European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0280DS00008.18T.0117.000
Spruch:
Der Einspruch des Disziplinarbeschuldigten wird zurückgewiesen.
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird teilweise Folge gegeben und der Strafausspruch dahin ergänzt, dass die mit Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 20. September 2017, AZ D 15/17, über den Disziplinarbeschuldigten ausgesprochene vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft vom 20. September 2017 bis 19. März 2018 auf die verhängte Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft angerechnet wird.
Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen Freispruch enthaltenden Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 5. März 2018, AZ D 15, 16, 17/17, wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
Danach hat er
1./ als zu AZ 1 P 46/07d des Bezirksgerichts ***** bestellter Sachwalter die ihm vom Gericht bis 28. Februar 2017 aufgetragene Berichterstattung samt Rechnungslegung im Zeitraum zwischen 28. Februar 2017 und 7. Juni 2017 trotz Aufforderung und zwei Erinnerungen nicht erstattet;
2./ es im Zeitraum vom 15. Mai 2016 bis 3. April 2017 trotz Vorliegens sämtlicher Voraussetzungen unterlassen, den ihm von Christian L*****, MBA, erteilten Auftrag folgend, in Ansehung des Kaufvertrags vom 29. März und 30. März 2016 betreffend den Kauf von Liegenschaftsanteilen an der EZ *****, GB *****, die Selbstberechnung der Grunderwerbssteuer vorzunehmen und das Grundbuchsgesuch bei Gericht zu überreichen;
3./a./ im Zeitraum vom 9. Jänner 2017 bis 27. Juli 2017 seine Residenzpflicht dadurch verletzt, dass er bzw seine Rechtsanwaltskanzlei während üblicher Kanzleiöffnungszeiten für seine Klienten, für Behörden sowie für Rechtsanwaltskollegen teilweise nicht erreichbar war und ihn bzw seiner Rechtsanwaltskanzlei während dieses Zeitraums teilweise Rückscheinpost nicht zugestellt werden konnte;
b./ im Zeitraum vom 29. November 2016 bis 27. Juli 2017 die Berichtspflicht zur Treuhandschaft TRH ***** verletzt;
somit zu Punkt 1./ durch Verletzung der Bestimmungen der §§ 9 Abs 1 und 11 Abs 1 RAO die Diszplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes,
zu Punkt 2./ durch Verletzung der Bestimmungen der §§ 9 Abs 1 und 11 Abs 2 RAO das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung;
zu Punkt 3./a./ durch Verletzung der Bestimmungen der §§ 21 RAO, 42a Abs 1 RL‑BA sowie § 13 Abs 4 ZustG das Vergehen der Berufspflichtenverletzung;
zu Punkt 3./b./ durch Verletzung der Berichtspflicht zur Treuhandschaft TRH ***** das Vergehen der Berufspflichtenverletzung begangen.
Über ***** wurde nach § 16 Abs 1 Z 3 DSt die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für sechs Monate als Zusatzstrafe unter Berücksichtigung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, AZ 28 Ds 4/17b, vom 15. Februar 2018, verhängt. Zugleich wurde er zur Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung in seiner Abwesenheit richtet sich der Einspruch des Disziplinarbeschuldigten, während er das Erkenntnis selbst mit Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe bekämpft.
Mit Einspruch bringt der Disziplinarbeschuldigte vor, dass er sich rechtzeitig für die am 5. März 2018 anberaumte Disziplinarverhandlung entschuldigt habe, weil er bereits eine Ladung zu einer vom Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 26 Cg 93/17g zu einer am selben Tag angesetzten vorbereitenden Tagsatzung wahrnehmen musste. Dieser Vertagungsbitte kam der Disziplinarrat mit einem dem Disziplinarbeschuldigten am 1. März 2018 zugestellten Schreiben nicht nach. Bei Aufruf der Sache am 5. März 2018 war ***** nicht erschienen, worauf die Verhandlung in dessen Abwesenheit durchgeführt wurde.
Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur begründet eine Terminkollision mit einer anderen Verhandlung, an welcher der Disziplinarbeschuldigte als Parteienvertreter teilzunehmen hat, schon mit Blick auf § 6 RL‑BA 2015 einen iSd § 35 DSt ausreichenden Entschuldigungsgrund (vgl 7 Bkd 5/04), gehört es doch zu den vornehmsten Berufspflichten eines Rechtsanwalts, die Interessen seines Klienten zu wahren und seine eigenen Interessen sowie Rücksichten auf Kollegen – damit auch die Teilnahme an einer ihn betreffenden Disziplinarverhandlung – in den Hintergrund zu stellen.
Doch übergeht der Einspruchswerber, dass die Tagsatzung des Landesgerichts Wiener Neustadt zu einem Zeitpunkt stattfand, in welchem dem Disziplinarbeschuldigten kraft der über ihn verhängten einstweiligen Maßnahme nach § 19 Abs 3 Z 1 lit c DSt die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig untersagt war.
Da solcherart sämtliche Voraussetzungen des § 35 Abs 1 erster Satz DSt vorlagen, war der Disziplinarrat zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit von ***** berechtigt. Der Einspruch war daher gemäß § 477 Abs 3 StPO iVm § 35 letzter Satz DSt zurückzuweisen.
Mit dem Berufungsvorbringen, das angefochtene Erkenntnis sei dem Disziplinarbeschuldigten nicht zu eigenen Handen zugestellt worden (vgl aber den Rückschein in ON 17 des Disziplinaraktes), wird kein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) bezeichnet, zumal ein allfälliger Verstoß gegen § 44 Abs 1 DSt infolge des tatsächlichen Zukommens des Erkenntnisses an den Berufungswerber gemäß § 7 ZustG geheilt wurde (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, § 44 DSt Rz 4).
Auch dem weiteren Vorbringen im Sinne einer Schuldberufung war ein Erfolg zu versagen, hat sich doch der Disziplinarrat im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Taten auseinandergesetzt und seine Feststellungen hinreichend begründet, wobei er auf die zahlreichen verlesenen Urkunden, die Angaben des neuen Sachwalters Mag. P***** sowie des Vorstehers des Bezirksgerichts ***** und – hinsichtlich der Verletzung der Residenzpflicht – auf die Wahrnehmungen mehrerer Rechtsanwälte stützen konnte. Gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage bestehen daher keine Bedenken.
Der Einwand des Berufungswerbers zu Schuldspruch 1./, die Rechnungslegung sei wegen eines fehlenden Depotauszugs der ***** unterblieben, macht nicht plausibel, wodurch er daran gehindert war, eine Rechnungslegung unter Hinweis auf den ausständigen Depotauszug durchzuführen. Im Übrigen erklärt der Rechtsmittelwerber nicht, weshalb er diesen Einwand nicht schon vor dem Disziplinarrat erhoben hat.
Zu den Schuldsprüchen 2./, 3./a./ und 4./ verweist der Berufungswerber auf fachlich ungenügendes Kanzleipersonal. Mit diesem Vorbringen vermag er sich nicht zu exkulpieren, weil auch ein Organisationsverschulden disziplinär haftbar macht (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 7; 28 Ds 4/17b).
Das Vorbringen des Berufungswerbers zum Schuldspruch 3./a./, er sei seiner Residenzpflicht ab 2. Mai 2017 wieder nachgekommen, steht im Widerspruch zu seiner fehlenden Erreichbarkeit für das Bezirksgericht ***** in den Monaten Mai und Juni 2017.
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher keine Folge zu geben.
Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist voranzuschicken, dass der Disziplinarrat zu Unrecht nach § 16 Abs 5 letzter Satz DSt iVm § 31 StGB auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 15. Mai 2017, AZ D 28/16 (28 Ds 4/17b) Bedacht genommen hatte, kann doch eine Tat nur dann Gegenstand einer Bedachtnahme werden, wenn eine gemeinsame Verfahrensführung mit der im früheren Verfahren abgeurteilten Tat möglich gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0113612; 22 Os 9/15m). Im vorliegenden Fall lag allerdings der bis 27. Juli 2017 reichende Deliktszeitraum bei den nunmehrigen Schuldsprüchen 3./a./ und b./ bereits nach der Fällung des Erkenntnisses erster Instanz.
Bei der Strafbemessung ging der Disziplinarrat davon aus, dass als erschwerend die mehrfachen strafbaren Handlungen, die über längere Zeit fortgesetzt wurden als erschwerend zu werten waren. Mildernde Umstände wurden keine festgestellt. Angesichts dieser Strafzumessungsumstände besteht unter Berücksichtigung spezial‑ und generalpräventiver Gründe sowie des Umstands, dass die nunmehr inkriminierten Taten während des zu AZ D 28/16 der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich geführten und mit einem rechtskräftigen, ein einschlägiges Fehlverhalten umfassenden Schuldspruch endenden (28 Ds 4/17b) Verfahren gesetzt wurden, kein Anlass für eine Änderung der vom Disziplinarrat verhängten Strafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten.
Dem Berufungswerber ist allerdings beizupflichten, dass gemäß § 19 Abs 7 DSt die über ***** vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich mit Beschluss vom 20. September 2017, AZ D 15/17, gemäß § 19 Abs 1a DSt verhängte einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft auf die Disziplinarstrafe anzurechnen ist. In diesem Umfang war daher der Strafausspruch zu ergänzen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 36 Abs 2 DSt.
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