OGH 14Os147/18a

OGH14Os147/18a5.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Bodinger in der Strafsache gegen Islamgul S***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. September 2018, GZ 30 Hv 24/18g‑70, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00147.18A.0305.000

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Islamgul S***** des Vergehens des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach §§ 15, 207b Abs 3 StGB (1./) und des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

1./ am 21. April 2017 den am ***** geborenen G***** O*****, mithin eine Person, die zur Tatzeit das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, unmittelbar durch ein Entgelt dazu zu verleiten versucht, eine geschlechtliche Handlung an ihm oder von ihm an sich vornehmen zu lassen, „indem er erklärte, er bekomme (zumindest) 5 Euro, wenn er mit ihm Sex habe“;

2./ am 4. April 2018 mit der am ***** geborenen J***** P*****, mithin einer unmündigen Person, außer dem Fall des § 206 StGB „eine geschlechtliche Handlung zu unternehmen versucht“, indem er ihr „einen Arm um die Schulter legte, sie auf die Wange küsste, schließlich versuchte, sie auf den Mund zu küssen und sie an sich drückte, wobei es lediglich aufgrund der körperlichen Gegenwehr des unmündigen Opfers (…) beim Versuch blieb“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie die auf Z 5 und Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gegründete, zu 2./ eine Subsumtion nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB anstrebende Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwalt.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet.

Zu 1./ stellte das Schöffengericht fest, dass der Angeklagte seinen Arm um die Schulter des Buben legte, ihn auf die Wange küsste, sich gemeinsam mit ihm auf die Couch zu legen versuchte, seine Hand über dessen Rücken „in Richtung seines Gesäßes“ gleiten ließ, ihn dort betastete, am Hals zu küssen versuchte und schließlich zu ihm sagte, „dass er ihm fünf Euro für einmal Sex gibt“. Dabei hielt er es „ernstlich für möglich und fand sich billigend damit ab,„G***** O***** unmittelbar durch ein Entgelt, nämlich die von ihm angebotenen 5 Euro, dazu zu verleiten, eine geschlechtliche Handlung an ihm oder von ihm, nämlich Sex, vornehmen zu lassen und wollte er dies auch“ (US 4 f).

Nach den Konstatierungen zu 2./ legte der Angeklagte seinen Arm um die Schulter des Mädchens, küsste sie auf die Wange, versuchte sie unter Anwendung von Körperkraft auf den Mund zu küssen und „plante in unmittelbaren Anschluss an diese körperliche Annäherung an J***** P***** zumindest außer dem Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen, sexuelle Handlungen an ihr (…) zu unternehmen“. Dabei hielt er es „ernstlich für möglich und fand sich billigend damit ab, an ihr eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen und wollte er dies auch“ (US 5).

Bezugspunkt sowohl des § 207b Abs 3 StGB als auch des § 207 Abs 1 StGB ist eine „geschlechtliche Handlung“. Dieser Begriff umfasst jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt. Er schließt jedenfalls jene Handlungen ein, bei denen zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers oder Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührung gebracht werden (RIS-Justiz RS0078135 [T1, T4 und T7]; Philipp in WK² StGB § 202 Rz 9 ff [iVm § 207 Rz 7 und § 207b Rz 14]).

Zwar sind Küsse und Umarmungen sowie das Streicheln des Gesäßes für sich betrachtet keine geschlechtlichen Handlungen iSd § 207 Abs 1 und § 207b Abs 3 StGB, sie können aber ein Indiz für einen weitergehenden Vorsatz des Täters bilden (vgl RIS-Justiz RS0094980; Philipp in WK² StGB § 207 Rz 8).

Indem das Urteil zu 1./ aber lediglich den – hier auch mit Blick auf die Beweiswürdigung (US 9) – unbestimmten Begriff „Sex“ verwendet, somit keine Feststellungen trifft, welche – unter den Rechtsbegriff „geschlechtliche Handlung“ zu subsumierende – Tathandlung vom auf die Verwirklichung des Tatbilds gerichteten Vorsatz des Angeklagten umfasst war, leidet es unter einem Rechtsfehler mangels Feststellungen.

Zu 2./ werden in den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite lediglich die verba legalia „geschlechtliche Handlung“ verwendet, die jedoch mit Blick auf die Feststellungen zum Tatplan des Angeklagten „sexuelle Handlungen“ an der Unmündigen vorzunehmen, ohne Sachverhaltsbezug bleiben (RIS-Justiz RS0119090).

Solcherart enthält das Urteil keine tragfähige Sachverhaltsgrundlage für die erfolgten Schuldsprüche, weshalb seine sofortige Aufhebung bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) samt Rückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht erforderlich war. Ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerden erübrigt sich daher.

Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde auf die Kassation zu verweisen.

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