European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00081.18F.1206.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten Emre A***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche in Ansehung des Mitangeklagten Ziarmal N***** enthaltenden Urteil wurde Emre A***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (I./1./) und der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (II./) sowie der Vergehen des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 [vierter Fall] StGB (I./2./), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I./3./) und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (I./4./) schuldig erkannt.
Danach haben in L*****
I./ Emre A***** und Ziarmal N***** als Beteiligte (§ 12 StGB) am 9. Juni 2017
1./ Cassandra L***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs „oder dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen“ genötigt, und zwar zur Duldung eines vaginalen Geschlechtsverkehrs, indem sie sie gegen 4:15 Uhr im Bereich D*****straße ansprachen und nach einer Zigarette fragten, sie sodann in die L*****straße drängten und sie unter Verwendung eines ihr an den Rücken gehaltenen, metallischen Gegenstands, vermutlich einer Waffe, dazu nötigten, mit ihnen in den Keller eines Hauses, nämlich einer Flüchtlingsunterkunft in der D*****straße *****, zu gehen, wo sie ihr die Hose hinunterzogen, ihre Arme am Rücken fixierten und Emre A***** einen Vaginalverkehr an ihr vollzog, während Ziarmal N***** sich an ihr rieb und schließlich auf ihre Bluse ejakulierte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Cassandra L*****, nämlich eine psychisch krankheitswertige Folgestörung in Form einer mittelgradigen Depression mit dissoziativen Störungskomponenten, zur Folge hatte;
2./ Cassandra L***** während oder unmittelbar im Anschluss an die zu Punkt I./1./ angeführte Tat, somit während einer ihr zugestoßenen Bedrängnis, fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, nämlich deren Geldbörse samt Bargeld in Höhe von zumindest 20 Euro, deren Mobiltelefon und ihre Zigaretten;
3./ im Zuge der zu Punkt I./2./ angeführten Tat Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, nämlich den Schülerausweis, den Freifahrtausweis, die E‑Card und den Surfführerschein der Cassandra L*****;
4./ im Zuge der zu Punkt I./2./ angeführten Tat ein unbares Zahlungsmittel, über das sie nicht verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt, dessen Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, nämlich die Bankomatkarte der Cassandra L*****;
II./ Emre A***** zu unbekannten Zeitpunkten zwischen Juli 2017 und Anfang August 2017 Ziarmal N***** in zwei Angriffen durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung zu nötigen versucht, nämlich dazu, im Zuge der zu erwartenden Gerichtsverhandlung über die zu Punkt I./1./ angeführten Taten eine für Emre A***** günstige Aussage zu tätigen, indem er zweimal äußerte: „Wenn du bei der Gerichtsverhandlung gegen mich aussagst, wird dir mein Bruder mit einer Pistole in den Kopf schießen.“, wobei er Ziarmal N***** in diesem Zeitraum auch einen Kassiber zukommen ließ, in dem er ihm genaue Anweisungen gab, was dieser vor Gericht aussagen solle.
Rechtliche Beurteilung
Gegen alle ihn betreffenden Schuldsprüche richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Emre A*****, der keine Berechtigung zukommt.
Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unrichtige Lösung der Schuldfrage qualifiziert nahelegen. Eine über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0118780).
Soweit die Beschwerde im Wege eigenständiger, zum Teil spekulativer Erwägungen unter Verweis auf Angaben des Tatopfers die körperliche Undurchführbarkeit der zu I./1./ festgestellten sexuellen Übergriffe ableitet und ein Eindringen mit dem Penis in die Scheide nicht durch den Nichtigkeitswerber, sondern durch den Mitangeklagten Ziarmal N*****, sowie weiters unter Verweis auf einzelne Angaben der beiden Angeklagten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr seitens des Angeklagten Emre A***** mit dem Tatopfer behauptet, unterlässt sie die erforderliche Bezugnahme auf die diesbezüglichen eingehenden Erwägungen der Tatrichter zu diesen Verfahrensergebnissen (US 8 f, 10 ff, 15 erster Absatz) und verfehlt solcherart die prozessförmige Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 487).
Der Umstand, dass aus den von den Tatrichtern angeführten Prämissen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, ist für sich allein nicht geeignet, jene erheblichen Bedenken darzutun, auf die der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO abstellt (RIS‑Justiz RS0099674). Im Übrigen betrifft die Frage, wer von den beiden einvernehmlich zusammenwirkenden (§ 12 StGB) Angeklagten im Rahmen des festgestellten Tatverlaufs konkret den Vaginalverkehr am Tatopfer vorgenommen hat, keine entscheidende Tatsache.
Auch die Kritik, wonach sich aus der Expertise des Sachverständigen Univ.‑Doz. Dr. Peter H***** zusammengefasst keine – insbesondere eine (an sich) schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) verwirklichende und im Sinne des § 201 Abs 2 erster Fall StGB qualifikationsbegründende – schwerwiegende akute Traumafolgestörung ergebe, vermag mit Blick auf den Umstand, dass der Schöffensenat die zum Tatzeitpunkt bereits beim Opfer bestehende Grundstörung ohnehin erwogen hat und infolge der vier Monate nach dem Vorfall immer noch nicht abgeklungenen (tatkausalen) mittelstarken Schmerzen zu einer mehr als 24 Tage andauernden Gesundheitsschädigung gelangte (US 15 f), keine erheblichen Bedenken im oben dargestellten Sinn aufzuzeigen.
Dass die durch das zu I./1./ festgestellte Tatverhalten „neu hinzugetretenen Symptome“ keine Zustände mit Krankheitswert im medizinischen Sinn darstellten ( Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 83 Rz 18; Burgstaller/Fabrizy in WK 2 StGB § 83 Rz 9 f) und erst durch Aufarbeitung bestehender Befunde eine exakte Abgrenzung zu Vorerkrankungen möglich sein sollte, erschöpft sich in einer bloßen Behauptung. Welche konkreten Erkenntnisse aus – im Übrigen nicht bezeichneten – „Vorbefunden“ zu erwarten gewesen wären, legt der Beschwerdeführer im Rahmen seiner als Aufklärungsrüge zu wertenden Ausführungen ebensowenig dar wie jene Umstände, durch die er an einer auf Beischaffung dieser begehrten Vorbefunde abzielenden sachgerechten Antragstellung gehindert gewesen wäre ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 480, 482).
Mit Kritik an der Glaubwürdigkeit der Angaben des Opfers betreffend die Tatfolgen gegenüber dem Sachverständigen (vgl US 15) wird bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft.
Auf das unter einem mit der Nichtigkeitsbeschwerde vorgelegte Privatgutachten kann Kritik aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht gestützt werden.
Das Unterbleiben der mit bloß schriftlich gestelltem, also unbeachtlichem ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 310) Beweisantrag (ON 129 iVm ON 129a S 3) begehrten Verlesung des Privatgutachtens Dris. Patrick F***** hat der Beschwerdeführer schon deshalb zu Recht nicht zum Anlass einer Verfahrensrüge (Z 4) genommen. Im Übrigen würde die Abweisung eines Antrags des Angeklagten auf Verlesung eines von ihm vorgelegten Privatgutachtens im Allgemeinen keine Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO bewirken (RIS‑Justiz RS0115646; Kirchbacher , WK‑StPO § 252 Rz 40 f; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 351/2).
Die den Schuldsprüchen I./2./, I./3./ und I./4./ zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen begegnen mit Blick auf die von den Tatrichtern als glaubwürdig beurteilten Angaben des Tatopfers Cassandra L***** (US 14 f) ebenso keinen erheblichen Bedenken wie die den Schuldspruch II./ tragenden Urteilsannahmen; letzteres unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des seitens des Rechtsmittelwerbers an den Mitangeklagten Ziarmal N***** gerichteten Schreibens (Beilage zu ON 46 iVm US 7), der Angaben des Mitangeklagten Ziarmal N***** sowie (seitens des Rechtsmittelwerbers isoliert dargestellt und den Zuruf einer Todesdrohung im Innenhof einer Justizanstalt, weil in Gegenwart dritter Personen und angeblich auch Angehöriger der Justizwache erfolgt, spekulativ bestreitend) der Zeugen Ahmad ***** Am***** und Jasin Na***** (vgl demgegenüber im Einzelnen US 16 f).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a StPO.
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