OGH 3Ob213/18x

OGH3Ob213/18x21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen E*, geboren am * 2010, Mutter M*, vertreten durch Sacha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems, Vater M*, BEd, *, vertreten durch Mag. Thomas Kaumberger, Rechtsanwalt in Pressbaum, wegen Obsorge, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 12. September 2018, GZ 23 R 287/18f‑102, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 5. Juli 2018, GZ 16 Ps 266/10y‑95, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123616

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Mutter hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Eltern der Minderjährigen waren nie miteinander verheiratet. Die von ihnen am 12. Oktober 2010 getroffene Vereinbarung über die gemeinsame Obsorge für das Kind wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 15. Oktober 2010 pflegschaftsgerichtlich genehmigt; gleichzeitig wurde der hauptsächliche Aufenthalt des Kindes im damals gemeinsamen Haushalt der Eltern festgelegt.

Nach Beendigung der Lebensgemeinschaft der Eltern beantragte der Vater zunächst die Einräumung eines gleichteiligen Kontaktrechts im Sinn der Doppelresidenz. In der Folge begehrten beide Elternteile jeweils die Übertragung der alleinigen Obsorge; hilfsweise die Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes in ihrem Haushalt.

Das Erstgericht hielt die gemeinsame Obsorge der Eltern für die Minderjährige aufrecht, gab dem Antrag des Vaters auf Festlegung der Doppelresidenz (durch Beibehaltung der bisherigen, auf einer Vereinbarung der Eltern basierenden Kontaktrechtsregelung) statt und legte fest, dass die hauptsächliche Betreuung des Kindes im Sinn der primären Wahrnehmung jener Aufgaben, deren Grundlage ein bestimmter Aufenthaltsort ist, wie insbesondere die Bestimmung des Hauptwohnsitzes und den Bezug von Familien- oder Wohnbeihilfe, nicht aber auch die Bestimmung des Wohnorts der Minderjährigen iSd § 162 Abs 2 ABGB, der Mutter zukommt. Den Antrag des Vaters auf Herausgabe der E-Card des Kindes durch die Mutter wies es ab.

Die sich aus der bisherigen Kontaktrechtsvereinbarung ergebende gleichteilige Betreuung des Kindes durch die Eltern entspreche einer Doppelresidenz. Die Minderjährige habe den Wunsch nach einer Beibehaltung der bisherigen Kontaktrechtssituation geäußert. Auch im Fall der Doppelresidenz sei nach der geltenden Rechtslage ein Haushalt festzulegen, in dem das Kind hauptsächlich betreut werde; dabei handle es sich nur um einen nominellen Anknüpfungspunkt für verwaltungsrechtliche Normen, wie etwa die Bestimmung des Hauptwohnsitzes und die Geltendmachung von Familien- und Wohnbeihilfe. Die Mutter habe den Hauptwohnsitz der Minderjährigen an ihrem Wohnort angemeldet, während keine entsprechende Meldung durch den Vater erfolgt sei. Aus diesem Grund sei der Ort der hauptsächlichen Betreuung bei der Mutter festzulegen. Der Vater habe nicht dargelegt, dass er diese Verpflichtungen wesentlich besser wahrnehmen könnte als die Mutter.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nur insofern Folge, als es beide Elternteile verpflichtete, jeweils bei Übergabe des Kindes an den anderen Elternteil diesem auch die E‑Card des Kindes zu übergeben; es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs wegen Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Handhabung der E‑Card des Kindes bei gemeinsamer Obsorge zu.

Da es im Fall der Doppelresidenz bei der Bestimmung des Orts der hauptsächlichen Betreuung nicht darum gehe, einen überwiegenden Aufenthalt des Kindes (also die überwiegende Betreuung durch einen Elternteil) festzulegen, sondern nur ein Anknüpfungspunkt für verwaltungsrechtliche Agenden bestimmt werden müsse, komme es nicht darauf an, ob das Kind am bisherigen Wohnort besser integriert sei als am neuen Wohnort der Mutter, oder welcher Elternteil bindungstoleranter sei. Nach den Feststellungen habe die Mutter das Kind bei sich hauptwohnsitzgemeldet, während durch den Vater keine (Nebenwohnsitz-)Meldung erfolgt sei, und dieser im Rekurs auch nicht darlege, inwiefern er besser geeignet sein sollte, diese Aufgaben wahrzunehmen.

In seinem Revisionsrekurs geht der Vater (naturgemäß) auf die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht ein, sondern macht ausschließlich geltend, die Festlegung des Domizilhaushalts am Wohnsitz der Mutter widerspreche dem Kindeswohl.

Die Mutter beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Auch im Fall gemeinsamer Obsorge und Betreuung des Kindes zu gleichen Teilen ist gemäß § 180 Abs 2 letzter Satz ABGB die Festlegung des Hauptaufenthalts des Kindes erforderlich, soll aber – wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Oktober 2015, G 152/2015, klargestellt hat – nur als nomineller Anknüpfungspunkt für andere Rechtsfolgen dienen, deren Grundlage ein bestimmter Aufenthaltsort ist, wie insbesondere für die Bestimmung des Hauptwohnsitzes des Kindes im Sinn des Melderechts oder die Geltendmachung von Familien‑ und Wohnbeihilfe (RIS‑Justiz RS0130981; RS0130918).

2. In seinem Revisionsrekurs legt der Vater nicht einmal ansatzweise dar, warum diese rein nominelle Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts der Minderjährigen am Wohnsitz der Mutter „eindeutig“ dem Kindeswohl widersprechen sollte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 107 Abs 5 AußStrG.

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