OGH 7Ob41/19h

OGH7Ob41/19h20.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** T*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** AG *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 11.617,24 EUR sA, infolge des Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. November 2018, GZ 50 R 83/18i‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28. März 2018, GZ 9 C 312/17y‑8, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00041.19H.0320.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 41/19h wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Der Kläger unterfertigte am 27. März 2000 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung ab 1. Juni 2000 auf zehn Jahre.

Der Kläger wurde weder bei Unterfertigung des Versicherungsantrags, noch im Zusammenhang mit dem Zugang der (am 23. Mai 2000 ausgestellten) Versicherungspolizze über sein Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG aufgeklärt.

Der Kläger leistete die Versicherungsprämie als Einmalerlag in Höhe von 400.000 ATS (29.069,13 EUR). Nach Ablauf des Vertrags leistete die Beklagte an den Kläger einen Auszahlungsbetrag von 17.400,87 EUR und einen Nachzahlungsbetrag von 1.399,61 EUR, insgesamt 18.800,48 EUR.

Mit Anwaltsschreiben vom 3. Juni 2017 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag, was die Beklagte ablehnte.

Der Kläger begehrt die von ihm gezahlte Prämie abzüglich Risikokosten (Entgelt für den Risikoschutz) und Auszahlungsbetrag, zuzüglich (als Nebenforderung und hilfsweise auf Schadenersatz gestützt) kapitalisierte Zinsen. Ihm stehe zu, zeitlich unbefristet, auch nach Vertragsablauf, zurückzutreten, weil er nicht über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt worden sei.

Die Beklagte wandte ein, der Vertrag sei vollständig erfüllt und vom Schutzzweck des § 165a VersVG nicht umfasst. Die Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei abgelaufen, das Rücktrittsrecht sei verjährt und werde rechtsmissbräuchlich geltend gemacht. Im Falle des Rücktritts stünde nur der Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu. Das Klagebegehren sei unschlüssig. Keinesfalls stünden dem Kläger die Rückzahlung der Versicherungssteuer oder eine 4%ige Verzinsung der Prämie zu; mehr als drei Jahre rückwirkend wären Bereicherungszinsen zudem verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren – unter Außerachtlassung einer Klagseinschränkung – im Umfang von 11.617,24 EUR ab.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Es ließ den Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zu den Fragen zu, ob von einem bereits beendeten Vertrag nach § 165a VersVG der Rücktritt erklärt werden könne, welche (bereicherungsrechtlichen) Rechtsfolgen ein Rücktritt nach § 165a VersVG habe, und ob der Versicherer bei einer allfälligen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung auch die Versicherungssteuer rückerstatten müsse.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem erkennbaren Antrag, in der Sache dahin zu erkennen, dass das klagsabweisende Ersturteil wiederhergestellt werde.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursverfahren ist zu unterbrechen:

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?

Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).

Stichworte