European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00032.19G.0625.000
Spruch:
1. Die Ergänzungen zum außerordentlichen Revisionsrekurs vom 23. 4. 2019 und vom 25. 4. 2019 werden zurückgewiesen.
2. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die klagende Gesellschaft nahm an einem Vergabeverfahren der beklagten Partei für den Bau von Rohrleitungen teil und legte am 8. 3. 2010 ein Angebot. Mit Schreiben vom 21. 4. 2010 wurde sie von der beklagten Partei verständigt, dass die Zuschlagsentscheidung an eine Mitbewerberin erfolgt sei. Im Zuge eines Gesprächs am 20. 6. 2012 mit den damaligen Geschäftsführern der beklagten Partei brachte der Geschäftsführer der klagenden Partei die jahrelange ununterbrochene Auftragsvergabe an diese Mitbewerberin zur Sprache und konfrontierte seine Gesprächspartner erstmals mit dem Vorwurf, dass es bei den Vergaben vergaberechtsrelevante Verstöße gegeben haben könnte.
Am 10. 5. 2016 (somit mehr als vier Jahre später) stellte die klagende Partei beim Landesverwaltungsgericht Kärnten den Antrag auf Feststellung (§ 6 Abs 3 iVm § 20 Kärntner Vergaberechtsschutzgesetz [K-VergRG]).
Dieser Antrag wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 6. 7. 2016, KLVwG-924/18/2016, wegen Ablaufs der Sechsmonatsfrist des § 21 Abs 2 K‑VergRG rechtskräftig zurückgewiesen. Als Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, für die Erhebung von Nachprüfungs- und Feststellungsanträgen sei auf die Kenntnis von allfälligen vergaberechtsrelevanten Vorkommnissen abzustellen. Die Kenntnis von strafrechtlich relevanten Verstößen sei nicht notwendig. Die entsprechende Informationssammlung wäre der Antragstellerin innerhalb der gegebenen sechsmonatigen Frist ab Kenntnis von der Zuschlagserteilung möglich gewesen. Darüber hinaus wäre die sechsmonatige Ausschlussfrist vor Einbringung des Feststellungsantrags auch verstrichen, wenn man diese Frist erst ab dem 20. 6. 2012 beginnen lassen wollte.
Mit ihrer am 17. 10. 2016 eingebrachten Klage begehrt die klagende Gesellschaft 1.052.562,98 EUR sA an Schadenersatz mit dem Vorbringen, es sei zu vergaberechtlichen Verstößen gekommen, ohne die sie den Zuschlag erhalten hätte, wodurch ihr ein Vermögensschaden entstanden sei.
Die beklagte Partei erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs: Eine auf Verstöße gegen das Vergaberecht gestützte Schadenersatzklage sei nur zulässig, wenn zuvor ein Verstoß gegen das Vergaberecht durch die zuständige Vergaberechtsbehörde festgestellt worden sei. Eine Rechtswidrigkeit feststellende Entscheidung einer Vergabekontrollbehörde liege nicht vor.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück.
Es stellte noch Folgendes fest:
Der Geschäftsführer der klagenden Partei gab am 15. 2. 2013 seine Bedenken und Vermutungen einer vergaberechtswidrigen Vorgangsweise im Rahmen seiner Vernehmung bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu Protokoll. Mit einer ersten Teilrechnung vom 13. 7. 2013 machte die klagende Partei einen Teilbetrag der verfahrensgegenständlichen Klageforderung in Höhe von 428.011,49 EUR geltend. Ihr Geschäftsführer konnte (erst) am 25.6.2014 Akteneinsicht in das die Geschäftsführer der beklagten Partei betreffende Strafverfahren bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nehmen.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, das Feststellungsverfahren bei der zuständigen Vergabekontrollbehörde sei erst nach Ablauf der dafür vorgesehenen sechsmonatigen Ausschlussfrist (§ 21 Abs 2 K‑VergRG) eingeleitet worden. Mangels Feststellung eines solchen Verstoßes durch die zuständige Vergabebehörde sei der klagenden Partei der Zivilrechtsweg verwehrt (§ 341 Abs 2 BVergG).
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Die Mitgliedstaaten seien befugt, die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs wegen Vergaberechtsverstößen von einer vorherigen rechtskräftigen Feststellung von Vergaberechtsverstößen abhängig zu machen. Ob die Sechsmonatsfrist für die Einleitung eines Feststellungsverfahrens nach dem Kärntner Vergaberechtsgesetz (als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage) Gültigkeit habe oder nicht, könne dahingestellt bleiben. Bereits am 20. 6. 2012 seien für den Geschäftsführer der klagenden Partei deutliche Anhaltspunkte im Sinne konkreter Verdachtsmomente vorgelegen, aus denen er geschlossen habe, dass die beklagte Partei ihre Verhaltenspflichten nicht eingehalten habe. Dass ihm zu jenem Zeitpunkt noch nicht alle näheren Umstände der nunmehr behaupteten Rechtswidrigkeiten bekannt gewesen sein mögen, rechtfertige nicht das rund vierjährige Zuwarten mit der Antragstellung beim Landesverwaltungsgericht Kärnten. Die Akteneinsicht bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft am 25. 6. 2014 habe nur ermöglicht, die Schadenersatzforderungen zu präzisieren. Selbst die von der klagenden Partei in Anlehnung an § 1498 ABGB geforderte dreijährige Frist zur Einbringung eines Feststellungsantrags hätte am 20. 6. 2012 zu laufen begonnen, als der Geschäftsführer der klagenden Partei die organschaftlichen Vertreter der beklagten Partei mit dem Vorwurf von Vergaberechtsverstößen konfrontiert habe; diese Frist hätte am 20. 6. 2015 – somit vor Einbringung des Feststellungsantrags – geendet. Der Zurückweisungsbeschluss des Landesverwaltungsgerichts sei daher rechtsrichtig. Eine Vorgangsweise des Rekursgerichts gemäß § 341 Abs 4 BVergG 2006 (Unterbrechung des Verfahrens, um beim VwGH mit Beschwerde gemäß Art 131 Abs 2 B-VG die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zu begehren) sei nicht angezeigt.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
Auf das hier zu beurteilende Vergabeverfahren ist in Bezug auf die Verfahrensvorschriften für die Nachprüfung das K‑VergRG anzuwenden; materiell‑rechtlich ist das BVergG 2006 anwendbar.
Die Revisionsrekurswerberin vertritt weiterhin die Ansicht, die nationale Regelung einer sechsmonatigen Ausschlussfrist für die Feststellung eines Vergaberechtsverstoßes sowie das Erfordernis der Feststellung eines Vergaberechtsverstoßes durch die zuständige Vergabekontrollbehörde nach § 341 Abs 2 BVergG verstießen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht.
Damit wird im Hinblick auf die Gegebenheiten des vorliegenden Falls keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
1.1 Nach Art 2 Abs 6 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. 12. 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in ihrer zuletzt durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 geänderten Fassung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei Schadenersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer (im Vergabeverfahren ergangenen) Entscheidung gestützt werden, diese Entscheidung zuvor von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle aufgehoben worden sein muss.
1.2 Nach Art 1 Abs 1 der RL 89/665/EWG müssen die Mitgliedstaaten Rechtsschutzmöglichkeiten vorsehen, mit deren Hilfe die Aufhebung einer vergaberechtswidrigen Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers herbeigeführt werden kann. Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber sollen wirksam und vor allem möglichst rasch nachgeprüft werden können.
1.3 Im Hinblick auf das mit der RL 89/665/EWG verfolgte Ziel einer zügigen Behandlung sind die Mitgliedstaaten befugt, für diese Rechtsschutzmöglichkeiten Ausschlussfristen vorzusehen (Art 2f Abs 1 der RL 89/665/EWG ), um zu verhindern, dass die Bewerber und Bieter jederzeit Verstöße gegen Vergabevorschriften rügen und dadurch den öffentlichen Auftraggeber zwingen können, das gesamte Verfahren erneut durchzuführen, um den Verstoß zu beheben (EuGH 30. 9. 2010, C‑314/09, Strabag AG ua, Rz 37).
1.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Frist dann angemessen, wenn sie sowohl das Prinzip der Effektivität als auch jenes der Rechtssicherheit – welchem durch das Beschleunigungsgebot Ausdruck verliehen wird – beachtet (EuGH 11. 10. 2007, C‑241/06, Lämmerzahl GmbH , Rz 50 ff).
1.5 Den Mitgliedstaaten ist es aber versagt, das Ziel einer raschen Nachprüfung auf Kosten des Ziels einer wirksamen Nachprüfung oder umgekehrt zu verwirklichen (vgl die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 29. 10. 2009, C‑456/08, Kommission/Irland , Rz 56). Eine Abwägung des Effektivitäts- und des Beschleunigungsgebots hat im jeweiligen Einzelfall zu erfolgen. Nationale Ausschlussfristen dürfen die Ausübung der Rechte, die dem Betroffenen gegebenenfalls nach dem Unionsrecht zustehen, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH 11. 10. 2007, C‑241/06, Lämmerzahl GmbH , Rz 52).
2. In Umsetzung der RL 89/665/EWG sieht das Kärntner Vergaberechtsschutzgesetz (K-VergRG LGBl 2006/74) ein Feststellungsverfahren vor (§ 6 Abs 3 iVm § 20). Das Recht auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (des Zuschlags, des Widerrufs oder der rechtswidrigen Wahl des Vergabeverfahrens) erlischt, wenn der Antrag nicht längstens innerhalb von sechs Monaten nach Erteilung des Zuschlags oder des Widerrufs des Vergabeverfahrens gestellt wird (§ 21 Abs 2 K‑VergRG).
Eine die Rechtswidrigkeit feststellende Entscheidung der zuständigen Vergabekontrollbehörde ist Prozessvoraussetzung für die Einklagung eines Schadenersatzanspruchs (§ 341 Abs 2 iVm § 332 BVergG 2006; RIS‑Justiz RS0120993 [T2]).
3.1 Die vom Revisionswerber für seinen Rechtsstandpunkt ins Treffen geführte Entscheidung des EuGH vom 26. 11. 2015, C‑166/14, MedEval , erging zu einer unzulässigen Direktvergabe ohne vorherige Bekanntmachung. Eine derartige Vorgangsweise stellt – weil sie naturgemäß Mitbewerbern längere Zeit verborgen bleibt – einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen das Unionsvergaberecht dar. Der EuGH ging davon aus, dass in einem derartigen Fall das Recht auf Erhebung einer Schadenersatzklage praktisch unmöglich gemacht oder erschwert werde, wenn die Zulässigkeit von Schadenersatzklagen von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war und dieser Feststellungsantrag binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, die ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt, ohne dass berücksichtigt wird, ob die geschädigte Person von der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers Kenntnis haben konnte.
3.2 Der Ansicht, diese Aussage träfe auch auf den vorliegenden Fall zu, weil der Geschäftsführer der klagenden Partei keinerlei Kenntnis über Rechtsverstöße im Zuge des Vergabeverfahrens gehabt habe, hat schon das Rekursgericht entgegengehalten, dass die klagende Partei Beteiligte des Vergabeverfahrens war, als solche vom Zuschlag verständigt wurde und daher legitimiert war, alle zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe des Vergaberechts zu nutzen. Es stand ihrem Geschäftsführer offen, seinem Verdacht, es könnte zu Vergaberechtsverstößen gekommen sein, ab Kenntnis von der Zuschlagserteilung an einen Mitbewerber nachzugehen und entsprechende Informationen zu sammeln, um eine Entscheidung über die Einbringung eines Feststellungsantrags (innerhalb der Sechsmonatsfrist) treffen zu können. Selbst wenn man den Lauf der Sechsmonatsfrist erst mit dem Gespräch am 20. 6. 2012 beginnen lassen wollte, wäre sie weit vor Einbringung des Feststellungsantrags abgelaufen.
4. Auch mit seinem weiteren Vorbringen, im Hinblick auf die mangelnde Kenntnis der Vergaberechtsverstöße wäre nicht auf eine sechsmonatige, sondern auf eine dreijährige Ausschlussfrist (analog der Verjährungsfrist des § 1489 ABGB) abzustellen, die erst mit der Akteneinsicht bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft am 25. 6. 2014 beginne, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
4.1 Mit diesem Vorbringen beruft sich der Revisionsrekurswerber inhaltlich auf das Äquivalenzprinzip. Nach diesem dürfen Verfahrensmodalitäten von Rechtsbehelfen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als jene für entsprechende Rechtsbehelfe, die das innerstaatliche Recht vorsieht. Dabei müssen die Klagen hinsichtlich des Gegenstands, des Rechtsgrundes und der wesentlichen Merkmale vergleichbar sein. Sieht man die Zuerkennung von Schadenersatz als Konkretisierung des Grundsatzes der Haftung des Staates für Schäden an, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, wäre die dreijährige Verjährungsvorschrift des § 6 Abs 1 AHG anwendbar ( Hiersche/Oder , EuGH kippt sechsmonatige Ausschlussfrist für Schadenersatz im BVergG, ZVB 2016/14, 49 [52 f] mwN). § 6 Abs 1 AHG sieht eine dreijährige Verjährungsfrist ab Kenntnis des Schadens vor.
4.2 Um die Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche ins Laufen zu bringen, reicht nach ständiger Rechtsprechung das Kennenmüssen der maßgeblichen Umstände grundsätzlich nicht aus (RS0034366 [T3, T6]). In gewissem Umfang wird aber eine Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angenommen (RS0034686 [T12]), die jedoch nicht überspannt werden darf (RS0034327). Voraussetzung sind regelmäßig deutliche Anhaltspunkte in Form konkreter Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T21]). Bei dieser Beurteilung ist auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen (RS0034327).
5.1 Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung weicht die Rechtsansicht des Rekursgerichts nicht ab, der Beginn einer dreijährigen Verjährungsfrist wäre schon mit der beim Gespräch am 20. 6. 2012 gegebenen Verdachtslage anzunehmen. Selbst unter der Annahme, dem Geschäftsführer der klagenden Partei wäre eine dreijährige Frist zur Einbringung des Feststellungsantrags offengestanden, wäre demnach der von ihm am 9. 5. 2016 eingebrachte Feststellungsantrag verfristet.
5.2 Die Ansicht, im Hinblick auf diese Umstände des vorliegenden Einzelfalls sei die Einbringung einer Schadenersatzklage nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert, bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums.
6. Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
7. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Die vom Geschäftsführer der klagenden Partei beim Obersten Gerichtshof eingebrachten weiteren Ergänzungen sind deshalb als unzulässig zurückzuweisen (RS0041666).
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