OGH 7Ob166/18i

OGH7Ob166/18i19.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** K*****, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenientin R***** regGenmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernd Schmidinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 52.374,88 EUR sA, über die „außerordentliche“ Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. Juni 2018, GZ 4 R 64/18w‑21, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 5. März 2018, GZ 41 Cg 109/17y‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00166.18I.1219.000

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt Rückersatz der bis September 2017 für zwei bei der Beklagten abgeschlossene Lebensversicherungsverträge bezahlten Prämien von insgesamt 52.374,88 EUR sA, wobei er auf den ersten Prämien in Höhe von 24.677,76 EUR und auf den zweiten solche von 27.697,12 EUR leistete.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Dagegen richtet der Kläger seine „außerordentliche“ Revision.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht legte das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Diese Vorgangsweise entspricht jedoch nicht der Rechtslage:

1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RIS‑Justiz RS0053096).

Mehrere in einer Klage geltend gemachte Forderungen sind nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl RIS‑Justiz RS0042741). Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang liegt nur vor, wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RIS‑Justiz RS0037905). Er ist dann zu bejahen, wenn alle Klagsansprüche aus demselben Sachverhalt abzuleiten sind, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RIS‑Justiz RS0042766). Im rechtlichen Zusammenhang stehen Ansprüche insbesondere, wenn sie aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden. Ein rechtlicher, zumindest aber ein tatsächlicher Zusammenhang mehrerer Ansprüche wird in der Regel auch bei einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang dieser Ansprüche bestehen (RIS‑Justiz RS0037648).

2. Ein innerer tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht aber dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS‑Justiz RS0037899).

Wenn sich daher aus einem Versicherungsvertrag zwei Entschädigungsbegehren ableiten, können die geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich ein eigenes rechtliches Schicksal haben und kann die Leistungsverpflichtung des beklagten Versicherers verschieden sein (RIS‑Justiz RS0106626). Umso mehr muss dies gelten, wenn die erhobenen Ansprüche aus zwei verschiedenen Lebensversicherungsverträgen stammen. Dass diese ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben können, zeigt sich im vorliegenden Fall schon dadurch deutlich, dass die Ansprüche aus einem Vertrag zediert wurden und aus dem anderen nicht.

3. Hat das Berufungsgericht aber über mehrere Entscheidungsgegenstände entschieden, deren Werte nicht zusammenzurechnen sind, ist die Revisionszulässigkeit für jeden Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN). Die von der Revision umfassten Ansprüche übersteigen damit hier zwar jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR.

4. Hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig ist, kann eine Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO (nur) einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde.

Wird gegen eine solche Entscheidung eine ordentliche oder eine außerordentliche Revision erhoben, hat – auch wenn das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – das Erstgericht dieses Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen. Solange eine Abänderung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht nicht erfolgt, mangelt es dem Obersten Gerichtshof an der funktionellen Zuständigkeit (7 Ob 187/17a mwN). Er darf nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS‑Justiz RS0109623).

5. Der Akt ist daher dem Erstgericht zurückzustellen, welches das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen hat.

6. Ob die im Schriftsatz enthaltenen Ausführungen den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entsprechen, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RIS‑Justiz RS0109623 [insb T5, T8], RS0109501 [insb T12], RS0109620 [insb T2]).

Stichworte