OGH 12Os80/19k

OGH12Os80/19k12.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Rathgeb in der Strafsache gegen Belmin H***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Belmin H***** und Edvin H***** sowie über die Berufung des Angeklagten Dino P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 11. Februar 2019, GZ 32 Hv 23/18z‑124, sowie über die Beschwerden der beiden Erstgenannten gegen zugleich ergangene Beschlüsse auf Widerruf bedingter Strafnachsichten und bedingter Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00080.19K.0812.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten Belmin H***** und Edvin H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden

Belmin H***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (A./I./2./), mehrerer Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (A./II./1./) und des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (B./),

Edvin H***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (A./I./3./), jeweils mehrerer Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (A./II./2./) und der Beleidigung nach § 115 Abs 1 (§ 117 Abs 2) StGB (A./III./) sowie je eines Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (A./IV./) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A./V./) und

Dino P***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (B./)

schuldig erkannt.

Danach haben – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – in G*****

A./ am 12. Juni 2018

I./ Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, und zwar an der Anhaltung, Identitätsfeststellung und nachfolgenden Festnahme des Belmin H***** und des Edvin H*****, nämlich

2./ Belmin H*****, indem er zuerst den Polizeibeamten Andreas Ho***** im Hals‑ und Oberkörperbereich erfasste und zurück riss, ihn zu Sturz brachte und ihm Fußtritte gegen den rechten Oberkörper versetzte, ihn danach neuerlich an der Schulter erfasste und wegzuzerren versuchte und schließlich in der Fixierung durch den Polizeibeamten Daniel R***** wild um sich trat,

3./ Edvin H*****, indem er sich nach der Äußerung: „Was ist mit dir Bruder, was ist los, ich scheiß auf euch Bullen und ficke deine Mutter!“, mit erhobenen und geballten Fäusten den Polizeibeamten Andreas Ho***** und Daniel R***** näherte, Schläge in ihre Richtung ausführte und schließlich in der Fixierung durch sie wild um sich trat und versuchte, ihnen Kopfstöße zu versetzen,

wobei es wegen der Beharrlichkeit der Beamten beim Versuch blieb;

II./ „Beamte während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben und Erfüllung ihrer Pflichten vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1./ Belmin H***** durch die zu A./I./2./ angeführten Tathandlungen und

2./ Edvin H***** durch die zu A./I./3./ angeführten Tathandlungen,

wobei RI Andreas Ho***** eine leichte Rötung am rechten Ellenbogen, eine 2 x 3 cm große Exkoriation am Ellenbogen, eine Prellung des rechten Rippenbogens und eine Absplitterung des Knochens im rechten Handgelenk und RI Daniel R***** Prellungen und Rötungen im Bereich des rechten Ellenbogens erlitten“;

V./ Edvin H***** Jeannine (auch Jeaninne) Hob***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper und an ihrer sowie der Freiheit von Sympathiepersonen zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von einer Verständigung der Polizei, genötigt, indem er wiederholt laut rief, dass sie aufpassen und ja nicht die Polizei rufen solle, weil er sonst sie und ihre Familie vergewaltigen würde und äußerte: „Wenn du Polizei anrufst, bring ich dich um.“

Gegen den Schuldspruch A./II./1./ wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Belmin H*****.

Der Angeklagte Edvin H***** bekämpft den Schuldspruch A./V./ mit seiner auf § 281 Abs 1 Z 9 (richtig) lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Belmin H*****:

Die Mängelrüge (Z 5) beschränkt sich mit eigenen Beweiswerterwägungen zu den Aussagen der Zeugen Andrea Pa***** (in der Beschwerde „Pac*****“), Jeannine (in der Beschwerde Janine) Hob*****, Daniel R***** und Andreas Ho***** sowie zur Verantwortung des Beschwerdeführers, die im Übrigen von den Tatrichtern sämtlich eingehend gewürdigt wurden (US 11 iVm US 16 ff), auf die Behauptung, das Erstgericht habe „die vorliegenden Beweise tatsächlich unvollständig [ge]würdigt, bzw. [sei] den unvollständigen und widersprechenden Aussagen [ge]folgt“.

Damit wendet sie sich bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO) gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung, ohne eine der fünf Kategorien von Begründungsfehlern der Z 5 (siehe dazu zuletzt eingehend 13 Os 80/18s) aufzuzeigen.

Gleiches gilt für das Vorbringen, dass sich weder aus den Vernehmungen des Erst‑, des Zweit‑ oder des Drittangeklagten, noch „aus den übrigen Ermittlungsergebnissen und Zeugeneinvernahmen […] der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt“ ergebe.

Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583). Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Diesen Anfechtungsrahmen verfehlt die neuerlich bloß eigene Beweiswerterwägungen zu den Aussagen der Zeugen Daniel R*****, Andreas Ho*****, Ralf W*****, Andrea Pa*****, Jeannine Hob*****, Pavlina M*****, Daniel L***** und Albin A***** anstellende Beschwerde. Die Kritik, die eingehende Beweiswürdigung in Ansehung der als unglaubwürdig erachteten Aussagen der beiden Letztgenannten (US 14 f) sei nicht nachvollziehbar, bleibt unverständlich.

Mit dem Hinweis auf den Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo) wird der Beschwerdeansicht zuwider Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0102162).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Edvin H*****:

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet einen substanzlosen Gebrauch der verba legalia, ohne jedoch methodisch korrekt aus dem Gesetz abzuleiten, weshalb die von der Beschwerde selbst angeführten Feststellungen auf US 8 und 9 für eine Subsumtion nach § 105 Abs 1 StGB nicht genügen sollten.

Gleiches gilt für das substratlose Vorbringen, wonach „die verfahrensgegenständlichen Äußerungen jedenfalls ungeeignet [seien], der Bedrohten begründete Besorgnis einzuflößen“.

Weiters vermisst der Beschwerdeführer Feststellungen „hinsichtlich der in der Person der Bedrohten gelegenen Umstände sowie zum objektiven Maßstab eines besonnenen Durchschnittsmenschen, welche die Verwirklichung des angedrohten Übels erwartet“, „zu dem von diesem verständigen Durchschnittsmenschen gewonnenen Eindruck, ob der Täter überhaupt in der Lage wäre, die angedrohten Folgen tatsächlich herbeizuführen“ und zu weiteren, vom Angeklagten gegenüber Jeannine Hob***** gesetzten Handlungen, „die als die Drohung begleitende Verhaltensweisen anzusehen sind“.

Auch insoweit beschränkt er sich erneut prozessordnungswidrig auf die bloße Behauptung (RIS‑Justiz RS0118415), derartige Feststellungen wären für die Erfüllung des Tatbestands (zusätzlich) erforderlich.

Unverständlich bleibt das Vorbringen, das Erstgericht habe „ein Tatbestandsmerkmal des § 105 StGB nicht ausreichend konstatiert“, weshalb „bei richtiger rechtlicher Beurteilung der alleinige Schluss zulässig [ist], dass der erforderliche tatbestandsmäßige Vorsatz beim Angeklagten nicht vorgelegen ist“.

Der Einwand des Fehlens der subjektiven Tatseite übergeht prozessordnungswidrig die gerade dazu vom Erstgericht getroffenen Feststellungen auf US 8 f (RIS‑Justiz RS0099775).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen und Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Hinzuzufügen bleibt, dass es Edvin H***** nach den Feststellungen bei den vom Schuldspruch wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (A./I./3./) umfassten Tathandlungen zum Nachteil des Daniel R***** zwar ernstlich für möglich hielt und sich billigend damit abfand, den genannten Polizeibeamten während oder wegen der Vollziehung seiner Pflichten, nämlich der Anhaltung, Identitätsfeststellung und Festnahme des Belmin H***** und des Edvin H***** am Körper zu verletzen, dessen Verletzung jedoch (bloß) aus den Tathandlungen des Belmin H***** resultierte (US 11). Solcherart hat das Erstgericht insoweit verfehlt die Vollendung der Straftat angenommen und das Gesetz im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO unrichtig angewendet (RIS‑Justiz RS0122137). Diesem von der Beschwerde nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0122140).

 

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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