OGH 2Ob128/19s

OGH2Ob128/19s19.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am * 2018 verstorbenen I* R*, zuletzt *, über den Revisionsrekurs der Tochter G* S*, vertreten durch Dr. Hans Peter Raab, Öffentlicher Notar in Ried im Innkreis, gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 26. März 2019, GZ 6 R 29/19k‑11, womit infolge Rekurses des Gläubigers S* der Beschluss des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 18. Jänner 2019, GZ 5 A 358/18b‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E126458

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung, die im Übrigen unverändert bleibt, in ihren Punkten I. und II. wie folgt zu lauten hat:

I. Die Verlassenschaft nach der am * 2018 verstorbenen I* R*, zuletzt *, bestehend aus

 

Aktiva von insgesamt 7.046,13 EUR

Passiva von insgesamt 8.442,33 EUR

ist mit einem Betrag von 1.396,20 EUR überschuldet.

II. Im Sinne des Antrags vom 9. 1. 2019 werden die Aktiva der überschuldeten Verlassenschaft, bestehend aus:

1. anteiligem Steuerguthaben beim Finanzamt B* zu StNr. * in Höhe von

154,20 EUR

2. Guthaben bei der O* AG zu Konto‑Nr * in Höhe von

66,23 EUR

3. Guthaben bei der B* AG zu Bausparvertrag Nr * in Höhe von

6.825,70 EUR

4. Kleidung und Wäsche, ohne Verkehrswert

0,00 EUR

Summe 7.046,13 EUR

 

der Tochter der Verstorbenen, G* S*, geboren am * 1954, *,

a) gegen vollständige Berichtigung der Gerichtskommissionsgebühr von 316,68 EUR

b) auf Abschlag der Ersatzforderung für bereits bezahlte und zu bezahlende Bestattungskosten in Höhe von insgesamt 8.125,65 EUR

gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt überlassen.“

 

Begründung:

Die am * 1928 geborene Erblasserin war von 1. 8. 2013 bis zu ihrem Ableben am * 2018 in einem Pflegeheim stationär aufgenommen. Sie erhielt Bezüge der Pensionsversicherungsanstalt und seit 1. 9. 2014 soziale Hilfe zur Deckung der Heimkosten. Der Sozialhilfeträger machte im Verlassenschaftsverfahren eine Kostenbeitragsforderung „aus Einkommen“ in der Höhe von 80 % der Steuergutschrift 2018 geltend, unter Hinweis auf § 324 Abs 3 ASVG. Dass der Sozialhilfeträger im Jahr 2018 Kosten für den Heimaufenthalt der Erblasserin in Höhe von 80 % des Steuerguthabens aus der Arbeitnehmerveranlagung 2018 (hier 616,80 EUR) getragen hat, ist nicht strittig.

Das Erstgericht überließ der Tochter aufgrund ihres Antrags die Aktiva der überschuldeten Verlassenschaft von 7.662,93 EUR, bestehend aus Bankguthaben und einem Steuerguthaben aus der Arbeitnehmerveranlagung 2018 von 771 EUR, gegen Bezahlung der Gerichtskommissionsgebühren und der Begräbniskosten von insgesamt 8.442,33 EUR an Zahlungs statt. Die vom Sozialhilfeträger geltend gemachte Forderung fand keine Berücksichtigung.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sozialhilfeträgers Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es der Tochter zwar ebenfalls die Nachlassaktiva an Zahlungs statt überließ, jedoch mit der zusätzlichen Verpflichtung, 616,80 EUR (80 % des Steuerguthabens) an den Sozialhilfeträger zu bezahlen. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, das Guthaben aus der Arbeitnehmerveranlagung stelle Einkommen der Erblasserin dar, das nicht von der „Abschaffung des Pflegeregresses“ betroffen sei. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es mit der Begründung zu, dass zur Frage der rechtlichen Qualifizierung eines Guthabens aus der Arbeitnehmerveranlagung als Einkommensbestandteil sowie zur Art der Berücksichtigung zugunsten eines Sozialhilfeträgers im Rahmen eines Verlassenschaftsverfahrens noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Tochter mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen, hilfsweise den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Beschlussfassung an das Rekursgericht zurückzuverweisen.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Er ist auch teilweise berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, eine Legalzession wie jene nach § 324 Abs 3 ASVG sei für ein allfälliges Guthaben aus einer Arbeitnehmerveranlagung nicht vorgesehen. Der Anspruch auf das Guthaben entstehe nach der BAO erst mit dem Todestag. Nach dem Tod könne aber kein Einkommen mehr entstehen, sodass im Guthaben aus der Arbeitnehmerveranlagung ein nachlasszugehöriger Vermögensteil iSd § 330a ASVG zu sehen sei. Aufgrund der die Aktiva übersteigenden Kosten einer einfachen Bestattung komme der Sozialhilfeträger bei der Nachlassverteilung nicht mehr zum Zuge.

Hiezu wurde erwogen:

1. Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile in der ausführlich begründeten Entscheidung 2 Ob 161/18t ausgesprochen, dass ein nachträglich hervorgekommenes Einkommenssteuerguthaben im Zuflusszeitpunkt grundsätzlich nicht als Vermögen iSd § 330a ASVG sondern als Einkommen (dort iSd § 6 Abs 2 K‑MSG) zu qualifizieren ist. Dies gilt auch für das Einkommen iSd §§ 9, 46 Oö. SHG 1998 (§ 4 Oö. Sozialhilfeverordnung 1998).

2. Ebenso wurde mittlerweile ausführlich dargelegt, dass der Anspruchsübergang nach der in § 324 Abs 3 ASVG statuierten Legalzession zugunsten jenes Trägers, auf dessen Kosten der betreffende Pensions‑ oder Rentenberechtigte in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung „verpflegt“ wird, unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erfolgt. Er findet grundsätzlich für jeden Monat, in dem die Unterbringung bzw Pflege erfolgt, statt, weil die Leistung pro Kalendermonat gebührt, und betrifft zeitlich kongruente Leistungen, also solche, die von einem Träger für einen Zeitraum erbracht wurden, für den der Leistungsbezieher einen Anspruch auf Renten‑ oder Pensionsleistungen hatte. Dem Pensionsberechtigten steht für diese Zeit nur mehr der nicht vom Forderungsübergang erfasste Teil seines Anspruchs zu (2 Ob 72/19f; 2 Ob 161/16t; RS0066396).

Da die Verstorbene 2018 in einem Pflegeheim untergebracht war, ist der zeitlich kongruente Anspruch auf die monatlichen Pensionsleistungen dieses Jahres im Ausmaß von 80 % auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen und insoweit kein in den Nachlass fallender Anspruch der Verstorbenen vorhanden.

Bei einer den individuellen Verhältnissen von vornherein angepassten Steuerberechnung wäre insgesamt ein höherer Pensionsbetrag ausbezahlt worden und damit – als Konsequenz aus § 324 Abs 3 ASVG – der Übergang auf den Sozialhilfeträger betragsmäßig höher ausgefallen. Eines besonders normierten Forderungsübergangs in den Steuergesetzen bedarf es dafür nicht (2 Ob 72/19f [zu den auch im vorliegenden Fall anzuwendenden Sozialhilfebestimmungen]). Der im Wege der Legalzession übergegangene Teil des die Pensionsansprüche betreffenden Steuerguthabens fällt daher ebenso wie der entsprechende Anteil an den zugrundeliegenden Pensionsansprüchen selbst nicht in den Nachlass (2 Ob 72/19f; 2 Ob 161/18t). Dass dieser übergegangene Anteil 80 % des Steuerguthabens ausmacht, ist zwischen den Parteien nicht strittig und auch aus dem Akteninhalt nicht anders ersichtlich.

3. Im Verfahren nach §§ 154 f AußStrG sind die im Konkurs (jeweils) geltenden Vorschriften über die Aussonderungs- und Absonderungsansprüche, die Masseforderungen und die Konkursforderungen sinngemäß anzuwenden (RS0007622). Daraus folgt, dass Rechte, die eine Verlassenschaftsinsolvenz nicht beeinträchtigen würde, durch eine Überlassung an Zahlungs statt ebenso wenig beeinträchtigt werden dürfen (6 Ob 5/13y). Da der im Wege der Legalzession an den Sozialhilfeträger übergegangene Teil des die Pensionsansprüche betreffenden Steuerguthabens nicht in den Nachlass fällt, kommt diesem insoweit in sinngemäßer Anwendung des § 44 IO ein „Aussonderungsrecht“ zu (vgl 8 Ob 131/07h). Dieser Teil des Steuerguthabens kann daher bei der Überlassung an Zahlungs statt nicht als Aktivum an die Gläubiger verteilt werden (vgl 6 Ob 5/13y), was im Rahmen der Verpflichtung zur allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen ist (RS0043352).

4. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Anführung des gesamten Steuerguthabens bei den übergebenen Aktiva im Beschluss über die Überlassung an Zahlungs statt nicht bekämpft wurde. Denn eine Teilrechtskraft des Beschlusses bloß im Bezug auf die darin angeführten Aktiva der Verlassenschaft scheidet wegen deren untrennbaren Zusammenhangs mit den übrigen Beschlusspunkten (§ 155 Abs 3 AußStrG) aus. Es liegt auch keine reformatio in peius vor, weil gleichzeitig die Verpflichtung zur Zahlung an den Sozialhilfeträger – insoweit ist die Revisionsrekurswerberin durch den angefochtenen Beschluss beschwert – zu entfallen hat.

5. Dem Revisionsrekurs ist daher in diesem Sinne teilweise Folge zu geben und die Verpflichtung der Revisionsrekurswerberin, 616,80 EUR (80 % des Steuerguthabens) an den Sozialhilfeträger zu bezahlen, zu beseitigen. Dieser Teil des Steuerguthabens fällt nicht unter die zu verteilenden Aktiven des Nachlasses.

6. Die Befriedigung von Aussonderungsansprüchen obliegt – wie grundsätzlich auch sonst die Befriedigung der Verlassenschaftsgläubiger (RS0007631) – nicht dem Verlassenschaftsgericht. Daher wird der Sozialhilfeträger das auf ihn übergegangene Steuerguthaben der Erblasserin von 616,80 EUR (80 % des Steuerguthabens aus der Arbeitnehmerveranlagung des Jahres 2018) selbst einzuziehen haben.

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