OGH 1Ob238/18h

OGH1Ob238/18h23.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. L* M*, geboren * 2003, und 2. A* M*, geboren * 2006, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter G* S*, vertreten durch Dr. Ferdinand Graf, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Oktober 2018, GZ 44 R 32/18h, 44 R 112/18y, 44 R 351/18w, 44 R 352/18t‑534, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. November 2017, GZ 6 Ps 157/14p‑362, vom 26. Jänner 2018, GZ 6 Ps 157/14p‑439, vom 4. Juni 2018, GZ 6 Ps 157/14p‑511, und vom 12. Juni 2018, GZ 6 Ps 157/14p‑516, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124105

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof ist auch in Außerstreitsachen nicht Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0108449 [T2]), weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RIS‑Justiz RS0007236 [T1 bis T4, T6, T7]). Die Frage, auf welcher Beweisgrundlage Feststellungen getroffen wurden, betrifft den vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenbereich. Daher ist insoweit auch keine erhebliche Rechtsfrage zu beantworten.

Soweit die Mutter darüber hinaus nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht, ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS‑Justiz RS0043312 [T12, T14]; RS0043603 [T2, T8]).

2. Das Rekursgericht bestätigte insbesondere die vom Erstgericht gemäß § 181 Abs 1 ABGB wegen Gefährdung des Wohls beider Kinder verfügte Entziehung der (Mit‑)Obsorge der Mutter und Übertragung auf den Vater allein. Ob die Voraussetzungen für eine solche Obsorgeübertragung erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0007101 [T1, T8, T21]; RS0115719 [T7]). Die Vorinstanzen haben gründlich und sorgfältig begründet, warum die Obsorgeübertragung dem Wohl der Kinder entspricht. Ihre Beurteilung ist auch deshalb unbedenklich, weil die gemeinsame Obsorge angesichts der massiven Konflikte zwischen den Eltern nicht aufrechterhalten werden kann.

Ganz allgemein gelten für Maßnahmen des Gerichts nach § 181 ABGB die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit im Sinn des gelindesten Mittels (§ 182 ABGB; 1 Ob 99/17s mwN = RIS‑Justiz RS0047903 [T11]). Der Mutter fehlt weitgehend die Empathiefähigkeit und Reflexionsbereitschaft. Ihr ist es nur eingeschränkt möglich, in Konfliktsituationen zu erkennen, was die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes sind und welchen Anteil sie an der Situation hat. Sie weist keine Bindungstoleranz auf. Ihre Abwehrhaltung gegenüber dem Vater hat bereits pathologische Züge angenommen. Entgegen der Ansicht der Mutter kann ihre ausgeprägte eingeschränkte „spezielle“ Erziehungsfähigkeit nicht durch Unterstützungen und Hilfestellungen kompensiert werden, weil ihr nach den Feststellungen jegliche Einsicht und die Veränderungsbereitschaft fehlt, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass Maßnahmen (wie etwa Elternberatung) eine positive Veränderung bringen könnten, gering ist. Die Mutter ist in ihrer Ablehnung des Vaters, die bei den Kindern bereits zu massiven Loyalitätskonflikten führten, massiv verhaftet und es ist ihr nicht möglich, ihr diesbezügliches Verhalten zu reflektieren. Wenn daher das Rekursgericht festhielt, dass ein Verbleib der beiden Minderjährigen bei ihr deren Wohl gefährden würde, ist diese Beurteilung nach den festgestellten Umständen nicht zu beanstanden.

Dass nach der Rechtsprechung als wichtiger Grund schon im Hinblick auf § 138 Z 5 ABGB auch der ernstliche Wille eines mündigen Kindes relevant ist, weil einem solchen Minderjährigen die Obsorge durch einen Elternteil grundsätzlich nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden soll (RIS‑Justiz RS0048818; RS0048820; RS0115962), bestreitet die Rechtsmittelwerberin in Bezug auf ihre 15‑jährige Tochter nicht. Der nunmehr 12‑jährige Sohn gab wiederholt an, beim Vater leben zu wollen. Dass er deshalb beim Vater bleiben will, weil dieser ihn unter Druck setzt oder bedroht, steht gerade nicht fest. Die positiven Beziehungen zum Vater basieren vielmehr auf dessen liebevollen und wertschätzenden Umgang und darauf, dass dieser ihm ein förderliches und überwiegend entspanntes Umfeld bietet. Als wichtiges Kriterium des Kindeswohls erwähnt § 138 Z 5 ABGB die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit der Meinungsbildung. Der Wille des Kindes bildet somit ein relevantes Kriterium (RIS‑Justiz RS0048820), wobei die Rechtsprechung im Regelfall ab dem 12. Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes bezüglich einer Obsorgezuteilung ausgeht (RIS‑Justiz RS0048820 [T9]).

Die Wohnverhältnisse beim Vater sind zwar beengt, weil es nur ein Kinderzimmer gibt, jedoch sind sie für die Betreuung „passend“. Wenn die Mutter dagegen auf ihre Wohnung verweist, in der jedes Kind ein eigenes Kinderzimmer nutzen könnte, übergeht sie den Umstand, dass die Kindeswohlgefährdung in ihrem persönlichen Verhalten liegt.

3. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil das Kontaktrecht (§ 186 ABGB) eingeräumt werden soll oder dieses einzuschränken oder zu untersagen ist (§ 187 Abs 2 ABGB), hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei regelmäßig erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen sind (RIS‑Justiz RS0087024 [T6]; RS0097114 [T6, T8, T10]).

Dass dem Rekursgericht in diesem Zusammenhang eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, vermag die Mutter in keiner Weise aufzuzeigen. Ihre 15‑jährige Tochter lehnt jeglichen Kontakt zu ihr ab, sodass die Vorinstanzen – ohne Fehlbeurteilung – unter Berücksichtigung der klaren Wünsche des Kindes (§ 108 AußStrG) kein Kontaktrecht festsetzten.

Ihr Sohn hegt zwar noch positive Gefühle gegenüber seiner Mutter. Aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihres Verhaltens ist es aber notwendig, dass die Besuchskontakte von einer Fachperson begleitet werden. Die Mutter lehnt begleitete Kontakte strikt ab. Zu diesen besteht aber keine Alternative, um für den Sohn ein spannungsfreies Umfeld zu gewährleisten, in dem er sich seiner Mutter wieder annähern kann. Dass die Vorinstanzen im Hinblick auf dieses Verhalten der Mutter das Kontaktrecht zu ihrem Sohn aussetzten, ist nicht zu beanstanden.

4. Die zwangsweise Durchsetzung des Rechts auf persönliche Kontakte hat insbesondere nur dann zu erfolgen, wenn eine gerichtliche Entscheidung vorliegt (§ 110 Abs 1 Z 1 AußStrG). Das Gericht kann von der Fortsetzung der Durchsetzung auch von Amts wegen absehen, wenn und solange sie das Wohl des Minderjährigen gefährdet (§ 110 Abs 3 AußStrG). In der Regel kommt der Frage, ob es zur Durchsetzung einer Kontaktrechtsregelung notwendig ist, eine Zwangsmaßnahme zu verhängen, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0008614 [T4]; vgl auch RS0007310 [T13]).

Die Mutter strebt die zwangsweise Durchsetzung des ihr zunächst gemäß § 107 Abs 2 AußStrG vorläufig eingeräumten Kontaktrechts zu ihrem Sohn an. Die Vorinstanzen wiesen die zahlreichen Anträge der Mutter mit der nicht korrekturbedürftigen Begründung ab, dass die Durchsetzung des vorläufigen Kontaktrechts dem Kindeswohl zuwiderlaufe, weil nur begleitete Kontakte dem Wohl des Sohnes dienten. Wenn (unbegleitete) Kontakte stattgefunden hätten, hätte die Mutter starken Druck auf ihn ausgeübt, sehe sie es doch als ihre Aufgabe, ihn „über das wahre Wesen“ des Vaters aufzuklären. Diesen Darlegungen hält die Revisionsrekurswerberin nichts Substantiiertes entgegen.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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