European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00033.19G.0320.000
Spruch:
Das Verfahren 7 Ob 33/19g wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.
Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Der Kläger war Angestellter der Beklagten und schloss mit ihr einen Lebensversicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn 1. 4. 2005 und Ablauf 31. 3. 2030 ab. Eine Rückstrittsbelehrung gemäß § 165a VersVG erhielt er nicht.
Im Weiteren kam es mit Antrag vom Kläger unterfertigt am 27. 1. 2006 und Versicherungsbeginn 1. 2. 2006, zu einer Änderung dieses Lebensversicherungsvertrags sowie mit Antrag vom 22. 1. 2007, Versicherungsbeginn 1. 2. 2007, zu einer Reduktion der monatlichen Prämie, weil der Kläger im Jänner 2008 das Unternehmen der Beklagten verließ.
Die den Änderungsanträgen vom 27. 1. 2006 und 22. 1. 2007 jeweils angeschlossenen „Informationen zur klassischen Lebensversicherung (gemäß §§ 91 und 18b VAG)“ lauten jeweils auszugsweise:
[...]
„8. Rücktritts- und Kündigungsrechte des Versicherungsnehmers
[… ]
Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG: Sie können binnen zweier Wochen nach Zustandekommen des Vertrages von diesem zurücktreten.
[…]
Kündigungsrecht nach allgemeine n Versicherungsbedingungen:
Sie können Ihre Lebensversicherung schriftlich kündigen:
[… ]“
Mit Schreiben vom 19. 7. 2007 teilte die Beklagte dem Kläger unter anderem mit, dass sie aufgrund einer Anforderung der Finanzmarktaufsichtsbehörde verpflichtet sei, die Versicherung den gesetzlichen Gegebenheiten anzupassen. Durch diese Umstellung ergäben sich für den Kläger keine Nachteile. Die genauen Vertragsdaten seien der beiliegenden neuen Polizze zu entnehmen, die bereits zugegangene Polizze habe keine Gültigkeit mehr. In der neuen Versicherungspolizze lautet der Punkt Rücktrittsrechte des Versicherungsnehmers:
„Die nachfolgend angeführten Absätze haben nur für den Fall Gültigkeit, dass die schriftliche Vertragserklärung (Antrag auf Änderung des Vertrages) auf eine inhaltliche Änderung hinsichtlich des Versicherungsobjektes oder der Versicherungssummen gerichtet ist.
Bei formalen Vertragsänderungen, wie Änderung der Zahlungsweise oder Zahlungsart, Änderung der begünstigten Person, Änderung der Anschrift etc. sind sie nicht anzuwenden.
[...]
Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG:
Sie sind berechtigt, binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages von diesem zurückzutreten.
[…]“
Mit Schreiben vom 28. 2. 2018 teilte der Kläger der Beklagten seinen Rücktritt vom Vertrag wegen fehlerhafter Belehrung über die ihm zustehenden Rücktrittsrechte bei Vertragsabschluss mit. Die Beklagte wies diesen als verspätet zurück.
Der Kläger begehrte unter Berufung auf eine nicht bzw nur fehlerhaft erfolgte Belehrung über sein Rücktrittsrecht vom Lebensversicherungsvertrag nach § 165a VersVG im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrags und dem daraus resultierenden unbefristeten Rücktrittsrecht die Bezahlung von 13.784,76 EUR sA, und hilfsweise den Ausspruch, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Lebensversicherungsvertrag ex tunc aufgehoben und die Beklagte schuldig sei, den Betrag von 13.634,44 EUR sA zu bezahlen. Die Beklagte habe den Kläger nicht über § 165a VersVG in der Fassung BGBl I Nr 62/2004 belehrt. Die späteren Belehrungen in den Änderungsanträgen seien insofern fehlerhaft gewesen, als sie über ein Rücktrittsrecht binnen zwei Wochen ab Zustandekommen des Vertrags belehrt hätten, während dem Kläger tatsächlich ein Rücktrittsrecht von 30 Tagen zugestanden hätte. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wie der Kläger habe davon ausgehen müssen, dass auch für den Rücktritt nach § 165a VersVG Schriftlichkeit erforderlich sei. Werde einer Leistung der Rechtsgrund entzogen, sei lediglich die Leistung des Kondiktionsgläubigers an den Kondiktionsschuldner relevant, nicht hingegen, wer Steuerschuldner der Versicherungssteuer gewesen sei.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Die Rücktrittsbelehrung des Klägers sei ordnungsgemäß und fehlerfrei erfolgt. Ein unbefristetes Rücktrittsrecht stehe ihm nicht zu. Die Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei auch wegen späterer Kenntnis des Klägers von dieser bereits mehr als 30 Tage vor Abgabe der Rücktrittserklärung abgelaufen und zwar unabhängig von einer zutreffenden Belehrung. Es stehe überdies nur ein Anspruch auf den Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu und es sei jedenfalls die Versicherungssteuer von 414,26 EUR in Abzug zu bringen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht wies den auf die Versicherungssteuer entfallenden Klagsbetrag ab und bestätigte im Übrigen das Ersturteil. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof in 7 Ob 107/15h mit den bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen eines Rücktritts nach § 165a VersVG nicht im Detail auseinandergesetzt habe.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Klagestattgebung bzw Klageabweisung. Hilfsweise stellen beide Aufhebungsanträge.
In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen sie jeweils die Zurück- bzw Abweisung der gegnerischen Revision.
Rechtliche Beurteilung
Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:
In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):
„ 1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?
2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):
Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?
3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?
4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?
5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich.
Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).
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