European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00055.19Y.0521.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Friedrich B***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 19. Februar 2018 in W***** Nicole H***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs und einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie ungeachtet mehrfacher Aufforderungen, von ihr abzulassen, sowie körperlicher Gegenwehr, an den Schultern erfasste und in eine WC‑Kabine drängte, sie dort an die Wand drückte, mit einer Hand unterhalb ihrer Bekleidung im Brust- und Genitalbereich betastete und mit einem Finger vaginal penetrierte, anschließend ihre Bekleidung bis zu den Knien nach unten zog, sie am Becken und an den Schultern ergriff und umdrehte, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand, sie nach vorne drückte und anschließend einen vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung von in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen (ON 32 S 57) Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt.
Der Antrag auf Vernehmung der Zeugen Herwig G***** und Herbert I***** zum Beweis dafür, dass der gegenständliche Vorfall bereits am 19. Februar 2018 vom Opfer „als nicht relevant bestätigt wurde“ und dieses bereits vor dem Vorfall massive schulische Probleme und Fehlstunden hatte, es die Klasse hätte wiederholen müssen, weshalb es aus diesem Grund zehn Tage nach dem Vorfall Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet habe, zielte der Sache nach auf eine Kontrolle der Glaubwürdigkeit der Angaben des Tatopfers ab. Wenngleich eine Beweisführung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben grundsätzlich zulässig ist (vgl RIS‑Justiz RS0028345), ließen sich dem Antragsvorbringen keine – für den Erfolg eines solchen Begehrens erforderlichen (RIS‑Justiz RS0120109 [T3]) – konkreten Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, das Opfer hätte in Bezug auf eine entscheidende Tatsache (mit Gewalt erfolgte Nötigung zu unfreiwilligem Geschlechtsverkehr und diesem gleichzusetzender geschlechtlichen Handlung) die Unwahrheit gesagt.
Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Dr. Josef S***** zum Beweis dafür, dass die Zeugin Andrea F***** den Vorfall in der Nachbarkabine in Richtung eines Einverständnisses des Opfers wahrgenommen und dies ihm gegenüber bestätigt habe, und dass er diese Zeugin durch Zufall ausfindig machen konnte, begehrte die Vernehmung eines Zeugen „vom Hörensagen“ über ihm gegenüber erfolgte Äußerungen einer von den Tatrichtern zu diesem Beweisthema unmittelbar gehörten Zeugin (US 9; ON 20a S 72 f iVm ON 14 S 7), legte aber nicht dar, warum den privaten Bekundungen der Zeugin über ihre behaupteten Wahrnehmungen zum Tatgeschehen und den Umständen ihrer Ausforschung Bedeutung für die Beurteilung des Tatverdachts zukommen soll (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO).
Die in der Beschwerdeschrift zur Antragsfundierung nachgetragenen Ausführungen unterliegen dem Neuerungsverbot und sind daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).
Entgegen dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) hat sich das Erstgericht mit der Aussage des Tatopfers auch in Bezug auf das Fehlen des Einverständnisses zum Geschlechtsverkehr und dessen Erkennbarkeit für den Angeklagten auseinandergesetzt (US 6 ff). Insbesondere erwogen die Tatrichter, basierend auf der für glaubwürdig erachteten Aussage der Zeugin Nicole H*****, wonach sie sich anfänglich verbal und mit den Händen gegen das Bedrängen durch den Angeklagten zur Wehr gesetzt habe, jedoch zunehmend mit der Situation überfordert gewesen sei, sich dann gedanklich aus der Situation entfernt und die gegen ihren Willen gerichteten Handlungen schließlich geschehen habe lassen, dass der Angeklagte ihre ablehnende Haltung bemerkt und es ernstlich für möglich gehalten hat, dass sie nicht mit sexuellen Handlungen einverstanden ist, er sich jedoch aufgrund bestehender Erregung zugunsten seiner Bedürfnisbefriedigung damit abgefunden hat und ihm die offenkundige Ablehnung des Opfers bereits vor dessen Weinen während des Geschlechtsverkehrs klar gewesen ist (US 10 f; ON 10 S 2, 5–8). Zu einer Erörterung sämtlicher Aussagedetails war das Erstgericht mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS‑Justiz RS0106642).
Die Aussage der Zeugin Andrea F***** haben die Tatrichter – der Beschwerdebehauptung (Z 5 zweiter Fall) zuwider – sehr wohl erörtert (US 9 f). Dass sie daraus andere als die vom Angeklagten gewünschten Schlüsse zogen, stellt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS‑Justiz RS0099455).
Indem das Rechtsmittel auf ein selektiv herausgegriffenes, unvollständig zitiertes Detail der Vernehmung des Tatopfers vor der Kriminalpolizei verweist (vgl ON 2 S 33: „... aus meinen Reaktionen war für Markus aus meiner Sicht immer erkennbar, dass ich nicht damit einverstanden bin, was er macht.“) und darauf die Behauptung von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) stützt, vernachlässigt es erneut die Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS‑Justiz RS0119370).
Der weiteren Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider ist der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem (hier durch Vorführung der Ton- und Bildaufnahme über die kontradiktorische Vernehmung [ON 32 S 51]) in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS‑Justiz RS0106588). Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann jedoch unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt einer solchen Kritik besteht aber nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, womit sich das Ausmaß der im Einzelfall geltenden Erörterungspflicht entsprechend reduziert (Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 432). Mit der Behauptung, die als nachvollziehbar und glaubwürdig zu erachtende (den Vergewaltigungsvorwurf leugnende) Aussage des Angeklagten weiche von den Angaben des Opfers ab, spricht die Mängelrüge solche Tatsachen jedoch nicht an. Im Übrigen haben die Tatrichter die leugnende Verantwortung des Angeklagten im Urteil berücksichtigt und als widerlegt angesehen (US 8 f).
Das weitere – teils spekulative – Vorbringen zu den Tatumständen (feuchte Vagina und Gespräch über Verhütung, sodass von Freiwilligkeit auszugehen sei; Beendigung des Geschlechtsverkehrs ohne Samenerguss; Tragen enger Kleidung, die ein Entkleiden bei Gegenwehr nicht ermögliche; keine Beschädigung der Kleidung und keine Verletzungen des Opfers als Hinweise auf Gewalt) sowie zum Nachtatverhalten des Opfers (kein Weinen im Lokal, kein unmittelbares Erzählen über einen Vorfall, Besuch eines Nachtclubs sechs Tage nach der Tat), spricht keine Anfechtungskategorie der Z 5 an. Vielmehr versucht der Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit des Tatopfers in Zweifel zu ziehen, bekämpft solcherart aber unzulässig die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (erneut RIS‑Justiz RS0106588 [insb T15]).
Mit der Berufung auf den „Zweifelsgrundsatz“ (§ 14 zweiter Halbsatz StPO) wird kein Begründungsmangel geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0102162).
Entgegen dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der – entgegen der Beschwerdebehauptung keineswegs bloß mit Hilfe der „verba legalia“ getroffenen – Konstatierungen zur subjektiven Tatseite wegen Fehlens einer Auseinandersetzung mit der festgestellten Intention des Angeklagten, seine Bedürfnisse zu befriedigen bei weiters konstatiertem Abbruch des Geschlechtsverkehrs vor dem Samenerguss, Nichtberücksichtigung des Fehlens von Abwehrverletzungen des Tatopfers und einer Fehlinterpretation der Aussage der Zeugin Andrea F***** begegnet deren Ableitung aus dem äußeren Geschehen (US 10 f) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken. Denn der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ist rechtsstaatlich vertretbar und bei einem – wie hier – leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (vgl RIS‑Justiz RS0116882).
Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wird nur nominell erhoben, sodass die Beschwerde in diesem Umfang nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt ist (vgl § 285 Abs 1, § 285d Abs 1 Z 1 erster Fall StPO).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) wiederholt weitgehend das Vorbringen der Mängelrüge und lässt solcherart den wesensmäßigen Unterschied der einzelnen Nichtigkeitsgründe außer Acht (RIS‑Justiz RS0115902).
Indem die Rüge auf einzelne Textpassagen der Aussage des Tatopfers, auf (unerhebliche Details betreffende) Widersprüche in dessen Angaben und auf die leugnende Verantwortung des Angeklagten verweist (die vom Schöffengericht iSd § 270 Abs 2 Z 5 StPO ohnedies berücksichtigt wurden [US 7–11]) und daraus für den Angeklagten günstigere Schlüsse zieht, vermag sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken (vgl RIS‑Justiz RS0099674). Denn die Tatsachenrüge will nur unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Abgesehen von solchen Sonderfällen beantwortet der Oberste Gerichtshof auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielende Beschwerden ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).
Die weiteren Einwände eines Widerspruchs in den Aussagen der Zeugen Clemens Hü***** und Darius L***** dazu, wer von den Tatbeteiligten zuerst vom WC zurückgekommen sei und einer Außerachtlassung von Zeugenaussagen zu einer Weitergabe der Telefonnummer durch das Tatopfer an den Angeklagten, sprechen keine entscheidenden Tatsachen an.
Mit dem Vorwurf, das Erstgericht sei zufolge Nichtdurchführung der der Entlastung des Angeklagten dienenden Beweisanträge seiner Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung nicht nachgekommen, wird die Subsidiarität der Aufklärungsrüge (Z 5a) gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4) außer Acht gelassen (RIS‑Justiz RS0115823 [T2], Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 479).
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) gestützt auf isoliert herausgegriffene Details der Aussagen des Tatopfers und des Angeklagten die Feststellung zum auf Fehlen der Einwilligung des Opfers in den Geschlechtsverkehr und in die diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen gerichteten Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) des Beschwerdeführers (US 4 f) anhand eigener Beweiswerterwägungen bestreitet, verfehlt sie den Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
Das bloße Zitat des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 11 StPO im Rubrum der Rechtsmittelausführung wird dem Gebot der deutlichen und bestimmten Bezeichnung der Nichtigkeit begründenden Tatumstände nicht gerecht (vgl erneut § 285 Abs 1, § 285d Abs 1 Z 1 erster Fall StPO).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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