OGH 4Ob242/18v

OGH4Ob242/18v29.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Rechtsanwaltskammer, *****, vertreten durch Dr. Walter Müller, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. A***** M*****, vertreten durch Nowotny & Wohlmacher Rechtsanwälte OG in Linz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 32.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 13. November 2018, GZ 6 R 148/18d‑11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00242.18V.0129.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin, eine Körperschaft öffentlichen Rechts, ist die Standesvertretung aller im fraglichen Bundesland eingetragenen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter. Der Beklagte ist Rechtsanwalt, der insbesondere als Strafverteidiger auftritt. In einem zum Thema „Verfahrenshilfe“ im Juni 2018 in einer österreichischen Tageszeitung veröffentlichten Artikel wurde er mit folgender Aussage zitiert: „Da soll dann plötzlich ein Spezialist für Wirtschaftsrecht als Strafverteidiger agieren. Das wäre in etwa so, als müsste ein Zahnarzt eine Augenoperation vornehmen.“

Zur Sicherung des vor allem auf § 2 Abs 2 iVm § 2a UWG gestützten inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens beantragte die Klägerin, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung die geschäftliche Aussage zu verbieten, nicht auf Strafverteidigung spezialisierte Rechtsanwälte könnten Mandanten in einem Strafverfahren nicht ordentlich vertreten, insbesondere durch die Aussage, die Vertretung durch einen Spezialisten für Wirtschaftsrecht als Strafverteidiger wäre vergleichbar mit einer Augenoperation durch einen Zahnarzt.

Die Vorinstanzen gaben dem Sicherungsbegehren statt. Der Beklagte erwecke mit seiner Aussage den unrichtigen Eindruck, dass nicht auf Strafrecht spezialisierte Rechtsanwälte eine Strafverteidigung nicht ordentlich erledigen könnten. Unwahre Tatsachenbehauptungen und Werturteile, die auf unwahren Tatsachengrundlagen beruhten, seien durch die Meinungsfreiheit nicht geschützt.

Im außerordentlichen Revisionsrekurs führt der Beklagte aus, er habe im beanstandeten Zeitungsartikel nur die Aussage getroffen, auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Rechtsanwälte könnten nicht auch in Strafverfahren tätig werden, in denen Spezialkenntnisse erforderlich seien. Zu den Grenzen der öffentlichen Kritik am System der Verfahrenshilfe liege keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Er habe sich an einer Debatte von öffentlichem Interesse beteiligt; eine Pauschalabwertung anderer Rechtsanwälte als Strafverteidiger liege nicht vor. Der Durchschnittsverbraucher lasse sich bei der Auswahl eines Rechtsanwalts durch seine Aussagen auch nicht beeinflussen. Schließlich werde ihm im Unterlassungsbegehren eine Aussage unterstellt, die er nicht geäußert habe.

Rechtliche Beurteilung

Damit zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1  Welchen Eindruck eine Aussage dem Leser vermittelt, ist danach zu prüfen, wie sie ein durchschnittlich informierter und verständiger Adressat bei Aufwendung einer dem Anlass angemessenen Aufmerksamkeit verstehen musste (RIS‑Justiz RS0114366). Das danach ermittelte Verständnis einer Behauptung sowie die Beurteilung, ob sie zur Irreführung geeignet ist, hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0107771; RS0043000).

1.2 Mit der Beurteilung, dass der Beklagte mit der beanstandeten Aussage gegenüber dem Leserpublikum den Eindruck vermittelt habe, nicht auf Strafrecht spezialisierte Rechtsanwälte könnten einen Mandanten in einem Strafverfahren nicht sachgerecht vertreten, und dass diese Aussage im Kern auf eine irreführende Behauptung zurückzuführen sei, zumal in Österreich kein System der Fachanwälte etabliert sei, haben die Vorinstanzen den ihnen eingeräumten Entscheidungsspielraum nicht überschritten.

2.1  Ob der Beklagte im geschäftlichen Verkehr gehandelt hat (vgl dazu RIS‑Justiz RS0126548; RS0123244 [T1]), ist ebenfalls eine Frage des Einzelfalls (4 Ob 74/15h).

2.2  Richtig ist, dass sich der Beklagte an einer öffentlichen Debatte beteiligt hat. Auch in einem solchen Fall kann bei irreführenden Behauptungen über die Leistungen der Mitbewerber (wie hier) oder bei pauschalierenden Abwertungen aber nicht angenommen werden, dass andere Ziele als die (objektive) Förderung des Wettbewerbs einer besonderen Berufsgruppe (hier jene der Strafverteidiger) und damit des eigenen Wettbewerbs des Beklagten eindeutig überwiegen (vgl RIS‑Justiz RS0077899; 4 Ob 127/08t; 4 Ob 94/14y). Die vom Beklagten angesprochenen Grenzen zulässiger öffentlicher Kritik am System der Verfahrenshilfe lassen sich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und nicht generell abstrakt beurteilen.

2.3  Bei der im Hinblick auf Art 10 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung haben die Vorinstanzen dem Umstand, dass sich der Beklagte an einer öffentlichen Debatte beteiligt hat, ohnedies ein besonderes Gewicht beigemessen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0122468). Irreführende Behauptungen oder pauschalierende Abwertungen sind durch die Freiheit der Meinungsäußerung aber nicht geschützt, weshalb selbst ein Eingriff in dieses Grundrecht gerechtfertigt wäre (vgl RIS‑Justiz RS0107915; RS0075732; 4 Ob 127/08t). Aus der vom Beklagten angeführten Entscheidung des VfGH zu B 841/07 ergibt sich keine andere Beurteilung.

3.  Auch die Frage, ob durch eine geschäftliche Aussage die Spürbarkeitsschwelle überschritten wurde, kann nur im Einzelfall beantwortet werden.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, die beanstandete Aussage des Beklagten sei zur spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs geeignet, weil sie potenzielle Klienten zur Beauftragung eines auf Strafrecht spezialisierten Rechtsanwalts oder sogar des Beklagten, der im beanstandeten Artikel als „Staranwalt“ bezeichnet wird, veranlassen könnte, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung.

4.  Schließlich zeigt der Beklagte auch mit der Behauptung, im Unterlassungsgebot werde ihm eine Aussage unterstellt, die er nicht geäußert habe, keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Beurteilung der Vorinstanzen, das Begehren orientiere sich an dem durch die beanstandete Aussage vermittelten Gesamteindruck, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung.

5.  Mangels erheblicher Rechtsfrage war der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten zurückzuweisen.

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