OGH 7Ob224/18v

OGH7Ob224/18v16.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Mag. K* L*, vertreten durch die Dr. Helene Klaar und Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Mag. K* Y*, vertreten durch Mag. Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiliger Verfügung nach §§ 382b, 382e EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Oktober 2018, GZ 43 R 416/18x‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 6. September 2018, GZ 4 C 11/18b‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123798

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:

„Die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Liesing vom 7. Juni 2018, GZ 4 C 11/18b‑9, gilt bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien zu AZ * des Bezirksgerichts Liesing anhängigen Scheidungsverfahrens.“

Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 805,22 EUR (darin 133,40 EUR USt und 4,80 EUR Fahrtkosten) bestimmten Kosten des Verfahrens über die Verlängerung der einstweiligen Verfügung aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Auf Antrag der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragstellerin) vom 23. Mai 2018 und nach Äußerung des Gegners der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) erließ das Erstgericht am 7. Juni 2018, GZ 4 C 11/18b‑9, eine einstweilige Verfügung, mit der es dem Antragsgegner die Rückkehr in die Ehewohnung und deren Umgebung verbot (Pkt 1.) und ihm auftrug, Zusammentreffen und Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin zu vermeiden (Pkt 2.). Das Erstgericht erließ diese Sicherungsmaßnahme auf die Dauer von drei Monaten (Pkt 3.) und wies das Mehrbegehren, sie auf die Dauer von sechs Monaten zu erlassen, ab (Pkt 5.).

Dem legte es den Sachverhalt als bescheinigt zugrunde, dass der Antragsgegner die Antragstellerin im Zuge eines Streits am 14./15. Mai 2018, bei dem er ihr eine ehewidrige Affäre unterstellt hatte, mit beiden Händen am Hals packte und würgte, sie ins Gesicht schlug und mit dem Umbringen bedrohte. Durch das Würgen erlitt sie Hämatome, durch den Schlag ins Gesicht hatte sie ein paar Tage Schmerzen an der Nase. Die – unangefochten gebliebene – Abweisung in Bezug auf eine drei Monate übersteigende Dauer begründete das Erstgericht damit, dass die drei Monate als „Abkühlungsphase“ dienen und den Parteien Gelegenheit geben sollten, „über den weiteren Verlauf ihrer Ehe nachzudenken“.

Am Tag nach Erlassung der einstweiligen Verfügung brachte der Antragsgegner zu AZ * des Erstgerichts eine – noch anhängige – Scheidungsklage nach § 49 EheG ein, worin er der Antragstellerin als schwere Eheverfehlungen befremdliches und distanziertes bzw liebloses Verhalten sowie Verleumdung vorwarf, indem sie ihn vor der Polizei zu Unrecht beschuldigt hätte, sie geschlagen, gewürgt und mit dem Umbringen bedroht zu haben. In Wahrheit habe umgekehrt sie ihn angegriffen und sei handgreiflich geworden. Sie habe zudem ein außereheliches Verhältnis zu einem anderen Mann.

Nach Erlassung der einstweiligen Verfügung hat der Antragsgegner – abgesehen von irrtümlichen WhatsApp‑Anrufen an die Antragstellerin und an deren Bruder – keinen Kontakt zur Antragstellerin aufgenommen, es gab zwischen den Streitteilen weder mündlich noch schriftlich unmittelbare Kommunikation. Nach Erlassung der einstweiligen Verfügung beauftragte der Antragsgegner einen Privatdetektiv mit der Überwachung der Antragstellerin, um Informationen über eine allfällige ehewidrige Beziehung zu erlangen.

Vor Ablauf der Verfügung beantragte die Antragstellerin deren Verlängerung bis zur rechtskräftigen Erledigung des genannten Scheidungsverfahrens.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es liege kein Verstoß des Antragsgegners gegen die Verfügung vor, welcher deren Verlängerung rechtfertigen würde. Die Umstände, die zur Erlassung der einstweiligen Verfügung nur auf eine begrenzte Dauer geführt hätten, seien unverändert. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin Angst habe und der Antragsgegner versuche, sich – ohne unmittelbare Kontaktaufnahme – Informationen über allfällige Eheverfehlungen der Antragstellerin zu beschaffen, könne nicht zu einer Verlängerung einer zeitlich beschränkt erlassenen einstweiligen Verfügung führen. Die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung sei nämlich noch keine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und teilte die Ansicht des Erstgerichts. Für eine Verlängerung seien nur Umstände relevant, die sich nach Erlassung der Verfügung ereignet hätten. Es könne nicht damit argumentiert werden, dass der ursprüngliche Vorfall so gravierend gewesen sei, dass die Verfügung von Anfang an für eine längere Zeit zu erlassen gewesen wäre. Die Abweisung des Begehrens auf Erlassung auf mehr als drei Monate Dauer sei unbekämpft geblieben. Der Sachverhalt nach Erlassung der Verfügung und auch der Auftrag an einen Privatdetektiv rechtfertigten eine Verlängerung nicht.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Sicherungsverfügung bis zum Abschluss des Scheidungsverfahrens verlängert werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Antragsgegner beantragt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

1. Die Frist, für welche eine einstweilige Verfügung bewilligt worden ist, kann auf Antrag verlängert werden, wenn der angestrebte Zweck innerhalb des betreffenden Zeitraumes nicht erreicht werden konnte (RIS‑Justiz RS0005534), weil die Gefährdungslage weiter besteht. Wird ein – wenn auch vom Antragsgegner angestrengtes (RIS‑Justiz RS0109194 [T3]) – Hauptverfahren erst nach Erlassung einer einstweiligen Verfügung gerichtsanhängig, so kann daher die beschränkte Geltungsdauer vor Fristablauf auf Antrag verlängert werden, wenn der Gefährdungstatbestand fortdauert (vgl RIS‑Justiz RS0109194 [T4] = RS0123193 [T1]). Durch die Einleitung des Hauptverfahrens fällt die Begrenzung der Geltungsdauer für ein Sicherungsverfahren ohne Hauptverfahren weg (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] §§ 382a–382e EO Rz 77 mwN).

2. Bei der Verlängerung der einstweiligen Verfügung ist nicht mehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung zur Zeit ihrer Erlassung vorlagen. Nur wenn sich ergäbe, dass die Voraussetzungen der Anspruchsbescheinigung und der Gefährdungsbescheinigung nicht mehr vorliegen, wäre der Antrag auf Verlängerung abzuweisen (RIS‑Justiz RS0005613).

3. Nach dem bescheinigten Sachverhalt haben sich die für die Erlassung der einstweiligen Verfügung wesentlichen Umstände nicht im dargelegten Sinne nachträglich geändert. Einerseits hat der Antragsgegner bereits am Tag nach Erlassung der Verfügung eine Scheidungsklage nach § 49 EheG mit dem Vorbringen angestrengt, der Grundlage der einstweiligen Verfügung bildende Vorfall (der Antragsgegner hat die Antragstellerin tätlich angegriffen, gewürgt und verletzt sowie mit dem Umbringen bedroht) sei von der Antragstellerin verleumderisch behauptet worden. Andererseits vertritt er im Scheidungsverfahren nicht nur weiterhin den – nach den Feststellungen Anlass seines Gewaltausbruchs bildenden – Standpunkt, die Antragstellerin habe ihn betrogen, sondern er gab nach Erlassung der Verfügung und nach Einbringung seiner Scheidungsklage eine Beschattung der Antragstellerin durch einen Detektiv in Auftrag.

Auch wenn sich der Antragsgegner bislang an die Verfügung gehalten haben mag, kann hier – vor dem Hintergrund seines massiven körperlichen Übergriffs – nicht der Schluss gezogen werden, dass sich die maßgeblichen Umstände zwischen den Eheleuten dahin geändert hätten, dass die Verfügung zur Verhinderung neuerlicher Gewalttätigkeiten nicht mehr notwendig wäre. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist es der Antragstellerin auch während eines Scheidungsverfahrens nicht zumutbar, sich mit ihrem gewalttätig gewordenen Ehemann „unmittelbar auseinanderzusetzen“. Der Zweck der einstweiligen Verfügung ist nicht die „Sanktionierung“ von Gewalttätigkeiten, sondern deren künftige Verhinderung.

4. Die einstweilige Verfügung war daher antragsgemäß bis zur rechtskräftigen Erledigung des Scheidungsverfahrens (aM zum Fristende: Beck aaO Rz 79) zu verlängern.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 2 EO iVm § 41 und – für das Rechtsmittelverfahren – § 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage für ein Sicherungsverfahren beträgt nach §§ 3, 13, 14 lit c RATG 730 EUR. Ein Antrag auf Verlängerung einer einstweiligen Verfügung ist weder in TP 1 noch in TP 3 RAT genannt und daher nur nach TP 2 zu honorieren.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte