OGH 1Ob9/19h

OGH1Ob9/19h5.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Mag. Korn und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. des mj M*, geboren am * 2010, und 2. der mj J*, geboren am * 2012, beide vertreten durch Dr. Hans-Jörg Haftner, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Vaters Ing. MMag. M*, vertreten durch Mag. Agnes Lepschy, Rechtsanwältin in Altlengbach, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 21. November 2018, GZ 23 R 377/18s‑47, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 14. September 2018, GZ 1 Pu 223/16m‑41, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124667

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Antragsteller sind die ehelichen Kinder von T* und Ing. MMag. M*, deren Ehe seit Jänner 2017 geschieden ist. Beide Eltern sind Lehrer, wobei die Mutter eine 75%ige und der Vater eine 120%ige Lehrverpflichtung hat.

Mit Antrag vom 16. 11. 2016 begehrten die Kinder vom Vater – rückwirkend ab 1. 8. 2016 – monatlichen Unterhalt in Höhe von 174 EUR (Sohn) bzw 151 EUR (Tochter). Aufgrund des deutlich höheren Einkommens des Vaters ergeben sich die begehrten Unterhaltsansprüche.

Der Vater behauptet, die Kinder vier Tage pro Woche zu betreuen und ein in etwa gleiches Einkommen wie die Mutter zu beziehen, sodass den Kindern kein Geldunterhaltsanspruch zustehe.

Das Erstgericht bestimmte den monatlichen Geldunterhalt des Sohnes für den Zeitraum vom 1. 8. 2016 bis 30. 6. 2018 mit 120 EUR, ab 1. 7. 2018 mit 115 EUR und den monatlichen Unterhalt der Tochter für den Zeitraum vom 1. 8. 2016 bis 31. 7. 2017 mit 100 EUR und wies die Mehrbegehren (rechtskräftig) ab.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters Folge und hob den angefochtenen Beschluss, soweit mit diesem dem Antrag der Kinder stattgegeben wurde, auf. Es begründete dies damit, dass das Erstgericht die Einkünfte des Vaters unzulässigerweise aufgrund einer Durchschnittsbetrachtung ermittelt habe, wogegen für vergangene Zeitabschnitte die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen konkret zu prüfen sei. Im fortgesetzten Verfahren werde auch festzustellen sein, ab wann der Mutter die Übernahme einer 100%igen Lehrverpflichtung zumutbar und möglich wäre und welche Naturalleistungen die Eltern jeweils für die Kinder erbrächten. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil es (gemeint: für die Anwendung des sogenannten „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells“) einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof zur Frage bedürfe, wann (ab welcher Prozentgrenze) ein im Wesentlichen gleich hohes Einkommen der Eltern vorliege; soweit Einkommensunterschiede bis zu einem Drittel in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung als vernachlässigbar angesehen worden seien, sei auch unklar, von welcher (Bemessungs‑)Grundlage – vom höheren oder vom niedrigeren Einkommen – dieses Drittel zu berechnen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist unzulässig.

1. Vorauszuschicken ist, dass sich sowohl der Vater als auch die antragstellenden Kinder zur Begründung ihres Prozessstandpunkts auf das von der jüngeren, mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebilligte „betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell“ stützen. Dieses sieht einen – vom Vater angestrebten – Entfall eines Geldunterhaltsanspruchs vor, wenn die Betreuungs- und Naturalleistungen in etwa gleichwertig und die Einkommen der Eltern außerdem in etwa gleich hoch sind (RIS‑Justiz RS0130655; RS0131785; RS0131331; 10 Ob 58/18d). Liegen hingegen ins Gewicht fallende Einkommensunterschiede der Eltern vor, führt dieses Unterhaltsmodell zu einem – von den Antragstellern begehrten – Restgeldunterhaltsanspruch gegen den besser verdienenden Elternteil (RIS‑Justiz RS0131331 [T2]; RS0131786). Erfolgt keine gleichteilige Betreuung oder trägt ein Elternteil (regelmäßig) über die (an sich gleichteilige) Betreuung hinaus im Wesentlichen die Kosten für sämtliche bedarfsorientierten Naturalleistungen allein, bleibt die gesetzliche Geldunterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils bestehen und der geleistete Naturalunterhalt ist nur, soweit die Aufenthalte über ein übliches Kontaktrecht weit hinausgehen, mit einem prozentuellen Abschlag zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0131331 [T1]).

2. Die vom Rekursgericht angenommene (annähernde) zeitliche Gleichwertigkeit der Betreuungsleistungen beider Eltern ist nicht (mehr) strittig. Ob die Eltern auch im Wesentlichen gleiche (sonstige) Naturalleistungen erbringen (die Mutter behauptet, diverse Anschaffungen sowie Arztbesuche hauptsächlich zu finanzieren), kann im derzeitigen Verfahrensstadium noch nicht beurteilt werden. Das Erstgericht traf dazu nämlich keine Feststellungen, weshalb das Rekursgericht dessen Entscheidung aufhob und die Sache zur Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage (unter anderem zu diesem Aspekt) an die erste Instanz zurück verwies.

Im Revisionsrekurs wendet sich der Vater nur dagegen, dass das Rekursgericht – seiner Ansicht nach – auch Einkommensunterschiede von weniger als einem Drittel als ins Gewicht fallend angesehen habe (woraus bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells ein Restgeldunterhaltsanspruch der Kinder resultiere). Er führt in seiner Rechtsrüge im Wesentlichen aus, dass nach der als sachgerecht anzusehenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung Einkommensunterschiede von bis zu einem Dritten vernachlässigbar seien.

3.1. Auf die sowohl im Revisionsrekurs als auch im angefochtenen Beschluss als erheblich im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG angesehene Rechtsfrage, ab welchen (prozentuellen) Einkommensunterschieden kein im Wesentlichen gleichwertiges Einkommen der Eltern mehr vorliegt, muss nicht näher eingegangen werden. Unabhängig davon, dass – worauf der Revisionsrekurswerber selbst hinweist – die Beurteilung, ob ein annähernd gleiches Einkommen vorliegt, jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängt (4 Ob 74/10a) und damit die Festlegung einer allgemeinen exakten „Prozentgrenze“ bzw des dieser zugrundezulegenden „Ausgangswerts“ nicht zielführend ist, mangelt es dem Revisionsrekurs nämlich an der erforderlichen Beschwer.

3.2. Gegen einen vom Gericht zweiter Instanz gefassten Aufhebungsbeschluss kann zwar auch jene Partei (Revisions‑)Rekurs erheben, die selbst die Aufhebung erwirkt hat (RIS‑Justiz RS0007094 [T5]; RS0043817 [T7]). Den Parteien steht dies nicht bloß dann zu, wenn sie die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung bekämpfen, sondern auch wenn sie lediglich die dem Erstgericht erteilten Aufträge und die diesen zugrundeliegenden Rechtsansichten anfechten, obwohl sich diese nur aus den Gründen des Beschlusses ergeben, weil nicht nur die Aufhebung selbst, sondern auch eine nachteilige Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluss die verfahrensrechtliche Stellung der Parteien beeinträchtigt (vgl RIS‑Justiz RS0007094). Insoweit genügt also eine materielle Beschwer durch die Begründung der Entscheidung, weil das Erstgericht im zweiten Rechtsgang (hier gemäß § 61 AußStrG) an die Rechtsansicht des Gerichts zweiter Instanz und an die auf dieser Basis erteilten Aufträge gebunden ist (vgl RIS‑Justiz RS0007094 [T5]). Eine Bindung an eine im Aufhebungsbeschluss eines Rechtsmittelgerichts ausgeführte Rechtsansicht besteht ganz allgemein aber nur insoweit, als diese Ausführungen für die Aufhebung überhaupt maßgebend waren (RIS‑Justiz RS0110248). Auch an eine nicht klar und zweifelsfrei zum Ausdruck gebrachte oder eine nicht erkennbare Rechtsansicht kann keine Bindung bestehen (vgl zu im Berufungsverfahren ergangenen Aufhebungsbeschlüssen Pimmer in Fasching/Konecny² § 499 Rz 7; gleiches muss für die – § 499 Abs 2 ZPO nachgebildete – Bestimmung des § 61 AußStrG gelten).

3.3. Im vorliegenden Fall erfolgte die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung durch das Rekursgericht nicht aufgrund einer (nach Ansicht des Revisionsrekurswerbers unrichtigen) Beurteilung der – im Revisionsrekurs und der Rekursentscheidung als erheblich angesehenen – Rechtsfrage, wann die Eltern ein (im Sinne des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells) im Wesentlichen gleiches Einkommen beziehen. Die Aufhebung wurde vielmehr mit einer ungenauen und daher mangelhaften Feststellung des Einkommens des Vaters sowie mit dem Vorliegen sekundärer Feststellungsmängel zur Anspannung der Mutter auf eine 100%ige Lehrverpflichtung und zu den von den Eltern erbrachten Naturalleistungen begründet. Das Rekursgericht vertrat zur Abgrenzung der – für das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell relevanten von den dafür nicht relevanten – Einkommensunterschiede auch keine klare Rechtsmeinung, sondern erachtete die Abgrenzungskriterien bloß als unklar, wobei auch Bedenken an einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs formuliert wurden. Durch derartige bloß allgemeine und für die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung nicht ausschlaggebende rechtliche Erwägungen ist der Revisionsrekurswerber aber (materiell) nicht beschwert, weshalb der Revisionsrekurs zurückzuweisen ist.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte