OGH 9ObA100/18y

OGH9ObA100/18y28.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Andreas Schlitzer in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. ***** A*****, 2. ***** B*****, 3. ***** B*****, 4. ***** Z*****, 5. ***** G*****, 6. ***** L*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_Innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte in Wien, wegen zuletzt 1.) 1.758,90 EUR brutto sA, 2.) 510,24 EUR brutto sA, 3.) 633,60 EUR brutto sA, 4.) 2.650,57 EUR brutto sA, 5.) 576,46 EUR brutto sA, 6.) 955,61 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der erst- bis viert- und der sechstklagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2018, GZ 9 Ra 64/18z-44, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00100.18Y.1128.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der erst- bis viert- und der sechstklagenden Parteien wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Kläger waren jeweils in den Jahren 2013 bzw 2014 bis 2015 bei der Beklagten als „Stewards on Train“ (Verkauf von Speisen und Getränken im Zug) beschäftigt. Auf ihre Dienstverhältnisse war der Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe idF 1. 7. 2012 (idF: KV alt) anzuwenden, dessen Punkt 2.g. lautete: „Nach Beendigung der Tagesarbeitszeit ist den Arbeitnehmern eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zu gewähren. Diese kann auf 10 Stunden verkürzt werden, sofern diese Verkürzung innerhalb eines Zeitraums von 10 Kalendertagen durch eine entsprechende Verlängerung einer anderen täglichen oder wöchentlichen Ruhezeit ausgeglichen wird. Ist die Verkürzung der Arbeitszeit im obigen Sinne nicht möglich, ist ein 100%iger Lohnzuschlag zu berücksichtigen.“

Aufgrund der von der Beklagten erstellten Diensteinteilung kam es regelmäßig dazu, dass zwischen einem Dienstende und dem darauffolgenden nächsten Dienstbeginn weniger als elf, oftmals auch weniger als zehn Stunden lagen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass irgendeine dieser Unterschreitungen unter elf Stunden nicht durch eine entsprechende Überschreitung über elf bzw 36 Stunden innerhalb von zehn Kalendertagen ausgeglichen wurde. Es steht somit nicht fest, dass Ruhezeitverkürzungen vorliegen, die nicht in den darauffolgenden zehn Kalendertagen in natura ausgeglichen wurden.

Die Vorinstanzen wiesen im zweiten Rechtsgang das Begehren der Kläger auf Lohnzuschlag nach Punkt 2.g. Satz 3 KV alt ab. In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigen die Erst‑ bis Viert‑ und Sechstkläger zur Auslegung dieser klaren und eindeutigen– nicht mehr in Geltung stehenden – Bestimmung keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS‑Justiz RS0109942 [T1, T6]):

Rechtliche Beurteilung

1. Richtig ist, dass ihr Rechtsmittel nicht schon deswegen beschränkt ist, weil sie den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang trotz Zulassung des Rekurses unbekämpft ließen (vgl RIS-Justiz RS00428991). Damit ist für sie jedoch nichts gewonnen:

Der Bestimmung von Punkt 2.g. KV alt ist zu entnehmen, dass die Kollektivvertragsparteien bei einer Ruhezeitverkürzung auf weniger als elf Stunden und unmöglichem Ruhezeitausgleich einen Lohnzuschlag vorsehen wollten. Dass sie dabei nur den Fall der zulässigen Ruhezeitverkürzung auf zehn Stunden, nicht aber den Fall einer faktisch weitergehenden unzulässigen Verkürzung regelten, kann einer Zuschlagspflicht im letzteren Fall nicht entgegenstehen: Es hätte offenkundig dem Zweck der Gewährung des Lohnzuschlags widersprochen, wenn nur solche Arbeitsstunden zuschlagspflichtig wären, die bei einer zulässigen Ruhezeitverkürzung geleistet werden, nicht aber die in der Regel beschwerlicheren Arbeitsstunden, die auf einer weitergehenden Ruhezeitverkürzung beruhen.

2. Auch wenn unzulässige Ruhezeitverkürzungen damit geeignet waren, einen Lohnzuschlag zu begründen, ändert dies aber nichts daran, dass der Zuschlag iSd Punktes 2.g. KV alt nach seinem klaren Wortlaut das Unterbleiben eines rechtzeitigen Ausgleichs der Ruhezeitverkürzung zur Voraussetzung hatte (arg: „Verkürzung der Arbeitszeit im obigen Sinne“). Das entsprach dem Ziel der Kollektivvertragsparteien, eingetretene Ruhezeitverkürzungen primär durch Verlängerung anderer Ruhezeiten auszugleichen und nur bei Unmöglichkeit des Naturalausgleichs einen Lohnzuschlag zu gewähren. Warum in einem solchen Fall auf die Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs – hier: der nicht rechtzeitige Naturalausgleich – verzichtet werden sollte, ist nicht ersichtlich. Eine Pönalfunktion ist der Bestimmung nicht zu entnehmen.

3. Nach Ansicht der Kläger hätten ihnen die Vorinstanzen dann zu Unrecht die Behauptungs- und Beweislast dafür aufgebürdet, dass es nicht innerhalb von zehn Tagen zu einem Naturalausgleich der verkürzten Ruhezeiten gekommen sei.

Allgemein trifft jede Partei die Behauptungs- und Beweislast für die Tatsachen, die Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm sind (RIS-Justiz RS0106638, RS0037797). Primärer Anspruch der Arbeitnehmer ist nach dem klaren Willen der Kollektivvertragsparteien der Anspruch auf Naturalausgleich (= Verkürzung der Arbeitszeit). Dieser Anspruch sollte sich nach dem Konzept der Regelung erst bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung, dass der Naturalausgleich nicht innerhalb von zehn Kalendertagen gewährt wird, in einen Geldanspruch umwandeln. Die Kollektivvertragsparteien formulierten es dafür als Anspruchsvoraussetzung, dass die Verkürzung der Arbeitszeit binnen zehn Kalendertagen nicht möglich ist.

Eine Beweislastverschiebung ist nach ständiger Rechtsprechung auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die „Nähe zum Beweis“ – im Einzelfall – den Ausschlag für die Zuteilung der Beweislast gibt, etwa dann, wenn Tatfragen „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“ (RIS-Justiz RS00037797 [insb T25, T47]). Die allgemeinen Beweislastregeln finden eine Einschränkung dort, wo eine Beweisführung von der an sich dazu verpflichteten Partei billigerweise nicht erwartet werden kann, weil es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre der Gegenseite liegen und daher nur ihr bekannt und damit auch nur durch sie beweisbar sind (RIS-Justiz RS0040182). Dass der Beklagten die Auswertung der Arbeitszeitaufzeichnungen leichter fallen mag, bedeutet noch nicht, dass den Klägern ein Beweis dafür, dass sie keinen Ruhezeitausgleich nehmen konnten, nicht möglich gewesen wäre. Die Beurteilung der Beweislast durch die Vorinstanzen entspricht auch der Entscheidung 8 ObA 17/17h (Antrag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes gemäß § 54 Abs 2 ASGG), in der ein Vorbringen des Antragstellers zum unterbliebenen Naturalausgleich iSd Punktes 2.g. KV alt für jene „Stewards on train“ vermisst wurde.

Die außerordentliche Revision der Erst‑ bis Viert‑ und Sechstkläger ist daher zurückzuweisen.

Stichworte