OGH 1Ob31/19v

OGH1Ob31/19v27.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH, *****, vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH, Graz, wegen Festsetzung einer Entschädigung nach § 117 WRG (Streitwert 108.467,14 EUR), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 14. Dezember 2018, GZ 2 R 122/18f‑14, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Juni 2018, GZ 17 Nc 6/17m‑9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00031.19V.0527.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten

Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Mit Bescheid vom 11. 7. 2016 erteilte die Wasserrechtsbehörde der Antragsgegnerin die wasserrechtliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb einer Wasserkraftanlage, räumte ihr an Grundstücken der Antragstellerin Dienstbarkeiten ein und legte dafür eine Gesamtentschädigung von 913,04 EUR fest. Die Antragstellerin focht diesen Bescheid in der Hauptsache beim Landesverwaltungsgericht an, das die Beschwerde am 12. 12. 2016 abwies und die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zuließ. Dieser wies die Revision der Antragstellerin mit Beschluss vom 27. 4. 2017 zurück. Am 12. 7. 2017 beantragte die Antragstellerin beim Erstgericht eine höhere als die im Bescheid vom 11. 7. 2016 zugesprochene Entschädigung.

Das Erstgericht wies diesen Antrag als verspätet zurück. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, weil die Frist zur Antragstellung gemäß § 117 Abs 4 Satz 2 WRG bereits mit Zustellung der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zu laufen begonnen habe. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zur Klarstellung des Fristbeginns „bei einer an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts“ zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der – entgegen der Ansicht der Revisionsrekursgegnerin gemäß § 117 Abs 6 WRG iVm § 30 Abs 3 EisbEG rechtzeitige – Revisionsrekurs

ist aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.

Der zuständige Fachsenat setzte sich mit der Frage des Beginns des Fristenlaufs nach § 117 Abs 4 WRG bei Bekämpfung eines Bescheids, der neben der Entschädigung auch über den entschädigungsbegründenden Eingriff (hier durch Einräumung eines Zwangsrechts nach § 60 WRG) abspricht, schon mehrfach auseinander und ging bereits zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) davon aus (1 Ob 95/07p), dass es nicht zu rechtfertigen sei, die Frist für die Anrufung des Gerichts auch dann bereits mit Zustellung des erstinstanzlichen Bescheids beginnen zu lassen, wenn dessen Schicksal bei Ablauf der Frist noch ganz ungewiss ist. Erwächst die Entscheidung der Wasserrechtsbehörde über die eine Entschädigung auslösende Anordnung in Rechtskraft, ist für den Fristbeginn die Zustellung dieses Bescheids maßgeblich. Wird hingegen Berufung erhoben und fehlt daher jegliche Basis für eine meritorische Entscheidung des Außerstreitgerichts, beginnt die Frist erst mit Zustellung einer Sachentscheidung der Berufungsbehörde, die mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden kann. Damit ist die (auch) durch den Entschädigungsausspruch der Wasserrechtsbehörde beschwerte Partei davor bewahrt, insoweit schon präventiv einen (mit Kosten verbundenen) Antrag an das Außerstreitgericht stellen zu müssen, der sich gegebenenfalls in der Folge als unnötig erweist.

Auch zur geltenden Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 bzw dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz – Umwelt, Abfall, Wasser (BGBl I 2013/97) wurde betont (1 Ob 178/14d), dass weiterhin vieles dafür spricht, dass § 117 Abs 4 Satz 2 WRG, der eine Bekämpfung der Entscheidung der Wasserrechtsbehörde nach Abs 1 ausschließlich durch Antragstellung beim Außerstreitgericht vorsieht, in erster Linie die Fälle des § 117 Abs 1 WRG im Auge hatte, wonach über die Pflicht zu Leistung von (nur dies ist hier relevant) Entschädigungen nach dem WRG in erster Instanz die Wasserrechtsbehörde entscheidet. Für derartige – ausschließlich die Entschädigung betreffende – Bescheide erscheint es durchaus konsequent, zur Überprüfung allein und sofort den gerichtlichen Weg zu eröffnen. Anderes gilt für Entschädigungen, die nicht alleiniger Verfahrensgegenstand sind, sondern vielmehr iSd § 117 Abs 2 WRG im Zusammenhang mit der Verleihung einer wasserrechtlichen Bewilligung oder der Einräumung eines Zwangsrechts festgesetzt werden, kann doch die Entschädigungsfrage in einem solchen Fall nicht losgelöst vom „endgültigen Schicksal“ des übrigen Bescheids vom Außerstreitgericht überprüft werden, sondern stellt sich diese letztlich überhaupt nur dann, wenn das Verfahren um Verleihung der wasserrechtlichen Bewilligung oder der Einräumung eines Zwangsrechts „im positiven Sinn rechtskräftig abgeschlossen“ ist.

Beide genannten Entscheidungen wurden jüngst im Beschluss zu 1 Ob 63/17x bestätigt und dort die Rechtsansicht bekräftigt, dass die Frist des § 117 Abs 4 WRG nicht vor „endgültigem Feststehen“ der wasserrechtlichen Bewilligung oder des Zwangsrechts zu laufen beginnt.

In allen drei genannten Entscheidungen war jeweils zu prüfen, ob die Frist zur Anrufung des Gerichts gemäß § 117 Abs 4 WRG auch dann bereits mit Zustellung des (sowohl über die Entschädigung als auch über den diese auslösenden Rechtseingriff absprechenden) erstinstanzlichen Bescheids zu laufen beginnt, wenn gegen diesen ein Rechtsmittel (1 Ob 95/07p: Berufung an die übergeordnete Verwaltungsbehörde; 1 Ob 178/14d und 1 Ob 63/17x: Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht) erhoben wurde. Da es in diesem Fall auf der Hand liegt, dass noch keine „endgültige Entscheidung“ über den entschädigungsauslösenden Rechtseingriff besteht, hatte der Fachsenat keinen Grund, sich über die Beurteilung des konkreten Falls hinaus allgemein damit auseinander zu setzen, wann eine solche endgültige Entscheidung vorliegt. Die bisherigen Fälle boten insbesondere auch keinen Anlass für eine Beurteilung der – hier interessierenden – Frage, ob eine vom Landesverwaltungsgericht zugelassene (also ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof den Beginn der Frist des § 117 Abs 4 WRG (weiter) hinausschiebt.

Eine Antwort auf diese Frage kann nur anhand der hinter den genannten Entscheidungen des Fachsenats stehenden teleologischen Erwägungen gefunden werden. Wie bereits zu 1 Ob 95/07p dargelegt, besteht der Zweck des hinausgeschobenen Beginns der Frist zur Anrufung des Gerichts gemäß § 117 Abs 4 WRG in den Fällen einer iSd § 117 Abs 2 WRG gemeinsamen Entscheidung über ein (hier relevantes) Zwangsrecht sowie die sich daraus ergebende Entschädigung, wenn diese Entscheidung von der durch das Zwangsrecht belasteten Partei (hinsichtlich des Zwangsrechts) angefochten wird, darin, diese davor zu schützen, bereits einen mit Kosten verbundenen Antrag auf Entscheidung der Entschädigungsfrage durch das Gericht stellen zu müssen, obwohl sich dieser – aufgrund der möglichen Abänderung der Entscheidung über das Zwangsrecht – im Nachhinein als unnötig erweisen könnte. Es soll der Partei, in deren Rechte eingegriffen wird, im Sinne der Prozessökonomie vielmehr zugestanden werden, die abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit des entschädigungsbegründenden Eingriffs im dafür vorgesehenen Verfahren ohne Risiko eines möglicherweise frustrierten Verfahrensaufwands abzuwarten. Diese Gefahr besteht aber nicht nur, wenn gegen eine erstinstanzliche Entscheidung der Wasserbehörde über ein Zwangsrecht ein Rechtsmittel (Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht; vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012: Berufung an die übergeordnete Verwaltungsbehörde) erhoben wird, sondern auch dann, wenn – wie hier – eine gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zugelassene Revision erhoben wurde, weil auch in diesem Fall die Berechtigung des Eingriffs als Grundlage einer meritorischen Entscheidung des Gerichts über die Entschädigung noch nicht endgültig feststeht. Ob die angefochtene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts über den entschädigungsauslösenden Eingriff im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs formell rechtskräftig wurde (vgl Ra 2018/21/0111, wonach Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte bereits mit ihrer Erlassung rechtskräftig werden), spielt für die Beurteilung des Beginns der Frist zur Antragstellung nach § 117 Abs 4 WRG keine Rolle, weil auch dann ein berechtigtes Interesse des (präsumtiven) Entschädigungswerbers, vor Antragstellung an das Gericht die endgültige Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zwangsrechts im Instanzenweg abzuwarten, anzuerkennen ist, wenn zwar eine (nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs formell rechtskräftige) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegt, dagegen aber – wie im vorliegenden Fall – noch ein weiterer Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof zugelassen und dieser auch beschritten wurde. Auch in diesem Fall kann kein Zweifel daran bestehen, dass über den die Entschädigungspflicht auslösenden Rechtseingriff (hier also das eingeräumte Zwangsrecht) noch nicht endgültig abgesprochen wurde.

Soweit der Fachsenat zu 1 Ob 95/07p (zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 und [bloß] zur Frage, ob eine gegen einen erstinstanzlichen Bescheid erhobene [damals noch] Berufung den Beginn der Frist des § 117 Abs 4 WRG hinausschiebt) davon ausging, dass es für den Fristbeginn auf die Zustellung einer mit „ordentlichem Rechtsmittel“ nicht mehr anfechtbaren Sachentscheidung der Berufungsbehörde ankommt, kann daraus für den vorliegenden Fall, in dem die fristaufschiebende Wirkung einer (ordentlichen) Revision gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zu beurteilen ist, nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Ob auch eine außerordentliche Revision gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Frist des § 117 Abs 4 WRG (weiter) aufschieben würde, muss hier nicht beurteilt werden. Soweit in der Entscheidung 1 Ob 178/14d für den Fristbeginn auf den „rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens um Verleihung der wasserrechtlichen Bewilligung oder der Einräumung eines Zwangsrechts im positiven Sinn“ abgestellt wurde, ist dies im oben dargestellten Sinn des Vorliegens einer endgültigen Entscheidung über den die Entschädigungspflicht auslösenden Rechtseingriff zu verstehen.

Da die Zweimonatsfrist zur Antragstellung nach § 117 Abs 4 WRG nach den dargelegten Erwägungen hier erst mit der (unstrittig) am 25. 5. 2017 erfolgten Zustellung des die ordentliche Revision zurückweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs an die Klägerin zu laufen begann, war der am 12. 7. 2017 gestellte Antrag auf Neufestsetzung der Entschädigung rechtzeitig.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 44 Abs 2 EisbEG iVm § 117 Abs 6 Satz 2 WRG (vgl 1 Ob 19/06k).

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