OGH 12Os145/18t

OGH12Os145/18t24.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Lutz A***** wegen Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 25. Juni 2018, GZ 630 Hv 6/17x‑50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00145.18T.0124.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Lutz A***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 60/1974 (I./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 60/1974 (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I.eine unmündige Person, und zwar seine am 28. Juli 1986 geborene Nichte Sonja P*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er diese

A./ zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1990 in S***** aufforderte, Handonanie an ihm vorzunehmen und währenddessen ihre Scheide betastete, wobei er ihr teilweise einen Finger in die Scheide einführte;

B./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1993 in Z***** während des Duschens im Genitalbereich einseifte und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte;

C./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 1993 bis Sommer 1998 in W*****, Deutschland, wiederholt während des Duschens im Genitalbereich einseifte und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, sie in mehrfachen Angriffen dazu veranlasste, sich bäuchlings auf ihn zu legen, seinen Penis in den Mund zu nehmen und Oralverkehr an ihm vorzunehmen, während er über ihre nackte Scheide leckte, teilweise seine Zunge und schließlich auch einen Finger in ihre Scheide einführte, sie zudem dazu veranlasste, sich vor ihn zu knien und Oralverkehr an ihm vorzunehmen;

II.durch die zu I./ näher bezeichneten Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person diese zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit a, Z 9 lit b und Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Die Mängelrüge vermisst zum Schuldspruch II./ eine Begründung der Feststellungen zur Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses (Z 5 vierter Fall), übergeht aber die auf die Angaben der Zeugin Sonja P***** gestützten Erwägungen der Tatrichter (US 13 f).

Die Kritik, das Erstgericht habe eine Erörterung von Divergenzen in der Schilderung des Opfers gegenüber der Polizei und vor Gericht zur genauen Anzahl der sexuellen Übergriffe unterlassen (Z 5 zweiter Fall), verkennt, dass diese Angaben angesichts der konstatierten gleichartigen Verbrechensmenge (vgl RIS‑Justiz RS0116736) keine entscheidende Tatsache betreffen. Ausschließlich eine solche wäre aber tauglicher Bezugspunkt des Einwands der Unvollständigkeit bei der Beurteilung der Überzeugungskraft der Aussage der Sonja P***** (RIS‑Justiz RS0119422 [T4 und T6]), sodass die Beschwerde bloß unzulässig die Beweiswürdigung bekämpft (Hager/Meller/Hetlinger Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung4, 58).

Ebenso wenig erörterungsbedürftig waren die vom Rechtsmittelwerber als übergangen gerügten (Z 5 zweiter Fall) Widersprüche zwischen den Angaben der von den Tatrichtern als glaubwürdig erachteten Mutter des Opfers Sabine P***** (US 17, 19) und der als unglaubwürdig verworfenen Zeugenaussage der Gattin des Angeklagten Corinna A***** sowie jene seiner Nichte Lisa Pe*****, die nach Ansicht des Erstgerichts nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen konnte (US 23 f). Denn die in der Rechtsmittelschrift isoliert hervorgehobenen Aussagedetails aus Gesprächen über sexuelle Präferenzen des Beschwerdeführers und einen nicht zur Anzeige gebrachten Verdacht des sexuellen Missbrauchs der Lisa Pe***** sprechen keine entscheidenden Tatsachen an.

Die Depositionen der Zeugin Elke W***** haben die Tatrichter als wenig glaubhaft und offensichtlich der Sympathie für ihren Bruder geschuldet beurteilt (US 23). Der Mängelrüge zuwider war das Erstgericht zu einer Erörterung von Einzelheiten ihrer Angaben zum Kontakt zwischen dem Angeklagten und der übrigen Familie nicht verpflichtet. Ihre Schilderung, wonach der Angeklagte in einzelnen Jahren „keinen Kontakt … zur ganzen Familie“ gehabt und sich „aus der Familie komplett zurückgezogen“ habe (ON 49 S 12), betrifft keine entscheidende Tatsache. Im Übrigen wurde vom Angeklagten selbst gar nicht behauptet, in den von der Zeugin angesprochenen Jahren überhaupt keinen Kontakt zur Familie gehabt zu haben (ON 37 S 6 ff).

Zum Schuldspruch II./ kritisiert die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Verwendung der verba legalia zur Feststellung der Ausnützung der Stellung gegenüber dem Opfer und leitet daraus das Fehlen von Konstatierungen zu diesem Tatbildmerkmal ab. Dieser Einwand verkennt jedoch, dass der Gebrauch der verba legalia die Wirksamkeit einer Tatsachenfeststellung grundsätzlich nicht beeinträchtigt, es sei denn, dass in Wahrheit kein Sachverhaltsbezug hergestellt und damit gar keine Feststellungen getroffen wurden (RIS‑Justiz RS0119090 [insb T3]). Inwiefern die jeweils ein ausdrückliches Auffordern des im Tatzeitraum vier- bis zwölfjährigen Opfers durch den Angeklagten anführenden Entscheidungsgründe (US 4 ff iVm US 7) in diesem Zusammenhang eines hinreichenden Sachverhaltsbezugs entbehrten, legt der Beschwerdeführer nicht begründet dar. Im Übrigen kann das zur Tatbestandsverwirklichung essentielle Ausnützen einer Autoritätsstellung im Einzelfall und mit Bedacht auf die konkrete Tatsituation auch in einer bloßen Aufforderung zur Unzucht gelegen sein (RIS‑Justiz RS0095185 [T2]).

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) isoliert zu den Schuldsprüchen I./A./ und I./B./ sowie in Ansehung von I./C./ „hinsichtlich des Jahres 1993“ (und insoweit auch zum Schuldspruch II./) Verjährung reklamiert, vernachlässigt der Beschwerdeführer § 58 Abs 2 StGB, wonach bei neuerlicher Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, während der Verjährungsfrist die Verjährung nicht eintritt, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist, und verfehlt somit eine prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit (vgl RIS‑Justiz RS0116565). Zum Schuldspruch I./C./ ist nämlich festzuhalten, dass aus dem Urteil unmissverständlich der Wille der Tatrichter zu Feststellungen dahingehend zu erkennen ist (RIS‑Justiz RS0117228; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19), wonach die inkriminierten Übergriffe im Zeitraum zwischen 1993 und 1998 in mehreren verschiedenen Jahren stattfanden (US 5 bis 7, 9 f, 13).

Indem die Sanktionsrüge (Z 11) unter Zugrundelegung des Tatortrechts die Annahme eines falschen Strafrahmens ausschließlich unter der urteilsfremden Prämisse des (verjährungsbedingten) Wegfalls der Schuldsprüche I./A./ und I./B./ argumentiert, ist sie einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers § 65 Abs 2 StGB das Gericht nur insoweit beschränkt, als es gegebenenfalls einen höheren Strafrahmen des inländischen Rechts höchstens bis zur Obergrenze der ausländischen Strafdrohung nützen und eine höhere Untergrenze auch ohne die sonst hiefür erforderlichen Voraussetzungen bis zu der für das abgeurteilte Delikt nach dem Tatortrecht aktuellen unterschreiten darf (RIS‑Justiz RS0092407).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO, ebenso wie die – bloß angemeldete – im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung resultiert (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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