerung als zutreffend, dass ein aktives Verhalten dann vorliegt, wenn der Verletzer eine der „klassischen“ Verletzungshandlungen begeht (Eisenführ/Overhage in Eisenführ/Schennen 5 Art 97 UMV Rz 11; Tolkmitt in Ruhl/Tolkmitt 3 Art 82 GGV Rz 30; Hackbarth, EuGH „Coty“: Teilnehmerhandeln im Ausland und internationale Zuständigkeit deutscher Gemeinschaftsmarkengerichte, GRUR‑Prax 2014, 320; Keller, Stellungnahme der GRUR zu dem EuGH‑Vorlageverfahren „AMS Neve/Heritage Audio“, GRUR 2018, 595).

5. Der Umstand, dass ein konkretes Verkaufsangebot der Beklagten schon längere Zeit zurückliegt, ist allenfalls bei der Prüfung des von der Beklagten erhobenen Verjährungseinwands zu berücksichtigen, hat aber für die Frage der internationalen Zuständigkeit keine Relevanz.

6.1 Eine Vorlage an den EuGH war nicht geboten. Der Senat hat sich an den Grundsätzen der Coty‑ Entscheidung orientiert. Es stellen sich keine entscheidungsrelevanten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits vom EuGH geklärt wurden oder zweifelsfrei zu beantworten sind.

6.2 Zuletzt wurde vom EuGH zur (mit der hier zu beurteilenden Norm des Art 82 Abs 5 GGV vergleichbaren) Bestimmung des Art 97 Abs 5 UMV in der Entscheidung vom 5. September 2019 zu C‑172/18, AMS Neve, klargestellt, dass beim Anbieten von Waren auf einer Website an einen unbestimmten Personenkreis eine Verletzungsklage auch vor den Gerichten jenes Staats erhoben werden kann, in dem sich die Verbraucher oder Händler befinden, an die sich diese Werbung oder Verkaufsanbote richten, obwohl der Werbende die Werbehandlungen in einem anderen Mitgliedstaat getroffen hat. Die Entscheidung des Rekursgerichts entspricht im Ergebnis (auch) der jüngsten Entscheidung des EuGH.

6.3 Im Hinblick auf die klare unionsrechtliche Rechtslage bedarf es auch keiner näheren Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BGH I ZR 164/16 (GRUR 2018, 84) zur Frage, an welchem Ort bei einem deutschsprachigen Internetauftritt eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht. Zudem war im Fall des BGH nicht die dortige Beklagte, sondern ein Dritter für die Einfuhr in den Forumstaat (Deutschland) verantwortlich.

7. Zur Frage der internationalen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (vgl RS0109078 [T15]). Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.

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